Ökologisierung der Landwirtschaft

Landwirtschaft

„Welche Landwirtschaft benötigen wir?“

Mitte Oktober fand die Jahrestagung des Dachverbandes wissenschaftlicher Gesellschaften der Agrar-, Forst-, Ernährungs- Veterinär- und Umweltforschung (DAF) aus Frankfurt/Main erstmals digital statt. Thema war die Frage, welche Landwirtschaft benötigt werde? Die Herausforderungen sind groß, wie Alexander Wezel von Agrarschule für Leben (ISARA) in Frankreich aufzählte. Die Zahl der Feldvögel und Insekten nimmt ab, die Boden-Biodiversität ist gefährdet, Grundwasser sind mit Nitrat und Pflanzenprodukte mit Pestiziden kontaminiert und künftig müssen mehr als zehn Milliarden Menschen weltweit ernährt werden. Die Agrarökologie ist das Ziel der nachhaltigen Landwirtschaft und Nahrungssysteme, die in den vergangenen Jahren Furore macht.

Wezels Analyse zeigt aber, dass der Begriff schon 1930 geprägt wurde und ab 1970 mit Praktiken umgesetzt wird. Dem ersten Buch „Agrarökologie“ aus dem Jahr 1965 folgt erst in den vergangenen fünf Jahren eine Vielzahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Mit Mischkulturanbau, Agroforstsystemen, der biologischen Bekämpfung von Schädlingen und Direktsaat weist die Agrarökologie Anbaupraktiken auf, die heute verbreitet, aber nicht so benannt sind. Die europäische Strategie „From Farm to Fork“ hat mit dem Gesetz für Agrarökologie in Frankreich bereits einen Vorfahren. Die FAO will die Agrarökologie in den Tropen und Subtropen implementieren.  

Was Wezel vorschlug passt zur aktuellen Diskussion zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP): Förderung von diversifizierten und resilienten Systemen und eine Umlagerung von Subventionen und Förderungen für einen stärkeren Praxisanreiz.

Der Präsident der DAF, Prof. Dr. Karl Mühling von der Christian-Albrechts-Universität, fasste die Tagung wie folgt zusammen: „Die Herausforderung ist eine ökologische Intensivierung ohne signifikanten Ertragsrückgang und gleichzeitiger Honorierung der Ökosystemleistungen. Auf der einen Seite brauchen wir eine hohe Produktivität auf Gunststandorten, um die Welternährung sicher zu stellen. Auf der anderen Seite brauchen wir auf jeden Fall eine höhere Stickstoff- und Phosphor-Effizienz bei gleichzeitig verringerten Überschüssen.“

Aus den Vorträgen

Prof. Dr. Friedhelm Taube, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: „Wenn gleichermaßen hohe – nicht höchste – Produktionsleistungen und Umweltziele erreicht werden sollen, dann ist ein Paradigmenwechsel hin zur 'ökologischen Intensivierung' notwendig.’Landwirtschaft 4.0' kann ein taktisches Werkzeug auf diesem Pfad sein, es ist nicht die strategische Lösung. Da wir am Beginn eines Transformationsprozesses stehen und nicht am Ende, ist es besser, ein nachhaltiges Wachstum im Ökolandbau und zusätzlich eine ökologische Intensivierung in sogenannten konventionellen Systemen anzustreben und beide Bewirtschaftungssysteme einander anzunähern.
 
