Özdemir in Brüssel
Landwirtschaft
Özdemir: Knapp, präzise und souverän
Die Landwirtschaft ist ein Haifischbecken. Wer sich in Deutschland mit dem Thema auseinandersetzt balanciert zwischen verschiedenen Öko-Standards, gesellschaftlichen Ansprüchen, chemisch und physikalischen Realitäten und zahlreichen Berufsverbänden. Die Tiefenströmungen in Brüssel sind die gleichen, aber Parlament, die Kommission und der Agrarrat sind auf Kompromisse gepolt. Vor allem die 27 Agrarminister brauchen engelsgleiche Formulierungen, bis nationale Prioritäten im Sinne Europas als Kompromiss formuliert werden können.
Daher war die erste Reise des neuen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zum Agrarrat nach Brüssel eine schwierigere Aufgabe als eine erste Ressortabstimmung in Berlin. Am Sonntag und Montag standen zugleich Aufgaben auf der Agenda, die in Brüssel ihre Zeit brauchten. Der grüne Politiker mit reichlich Politerfahrung meisterte seinen ersten Montag in Brüssel, knapp, präzise und souverän. „Europäisch“ war seine wichtigste Vokabel und im Gegensatz zu vielen anderen Politprominenzen las er nur ansatzweise vom Blatt ab und schaute den slowenischen Ratspräsidenten Jozé Podgoršek immer wieder an. Auch bei der Ankunft im Justus Lipsius Gebäude redete er Klartext.
Das gelang ihm sicherlich auch, weil bei der Agenda zumeist schon abgearbeitet war und eine inhaltliche Handschrift trägt, die Bündnis 90/Die Grünen ohne weiteres mittragen können.
Fischerei
Am Sonntag saß noch Susanne Szech-Koundourus auf dem deutschen Sessel. Die Stellvertretende Ständige Vertretung Deutschlands in Brüssel stimmte den drei wichtigen und hochkomplexen technischen Regelungen zur Fischereikontrolle zu. Die EU sorgt für mehr Rechtssicherheit bei Fischereikontrollen, hat Definitionen über Fischereifahrzeuge neu festgelegt, sowie Kontrollprogramme, Genehmigungen und Lizenzen neu gestrafft. Auch wurden Fehlertoleranzen bei Logbuch-Einträgen festgelegt. Damit hat der Agrarrat eine Position eingenommen, die im nächsten Jahr unter französischer Ratspräsidentschaft in den Trilogen mit Dem Parlament und der Kommission finalisiert werden kann.
Fangquoten
Traditionell legt der Agrarrat im Dezember die Fangquoten für die Nordsee fest. Hinzu kamen die Quoten für das Mittelmeer und das Schwarze Meer, für die nach Özdemir Deutschland als Europäer ebenfalls von Bedeutung sind. Erleichtert wurde die Diskussion, nachdem die EU auch im Fischereistreit zwischen Großbritannien und Frankreich erfolgreich vermitteln konnte [1]. Bemerkenswert ist die Senkung der Dorschfänge im Kattegat um 21 Prozent. Özdemir sieht darin den Zusammenhang mit der Schonung der Ostseedorsche, damit sich die Bestände in allen Seegebieten langfristig erholen können.
Lebensmittelversorgung
Der Agrarrat hat einen neuen Plan zur Lebensmittelversorgung der Bevölkerung im Krisenfall vorgelegt. Cem Özdemir erinnerte an die Lkw-Schlangen zu Beginn der Pandemie, die von der EU zusammen mit Drittstaaten und Gesprächen mit den Wirtschaftsbeteiligten hat auflösen können, um die grenzüberscheitende Versorgung zu gewährleisten. „Gerade in der Krise muss man sich europäisch verhalten“, sagte Özdemir. Zu dem Plan gehört auch das Marktmonitoring, um Knappheiten frühzeitig zu erkennen und auszugleichen. Dabei bleibt nach Özdemir der regelbasierte Handel ein wichtiger Baustein in der EU.
Faire Handelsbeziehungen
Die Übertragung von drei grauen Punkten in die schwarze Pflichtliste gegen unfaire Handelspraktiken (UTP) seiner Vorgängerin führte Özdemir als Pluspunkt für Deutschland ins Feld. Seinen Aussagen nach, werden die neuen Regeln im Sektor wahrgenommen und Verträge bereits angepasst. Die Stärkung der Erzeuger sein ein deutliches Signal. Der Landwirtschaftsminister mahnte die EU an, die noch fehlenden elf Länder, die noch keine Richtlinien verabschiedet haben, vor der geplanten Evaluierung ins Boot zu holen.
GAP
Deutschland arbeite mit Hochdruck an der rechtlichen Finalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zum pünktlichen Einreichen des Strategieplanes zum 01. Januar 2022. Deutschland unterstütze den Vorschlag Tschechiens Delegierte Rechtsakte so schnell wie möglich zu übersenden. Andernfalls könne der Stichtag nicht eingehalten werden. Die Tschechen wollen auch keine weiteren Rechtsakte, .d.h. Inhalte, erhalten, die nicht in der bereits formalisierten GAP vorhanden sind.
Entwaldung
Der Vorschlag Importe aus Drittländern aus entwaldungsfreien Lieferketten zu festzuschreiben entspricht den Interessen der neuen Koalition in Berlin. Waldschutz ist global, sagte Özdemir und müsse bei den importierten Produkten beginnen. Der Vorschlag sei überfällig gewesen und die EU müsse bei den künftigen Handelsabkommen, beginnend mit dem südamerikanischen Handelsverbund Mercosur auf den Waldschutz bestehen. Der Minister wird den Vorschlag mit dem Entwicklungsministerium auf Durchführbarkeit und finanzielle Aspekte hin überprüfen.
Legehennenhaltung
Die dänische Delegation hat die jüngste Studie der Universität Kopenhagen vorgestellt, nach der 85 Prozent der Legehennen Brustbeinbrüche haben, die nicht aus Kollisionen zwischen den Tieren, sondern zum Teil auch erblich bedingt, vorkommen. Die Brüche befinden sich am unteren Brustbein und resultieren offenbar aus dem Gewichtsdruck des Tieres auf diesen Knochenteil. Die Brustbeinbrüche sind über alle Haltungsformen wie konventionell, ausgestalteter Käfig, Freilauf und Öko-Haltung zu verzeichnen. Es braucht noch mehr Forschung für eine genaue Ursachenanalyse und inwieweit die Brüche das Tierwohl beeinträchtigen. Derzeit gehen die Forscher von Zuchtzielen aus, die kleinere Legehennen mit geringer Futteraufnahme mit hoher und früher einsetzender Legeproduktion verbindet.
Für Özdemir ist das Thema klar: Wer Tiere nützt, der muss sie auch schützen. Er will auf nationaler Ebene daran forschen und prüfen, was dagegen unternommen werden kann.
Weitere Themen
Die Lage der Schweinehalter und die steigenden Düngerpreise sind zwar europaweit ein wesentliches Thema, doch mehr als die Situation genau beobachten will der Agrarrat derzeit nicht.
Lesestoff:
[1] Weihnachtsfrieden im Ärmelkanal: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/fischerei-mit-grossbritannien.html
Roland Krieg; Foto: Screenshot Arrival
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