Not-Finanzrahmen in Brüssel
Landwirtschaft
Wird das Virus die Agrarpolitik verändern?

Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich bereits Anfang April geäußert, mehr Geld von den Mitgliedsländern einzufordern. Die großen Summen an Wirtschaftshilfen in den Ländern und die vollkommene Flexibilität zwischen den EU-Fonds lassen kaum andere Erwartungen zu. Davon könnte auch die Landwirtschaft profitieren. Allerdings müssen die „sparsamen Länder“ wie Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Österreich die Bereitschaft signalisieren, mehr als ein Prozent ihres Bruttosozialproduktes an Brüssel zu überweisen. Dann wäre die Kommission wohl bereit, die Kürzungen in den Kohäsionsfonds von fünf Prozent zurückzunehmen und die Mittel sogar aufzustocken.
Mehr Geld
Das Geld war am Mittwoch die zentrale Frage im Agrarausschuss des Europaparlaments. Die Landwirtschaft gehört nicht zu den am stärksten betroffenen Sektoren, wie die Hotellerie, sagte EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski. Innerhalb der Landwirtschaft sind einzelne Märkte aber schwer gestört oder gar zusammengebrochen: Milch, Rind, Obst und Gemüse sowie der Zierpflanzenmarkt.
Wojciechowski nutzte die Gelegenheit, auf die oft nicht wahrgenommenen Hilfen aus Brüssel zu verweisen. Der Transportlogistik drohte der Zusammenbruch. Die Einführung der green lanes hat das verhindert. Die Leitlinien für die Saison-Arbeitskräfte wurden nur vereinzelt wie vom deutschen Innenministerium torpediert, es gibt Erleichterungen bei den Kontrollverfahren vor Ort und Fristverlängerungen für neue Anträge. Das habe den Wünschen der landwirtschaftlichen Organisationen entsprochen.
Dann allerdings wird es heikel. Die Forderungen nach Interventionen und Beihilfen für die private Lagerhaltung nehmen zu. Vor allem für den Milchmarkt. Die Kommission prüfe das, doch seien die haushalterischen Mittel in der letzten Phase der Förderperiode 2013 bis 2020 ausgeschöpft. Neben dem Mehrjährigen Finanzrahmen bis 2027 fehle auch noch der Haushalt für das Jahr 2021. Wojciechowski kann die Wünsche nur erfüllen, wenn frisches Geld nach Brüssel fließt.
Dagegen sind noch Mittel aus der zweiten Säule für die Entwicklung des ländlichen Raums in vielen Ländern noch nicht ausgeschöpft. Die Kommission hat die Länder angeschrieben diese Mittel für die Krisenhilfe zu verwenden.
Krisenreserve?
Apropos Krisenhilfe: Die 460 Millionen Euro in der Krisenreserve bleiben unangetastet. Das sei ein politisches Problem, unterstreicht der Kommissar. Die Mittel dürfen rechtlich nach Zustimmung der Länder für die Aufstockung der Direktzahlungen bei Marktversagen genutzt werden, aber nicht als Entschädigung für einen Ausgleich für die durch die Pandemie verursachten Marktschließungen. Das allerdings sieht Paolo de Castro von den Sozialdemokraten anders und forderte die Öffnung der Krisenreserve.
Parteiübergreifend haben Parlamentarier dem Agrarkommissar einen Vorschlag unterbreitet, in der zweiten Säule einen neuen Artikel einzufügen, der Finanzhilfen für die Auswirkungen durch die Pandemie freisetzt. Darüber könnten betriebliche Kapazitäten, die durch das Virus verloren gegangen sind, wieder aufgebaut werden, erklärte der polnische Konservative Zbigniew Kuźmiuk. Wojciechowski hält den Ansatz für gut, solange es kein Einkommensausgleich wird und die Mittel nur für den Wiederaufbau des verlorenen Marktzugangs Verwendung finden.
Landwirtschaft nach der Pandemie
Der italienische Christdemokrat Herbert Dorfmann nutzte die Gelegenheit, auf das „Gemeinsame“ in der Agrarpolitik hinzuweisen. Von der Landwirtschaft bis zum Handel hat der gesamte Sektor den Hamsterkäufen standgehalten. Eine Leistung der die Gemeinschaftlichkeit in der Agrarpolitik. In anderen Sektoren, wie in der Medikamentenproduktion, werden die Defizite offenbar. Wojciechowski wollte sich nicht ausmalen, wenn zusätzlich zur Gesundheitskrise noch eine Versorgungskrise hinzugekommen wäre. SARS-CoV-2 sei ein Signal an die EU, die Landwirtschaft zu stärken. Der Sektor habe gute Argumente gegen Kürzungen im Agrar-Haushalt sammeln können.
Der polnische Agrarkommissar hat die Diskussion über eine neue Agrarausrichtung eröffnet. Diversifizierte Betriebe haben in der Krise eher Stand halten können als spezialisierte. Der Green Deal müsse grüne Reformen intelligent stärken, Vielfalt in der Region mit weniger Transportleistungen soll vermehrt auf den lokalen Markt zielen. Erst danach dürfe der Export gefördert werden. Ulrike Müller von der FDP sieht mit der Biomasseproduktion schon neue Märkte für die Landwirte, neue Einkommensmöglichkeiten und eine grünere Landwirtschaft. EU-Mittel müssen systemrelevanter ausgegeben werden, forderte der grüne Martin Häusling: „Wir müssen regionale Kreisläufe stärken.“ Dazu gehöre bei der Milch auch eine freiwillige Produktionsbeschränkung.
Häusling will sofort damit beginnen. Eine Diskussion über die GAP erst im Oktober halte er für zu spät. Der Linke Luke Flanagan aus Irland will Mittel aus dem Verteidigungsetat in die Landwirtschaft umlenken.
Der AGRI-Vorsitzende Norbert Lins war in der Videoschalte wegen Leitungsproblemen nur kurzzeitig zu hören und wurde vom CDU-Abgeordneten Peter Jahr vertreten. Lins kritisierte Häusling, der sich gegen eine Verschiebung der „Farm-to-Fork“-Strategie und des Green Deals wehrt, aber selbst die EU-Ökoverordnung später als zum 01. Januar 2021 umsetzen möchte. Das klinge nicht logisch.
Zweijahres-MfR?
Das Thema Agrarwende ist in Brüssel mittlerweile hoffähig geworden. Was am Ende wirklich umgesetzt werden kann, steht auf einem andern Blatt. Noch immer gilt die Reihenfolge, erst den Mehrjährigen Finanzrahmen festzumachen und danach die GAP zu genehmigen. Ende April allerdings könnte ein zweijähriger Übergangshaushalt zur Überwindung der wirtschaftlichen Krise vorgeschlagen werden. Dann stünden auch der GAP möglicherweise neue Mittel zur Verfügung.
GAP-Übergangszeit
Bislang gibt es nur eine einjährige Übergangszeit für die GAP. Doch ein weiteres Jahr steht an. Die finnische Liberale Elsi Katainen arbeitet an einem Bericht für eine zweite Übergangsphase. Eine neue Förderperiode käme demnach frühestens 2022. 400 Änderungsanträge werden derzeit in Videositzungen abgearbeitet und sollen am 28. April final abgestimmt werden. Kroatien hat in seiner laufenden Ratspräsidentschaft eine Teilübereinkunft bereits erzielt.
Roland Krieg
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