„Nie wieder Deutschland“
Landwirtschaft
Deutschlands guter Ruf beginnt zu leiden
Vom Spargelbetrieb bis zu Tönnies: SARS-CoV-2 hat nichts Neues hervorgebracht, aber den Fokus auf Missstände gelegt, bei denen Saison-Arbeiter mit unfairen Lohn-, Wohn- und Arbeitsbedingungen beschäftigt werden.
Ein, zwei, drei schwarze Schafe…
Es ist nicht die Mehrzahl der Betriebe. Die Summe der „schwarzen Schafe“ aber zeigt, es ist kein Einzelfall. „Wir wissen leider nicht genau, wie viele Unternehmen den Mindestlohn umgehen. Wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.“ Das gestand am Dienstag der Vorsitzende der Mindestlohnkommission Jan Zilius der Rheinischen Post. „Faktisch wird der Mindestlohn meistens durch nicht abgegoltene Überstunden beziehungsweise durch die nicht korrekte Erfassung der Arbeitszeit unterlaufen.“ Die Worte des Bayerischen Ministerpräsidenten nach dem Infektionsausbruch auf einem Gurkenbetrieb in Mamming mehr, härter und unangemeldet zu kontrollieren, bleibt auf der politischen Ebene hängen. Zilius: „Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls kann im Moment flächendeckend gar nicht in alle Kleinstbetriebe hineinschauen.“
Der öffentliche Fokus auf die Land- und Agrarwirtschaft lenkt von andren Bereichen wie Baugewerbe, Pflege und Gastronomie ab. Erst Mitte Juli haben unabhängig voneinander veröffentlichte Berichte die Ausbeutung von Arbeitern in der EU aufgezeigt [1].
Auswirkungen
Der Thema auf den Einzelbetrieb zu begrenzen reicht nicht.. Gegen Tönnies hat es Morddrohungen gegeben, wie Betroffene aus Münster am Telefon gegenüber Herd-und-Hof.de berichteten. Urlauber aus Gütersloh wurden im Urlaubsort an der Rezeption zurückgewiesen. Aktuell erfahren Nicht-Landwirte aus Mamming die Stigmatisierung, aus dem Ort der Infizierten zu kommen, wie die Deutsche Welle berichtet.
Wer heute noch gegen Hygieneregeln verstößt, macht das absichtlich - in der Hoffnung nicht erwischt zu werden. Der einzelne Betriebsleiter gefährdet ganze Dörfer und Landkreise. Die Wut ist verständlich.
Und das stetige Verstoßen gegen Hygieneregeln schadet dem Image Deutschlands in den Herkunftsländern der Saison-Arbeiter. „Nach Deutschland komme ich nie wieder. Nicht mal im Urlaub, zu Besuch“, zitiert die Deutsche Welle eine Saison-Arbeiterin. Nie wieder? Ohne Saison-AK wird es niemals eine regionale Obst- und Gemüseernte geben.
Die Verfügbarkeit von Saison-Arbeitern ist weltweit rückläufig. Die Pandemie hat neue Lücken gerissen. Die schwarzen Schafe verspielen gerade Deutschlands Image. Bei weiteren Verstößen haben die arbeitsintensiven Betriebe auch nach der Pandemie Probleme, Fremd-AK zu finden. Das gefährdet den aktuellen Produktionsstatus von 35 Prozent Selbstversorgung bei Obst und Gemüse. An eine Ausweitung der regionalen Obst- und Gemüseproduktion ist dann gar nicht erst zu denken.
Hausaufgaben der Landwirtschaft
Das aktuelle Sonderheft Kommunikation der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) beschäftigt sich mit der Kluft zwischen Landwirten und Verbrauchern. Die einen wollen ihre Düngung im Rahmen der verschärften Düngeverordnung erklären, die anderen lediglich über Nitrat im Grundwasser reden. Fachwissen kommt bei Verbrauchen nicht an, heißt es in einer protokollierten Diskussion von Peter Breunig von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Ein Problem ist jedoch vor allem „hausgemacht“. Die Branche habe noch immer nicht gelernt, wie mit schwarzen Schafen umzugehen ist. Erst seit einigen Jahren sei die Branche bereit, über die Betriebe, die in der Nachbarschaft bekannt sind, zu reden. Sollen sie aber „denunziert“, „ausgegrenzt“ oder gewaschen werden?