Prof. Dr. Henning Kage, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: „Durch Fruchtfolgegestaltung können Nährstoffverluste insbesondere durch Nitratauswaschung wesentlich gemindert werden und/oder der Düngebedarf innerhalb der Fruchtfolge durch die Integration von Körnerleguminosen oder Zwischenfrüchten gesenkt werden.
In der Praxis stehen jedoch häufig vergleichsweise niedrigere Erträge und schlechte Vermarktungsmöglichkeiten der zusätzlichen in die Fruchtfolgen zu integrierenden Kulturen sowie ein höherer Aufwand (Zwischenfrüchte) der Erweiterung der Fruchtfolgen aus betriebswirtschaftlicher Sicht entgegen.“
 
Prof. Dr. Bärbel Gerowitt, Universität Rostock: „Um entstehenden Lücken durch weniger chemischen Pflanzenschutz zu begegnen, muss auf allen Ebenen viel mehr Wissen zur Ökologisierung der Anbausysteme in die Entscheidungsprozesse einfließen. Die erforderlichen Anbausystemänderungen sind fundamental. Die Veränderungen müssen von allen Akteuren (Landwirtschaft, Pflanzenschutzmittel-Industrie, Forschung, Handel, Gesellschaft und Öffentliche Hand) gewollt und getragen werden.“
 
Prof. Dr. Johannes Isselstein, Universität Göttingen: „Bei der Benennung der Ziele einer agrarökologischen Forschung für einen Transformationsprozess sollten alle Akteure im Agrar- und Ernährungsbereich mit einbezogen werden, insbesondere die Praxis. Die Ziele müssen präzise zusammen mit der Praxis formuliert werden, für alle Stakeholder verständlich. Alle Beteiligten sollten auf die Einhaltung der Ziele verpflichtet werden und die Politik und die Gesellschaft sollten der Forschung Rückendeckung geben. Die Art der Forschung kann nur inter- und transdisziplinär sein, wenn es um die Transformation von ganzen Systemen geht.“
 
Prof. Dr. Emily A. Poppenborg Martin, Leibniz Universität Hannover: „Es gibt einen Mutualismus zwischen Biodiversität und Agrarproduktion. Wir wollen Biodiversität, weil diese auch für die Produktion nützlich ist. Diversifikationsmaßnahmen auf Feld- und Landschaftsebene erhöhen die Biodiversität und verbessern die Ökosystemleistungen. Strategien auf Landschaftsebene erfordern jedoch eine kollektive Betrachtung der Ökologisierung der Landwirtschaft, weil einzelne Maßnahmen nicht ausreichen. Die Fragen nach den langfristigen Effekten von Diversifikationsmaßnahmen, nach ihren ökonomischen Opportunitätskosten und wie Maßnahmen individuell an lokale Bedingungen angepasst werden müssten, bleiben derzeit noch offen.“
 
Prof. Dr. Urs Niggli, FiBL Europe, Brüssel: „Wir müssen eigentlich eine Ökologisierung der ‚Mainstream Landwirtschaft‘ machen und hier ist die Frage, „Ist das die Agrarökologie? Wir haben in einer UBA-Studie eine ‚Integrierte Produktion plus‘ betrachtet, das ist eine mit Standards und mit Zertifizierung verbundene sehr weitgehende integrierte Produktion mit hohen Anforderungen. Man könnte auch eine auf Nachhaltigkeit optimierte konventionelle Landwirtschaft etablieren, wo wir mit bestehenden Nachhaltigkeitstools die Betriebe laufend optimieren, das ist heute machbar. Weil ich noch nicht so genau weiß, was agrarökologische Praktiken sind – und das noch schwammig definiert ist – spreche ich lieber von einem kompletten ‚Redesign‘ von Farming Systemen. Wir sollten das heutige Wissen von Zusammenhängen nutzen, um neue Systeme zu finden.“
 
Prof. Dr. Karl-Heinz Südekum, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn: „Eine zukunftsfähige Nutztierfütterung mit einer deutlich verminderten Lebensmittelkonkurrenz zum Menschen wird es nur geben, wenn es gelingt, weltweit Koppelprodukte der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung systematischer zu erfassen, zu charakterisieren und zu nutzen. Um das Ziel einer verminderten Lebensmittelkonkurrenz zu erreichen, müssen die Koppelprodukte stärker als bisher an Nichtwiederkäuerspezies (Schwein, Geflügel) verfüttert werden und die Ernährung der Wiederkäuer verstärkt vom Grünland erfolgen. Bei einer Nutzung der Aufwüchse von absolutem Grünland liegt keine Lebensmittelkonkurrenz zum Menschen vor. Hochwertige Grünlandaufwüchse können auch – ohne Lebensmittelkonkurrenz – zu hochwertigen, proteinreichen Konzentraten für Schwein und Geflügel veredelt werden.“
 
