Oder: Unfall, Verklappung oder natürliche Katastrophe?

Landwirtschaft

Oder-Katastrophe bleibt rätselhaft

Die Oder muss von Grund auf neu besiedelt werden. Derzeit werden offiziell die Tonnagen an toten Fischen gezählt, die Anglerverbände, Feuerwehr, Soldaten und eine Vielzahl an freiwilligen Helfern aus dem Wasser holen.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke sagte bei einem deutsch-polnischen Treffen am Montag: „Uns alle eint die große Sorge über das Ausmaß und die Folgen dieser Umweltkatastrophe. Wir haben heute eine enge Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland vereinbart. Höchste Priorität haben der Schutz der Bevölkerung, Schadenbegrenzung und das Identifizieren des Verursachers.“ Am 29. August findet der nächste reguläre deutsch-polnische Umweltrat statt. Das Thema hat höchste Priorität und wird unheimlich, weil die Ursache noch nicht fest steht [1].

Quecksilber wurde zwar gefunden, gilt aber mittlerweile nicht als Hauptursächlich für das Absterben marinen Lebens. „Die in den Oderwasser-Proben gemessenen Quecksilberwerte im Wasser erklären das Fischsterben nicht“, teilte das Bundesumweltministerium mit. „Die Messwerte der Oder zeigen eine seit dem 7. August anhaltende, extreme Algenblüte. Diese korreliert mit außergewöhnlich hohen Salzgehalten. Die bislang vorliegenden Daten lassen multikausale Zusammenhänge vermuten, zu denen auch die derzeit sehr niedrigen Abflussmengen sowie hohen Wassertemperaturen und möglicherweise auch Schadstoffeinleitungen gehören. Weitere Analysen, insbesondere auf Schwermetalle, Quecksilber in weiteren Proben und auf andere chemische Kenngrößen führt das Landeslabor Berlin-Brandenburg mit Unterstützung des Bundes durch.“

Die vom Landesamt für Umwelt Brandenburg (LfU) ständig aktualisierten Wasserwerte der Oder weisen am 16. August um 13:00 Uhr einen seit dem 07. August nahezu verdoppelten Sauerstoffgehalt auf, der sich in starken Ab- und anschwellenden Kurven in der Spitze nur leicht nach unten bewegt. Auch der pH-Wert hat sich von 8,00 auf 11 bis 13 erhöht. Die elektrische Leitfähigkeit (Salzgehalt des Wassers) ist zum Teil selbst aktuell kaum darstellbar und reicht weit über die Darstellung hinaus. Demgegenüber ist der Anteil an Nitrat-Stickstoff um die Hälfte gefallen [2]. Am 18. August um 08:00 Uhr zeigten die Messwerte bis auf den Salzgehalt keine merklichen Rückgänge. Zwischen dem 15. und 18. August fiel die elektrische Leitfähigkeit des Oderwassers von 1.900 auf unter 1.700 Mikrosiemens pro Zentimeter (µs/cm)

Die Internationalen Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung (IKSO) hat mittlerweile eine Zeittafel veröffentlicht. Demnach gab es bei einigen Weißfischen Merkmale einer Veränderung schon Ende Juli. Seitdem läuft auf polnischer Seite auch die Ursachenforschung. Ebenfalls wurde der außergewöhnlich hohe Sauerstoffgehalt der Oder festgestellt. Die Zusammenarbeit mit Deutschland fand erst später statt. Mittlerweile hat es eine Strafanzeige an die polnische Staatsanwaltschaft gegeben.

Die Suche nach der Ursache

Die Suche nach der Ursache erweist sich als schwierig. Das Landesamt für Umwelt hat sich zunächst auf die Stoffe konzentriert, „die nach den Beschreibungen von Menschen vor Ort“, wie Gerüche die meisten Anhaltspunkte für das Fischsterben gaben. Darunter waren die Stoffe Benzol und Mesitylen sowie weitere organische Stoffe. Bei Ausweitung der Suche auf Schwermetalle wurde das Landesamt zwar bei Quecksilber fündig, musste aber anschließend ebenso feststellen, dass Quecksilber allein für das Ausmaß der Katastrophe nicht ausreicht. Die Quecksilberwerte waren dann doch nicht auffällig.  Das LfU teilt mit:

„Die Daten weisen auf multikausale Zusammenhänge hin, zu denen auch die derzeit noch immer hohe elektrische Leitfähigkeit, sehr niedrigen Abflussmengen und hohen Wassertemperaturen gehören. Die Untersuchungen wurden mittlerweile auf ein non-target-screening ausgedehnt. Damit hoffen wir, die fehlenden Hinweise auf einen Verursacher kompensieren zu können.“

Damit rücken auch die natürlichen Faktoren wie Hitze, Trockenheit und geringer Abfluss in den Ursachenkomplex, was das Fischsterben nicht weniger unheimlich macht.

Zumindest meldet das IKSO am Mittwoch über sich „normalisierende Zustände“ an einzelnen Abschnitten der Oder am Oberlauf. Für die Messwerte zwischen Küstrin und dem Stettiner Haff ist das Gewässeramt in Stettin zuständig. Da hat das Amt am 18. August morgens das Segeln der westlichen Bereiche untersagt und gegenüber den nicht schiffbaren Passagen einen Damm angelegt.

Die Strafe

Die Umwelt und deren Intaktheit haben in den letzten Jahren einen steigenden Stellenwert in der Gesellschaft erhalten. Das setzt sich folgerichtig auch der Strafbemessung fort. Vor einem Jahr hat Frankreich mit dem Begriff des Ökozids die „vorsätzliche Umweltverschmutzung“ bei 44 zu zehn Stimmen in der Nationalversammlung als neuen Straftatbestand an. Unter dem neuen Paragrafen fallen größte Fälle von Umweltverschmutzung von nationaler Bedeutung an. Da sind Strafen von bis zu zehn Jahre Haft und Bußgelder bis zu 4,5 Millionen Euro möglich.

Der Schutz der Umwelt hat für das Bundesministerium  der Justiz ebenfalls einen hohen Stellenwert. Eine Sprecherin teilt gegenüber Herd-und-Hof.de mit: „Daher wird auch begrüßt, dass die Europäische Kommission im Dezember 2021 einen Vorschlag zur Überarbeitung der umweltstrafrechtlichen Richtlinie von 2008 vorgelegt hat. Der Vorschlag zur Einführung eines Straftatbestands des Ökozids wirft eine Reihe von grundsätzlichen Fragen auf, die noch vertiefter Prüfung bedürfen.“

Lesestoff:

[1] „Vergiftete Oder“: Thema im Leseclub 32/2022 in der Rubrik Marktplatz

[2] https://lfu.brandenburg.de/lfu/de/aufgaben/wasser/fliessgewaesser-und-seen/gewaesserueberwachung/wasserguetemessnetz/frankfurt-an-der-oder/

Roland Krieg

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