Die Dimension, dass Arbeiter erst gar nicht mehr nach Deutschland kommen wollen, ist neu. Die richtige Reaktion ist schwer. Die Kommunikation von Hygieneregeln findet seit Monaten wiederholt statt und eine Erklärung, warum sie missachtet werden ist schwer zu finden. Da sind ein Betriebsleiter in oder außerhalb der Landwirtschaft mit seinen Saison-AK und die zusammen feiernden Urlauber am Strand, die gleichermaßen zu einem "Superspreader" werden, nah beieinander.
Der Betrieb schadet sich in erster Linie wirtschaftlich selbst, weil er alle Investitionen innerhalb weniger Tage zunichtemacht. Trotz monatelangen Lebens in der Pandemie wird weder an die Nicht-Landwirtschaftlichen Nachbarn gedacht noch an die künftige Verfügbarkeit von Saison-Arbeitern nach der Pandemie. Der Schaden geht weit über die Hofstelle hinaus. Was tun? Der Deutsche Bauernverband (DBV) ist wie ein Gemüse- oder Gartenbauverband nicht die Exekutive. In einem TV-Interview appelliert Bauernpräsident Joachim Rukwied an alle Betriebe, die Hygieneregeln einzuhalten. Die Vielzahl der Betriebe macht es richtig, manchmal fehlen nur die Einweghandtücher - aber bleibt Rukwieds Appell angemessen angesichts der Zahl an Betroffenen, die mit dem Betrieb nichts zu tun haben und jetzt ein Gesundheitszeugnis für die Reise nach Norden brauche? Reicht es, das Infektionsgeschehen mit einem Appell für die Einhaltung von Hygieneregeln auf Betriebsebene hinunter zu regeln? Der DBV unterstreicht in einem Telefonat mit Herd-und-Hof.de, dass der Berufsverband als Interessensvertretung immer wieder an die Betriebe mit Hinweisen auf die Einhaltung der Hygieneregeln appelliert, selbst wenn sie aufwendig, teuer und herausfordernd umzusetzen sind.
Es geht nicht um die Hundert Betriebe in der Nachbarschaft, die alles richtig machen. Bayerns Regierung schlägt noch mehr Kontrollen und höhere Sanktionen vor. Aber für alle Betriebe. Das hält der Bauernverband nicht zielführend und fürchtet offenbar eine Stigmatisierung der guten Betriebe.
Gibt es eine Lösung auf Breunings Frage?. Gegen Tönnies liegen mittlerweile mehr als 50 Zivilklagen wegen Verstoßes gegen das Hygieneschutzkonzept vor. Erfolgreich sind sie, wenn dem Fleischkonzern ein Verstoß wie beispielsweise gegen die Abstandsregel nachgewiesen wird, erklärte Rechtsanwalt Christian Somecke Mitte Juli gegenüber dem WDR. Vor Gericht sind Zerlegewerk und Gurkenflieger gleichgestellt. Das müssen die Berufsverbände den Betriebsleitern zusätzlich zu den Hygieneregeln klar machen.
Die osteuropäischen Länder werden selbstbewusster, wie der zurückliegende Sondergipfel zum Finanzrahmen zeigte. Die Regierungen der Herkunftsländer werden sich nicht mehr allzu viel gefallen lassen. Im Mai hatte sich die rumänische Arbeitsministerin Violeta Alexandru trotz der vielen Freundschaften zwischen Rumänen und deutschen Bauern Sorgen gemacht. Eine bilaterale Arbeitsgruppe soll es richten. Diese wird sich auch das deutsche Verhalten der schwarzen Schafe anschauen.
Lesestoff:
[1] Tönnies-Studie und Wanderarbeiter: https://herd-und-hof.de/handel-/ausbeutung-von-arbeitern-in-der-eu.html
Roland Krieg
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30.07.2020 19:01 Uhr: Korrektur: In der ersten Fassung stand, dass der DBV nicht auf die Anfrage geantwortet hat. Das ist falsch, die Antwort verlor sich im weltweiten Web. Das Gespräch wurde per Telefon nachgeholt und ist jetzt eingefügt. Roland Krieg