Prof. Dr. Ute Knierim, Universität Kassel: „Generell gilt, dass sehr große Potentiale für die Verminderung einiger Zielkonflikte in betriebsindividuellen Optimierungsmaßnahmen liegen. Die konkurrenzlos effizienteste Minderungsmaßnahme ist eine Reduktion der Tierbestände bei gleichzeitiger Reduktion des Konsums. So werden bei der Erzeugung tierischer Lebensmittel im Durchschnitt pro Kalorie bzw. Gramm Protein mehr produktspezifische Treibhausgase emittiert als bei pflanzlichen. Die noch offene Frage ist, auf welche Weise und mit welchem Zeithorizont eine Verminderung des Konsums tierischer Lebensmittel erreicht werden kann, und da sind natürlich auch gute Ideen gefragt.“
 
Prof. Dr. Sebastian Lackner, Universität Rostock: „Wie müssen die Diskussion führen, in welchem Ausmaß wir Gemeinwohl und Nachhaltigkeit wollen. Es gibt auch eine unterschiedliche Bedeutung der Einkommensdimension, denn letztendlich ist es ein Unterschied, ob ich einen Reformvorschlag in Deutschland oder in Osteuropa einbringe. Insofern wäre auch es ganz dringend notwendig, dass wir die so genannte Bedürftigkeit, wie landwirtschaftliche Haushalte aufgestellt sind, besser in den Griff kriegen. Die strukturelle Implikation ist ein wichtiger Forschungsbedarf, das heißt, wir müssen uns genauer darum kümmern, welche Betriebe aussteigen, welche Betriebe auch ohne Förderungsänderung große Probleme haben. Wir haben ja heute schon einige Betriebszweige, die im Moment starke ökonomische Probleme haben.
Der Ökolandbau kann eine wichtige Rolle spielen, aber er kann nicht das einzige Instrument sein, denn auch er wird sich bewegen müssen. Wir brauchen alle verfügbaren Mittel, um in allen Bereichen besser zu werden.“
 
Prof. Dr. Peter Feind, Humboldt-Universität zu Berlin: „Das Wichtigste ist, dass wir eine Transformationsnotwendigkeit durch eine gemeinsame Analyse integrierter und gut aufbereiteter Daten erarbeiten, damit wir Konsens darüber haben, dass überhaupt eine Transformation notwendig ist. Dann muss man Koalitionspartner im Sektor finden oder eben auch einen schaffen und wir müssen künstliche Anreize zur Beibehaltung des Status Quo abschaffen. Hier fällt mein Blick immer auf die flächenbezogenen Direktzahlungen, mit denen man sehr viel stärker Veränderungsprozesse unterstützen könnte. Wir müssen langfristige Visionen mit konkreten Zielen und Meilensteinen entwickeln und daraus dann die Transformationspfade ableiten. Es ist wichtig, dass die Akteure bei der Transformation unterstützt werden, etwa durch Investitionshilfen, Beratung usw. Die Politik muss sich glaubwürdig langfristig selbst binden, damit die Leute nicht denken, bei einer anderen Regierung in vier Jahren ist das wieder vorbei. Und schließlich muss die Politik adaptiv und lernend sein, so wie wir das gerade in der Corona-Krise feststellen und sehen, dass die Politik auf laufende Daten ständig reagiert und dann auch neue Maßnahmen ergreift.“

Lesestoff:

Mit der Geschäftsführung ist die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft beauftragt. Die Videomitschnitte und Vorträge finden Sie unter: https://www.agrarforschung.de

roRo; VLE

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