Neue Saison in der Wissenschaftsscheune
Landwirtschaft
Pflanzenforschung zum Anfassen
Hirse, Dinkel und Buchweizen: drei Pflanzen, die den Speiseplan der Mitteleuropäer über Jahrhunderte hinweg geprägt haben. Bald werden sie wieder zusammen mit hundert anderen Kulturpflanzen und alten Obstsorten im Lehr- und Schaugarten des Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln-Vogelsang zu sehen sein. Auch die angrenzende WissenschaftsScheune wird wieder ihre Pforten für wissenschaftliche Experimente öffnen. Genaues Hinsehen und derzeit siebzehn Mitmachstationen wecken Verständnis und Wertschätzung für die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen und fördern das Interesse an den wissenschaftlichen Fragen des Instituts: Wie setzen sich Pflanzen gegen Krankheiten zur Wehr? Wie sind unsere modernen Kultursorten entstanden? Wie werden Merkmale vererbt? Die Antworten führen mitten in die moderne Züchtungsforschung.
Aus
dem fruchtbaren Halbmond
„Unser Weizen ist ein Türke“, titelte vor einigen Jahren eine Kölner Tageszeitung und brachte damit eine wichtige Entdeckung des Kölner Max- Planck-Instituts auf den Punkt, die man sich im Lehrgarten genauer anschauen kann. Unser Kulturweizen entstand aus unscheinbaren Wildformen und kommt aus dem vorderen und mittleren Orient, dem fruchtbaren Halbmond. Die Kultivierung begann in der Jungsteinzeit, so dass die Menschen, die zuvor Jäger und Sammler gewesen waren, sesshaft wurden. In den Ländern Palästina, Syrien, Libanon, Iran, Irak und in der Türkei lassen sich noch genetische Vorfahren und Wildformen des Weizens finden. Die ersten Kulturformen waren das Einkorn und der Emmer. Später kamen Dinkel, sowie Brot- und Hartweizen hinzu. Aus Brotweizen werden Backwaren, aus Hartweizen Nudeln gemacht. Heute gibt es über dreitausend verschiedene Weizensorten, allerdings werden nur wenige davon landwirtschaftlich genutzt.
Wild- und Kulturform
Im Lehrgarten ist die gesamte Entwicklungslinie des Weizens zu sehen. Man kann sich dort auch über einen wichtigen Unterschied zwischen Wild- und Kulturformen informieren. Die Wildformen haben kleine Ähren, die schnell auseinanderbrechen, so dass sich die Samen sehr leicht verteilen. Ihre wichtigste Maxime lautet: Verbreitung um jeden Preis. Die Kulturpflanzen haben dagegen große Ähren, die nicht vom Stängel fallen, sondern bequem abgeerntet werden können. Das erschwert allerdings die natürliche Aussaat. Deshalb können Kulturpflanzen nur in der Obhut des Menschen überleben.
Praktisch forschen
Die
Domestikation des Weizens ist derzeit eines von knapp zwei Dutzend Themen, die
im Lehrgarten und an den Mitmachstationen in der WissenschaftsScheune
bearbeitet werden können. Die anderen Themen haben mit Genetik oder Ökologie zu
tun oder beschäftigen sich mit Biodiversität, nachwachsenden Rohstoffen oder
Pflanzenkrankheiten. In einem kleinen Musterlabor kann Erbsubstanz isoliert und
auf einem Trägermaterial sichtbar gemacht werden. Die Gruppen wählen für ihren
Besuch drei Themen und Stationen aus, die sie dann unter sachkundiger Anleitung
bearbeiten. „Das Angebot richtet sich an alle Altersstufen“, erklärt der
Agraringenieur Dr. Wolfgang Schuchert, der das Programm leitet. „Bei den
Kindergarten- und Grundschulkindern wird vor allem die spielerische Lust an den
grünen Pflanzen und dem Experimentieren mit der belebten Natur geweckt. Die
Aktionen für die Gymnasiasten orientieren sich an den aktuellen Lehrplänen und
werden beständig weiterentwickelt. Auch andere interessierte Gruppen können die
Angebote des Lehrgartens und der WissenschaftsScheune nutzen.“
Kenntnisse
vermitteln Jedes Jahr kommen während der Vegetationsperiode mehr als anderthalbtausend Besucher nach
Köln-Vogelsang. Fast täglich sind Gruppen auf dem Gelände des
Max-Planck-Instituts unterwegs. Begleitet werden sie von wissenschaftlichen
Mitarbeitern und pädagogischen Fachkräften. Das Angebot knüpft an das Anliegen
der Max-Planck-Gesellschaft an, mehr Interesse für die naturwissenschaftlichen
Fächer zu wecken. Deutschland ist ein rohstoffarmes Land, das auf Forschung und
Innovation angewiesen ist „Wir
vermitteln Pflanzenkenntnisse und biologisches Wissen durch Anfassen und
Ausprobieren“, sagt Professor Dr. Heinz Saedler, ehemaliger Direktor des
Instituts und Initiator des Lehrgartens und der WissenschaftsScheune. „Wir
wollen Berührungsängste abbauen und das Denken in Zusammenhängen fördern. Viele
Menschen wissen nichts über die genetischen Grundlagen der Pflanzenzüchtung und
machen sich nicht bewusst welchen Stellenwert die Landwirtschaft für eine
Zivilisation hat. Pflanzen liefern die Infrastruktur für unsere Existenz, indem
sie Sauerstoff und Biomasse produzieren. Darüber wollen wir mit den Besuchern
ins Gespräch kommen - auf Augenhöhe.“
Saedler
hat den Lehrgarten vor 21 Jahren und die WissenschaftsScheune vor fünf Jahren
ins Leben gerufen und mit Dr. Wolfgang Schuchert und Dr. Gerd Hombrecher
weiterentwickelt. Getragen wird die WissenschaftsScheune von der
Max-Planck-Gesellschaft und einem Förderverein. Universitäten und Botanische
Gärten haben inzwischen ein ähnliches Angebot entwickelt.
Lesestoff:
Der
Lehrgarten und die WissenschaftsScheune können zwischen Mai und Oktober nach
Voranmeldung besucht werden. Eine Gruppe besteht aus zwölf Personen. Bei Bedarf
werden Parallelgruppen gebildet. Für den Besuch müssen zwei bis drei Stunden
eingeplant werden. Weitere Information auf www.wissenschaftsscheune.de
Dr. Harald Rösch, MPI; Foto:MPI