Özdemirs Tag der Videokonferenzen
Landwirtschaft
Jetzt geht es an die Verbände
Die Feuertaufe des neuen Landwirtschaftsministers Cem Özdemir fand auf dem Agrarrat in Brüssel statt. Bis zum Jahresende war an die Mikrofone der Publikumsmedien gebunden und nutzte die Gelegenheit, Eckpunkte seiner geplanten Politik zu benennen. Das diese im realpolitischen Ungefähren blieben und sich mehr an seine Vorgängerin Julia Klöckner als an der grünen Fundamental-Ahnin Renate Künast orientieren, hat ihm mehr Pluspunkte eingebracht als Kritik. „Die Zeit“ kam aber dennoch darauf, dass Vorgänger an Tierhaltungskennzeichnung, dem Kampf gegen Ramschpreise, gesunde Ernährung, Umbau der Tierhaltung und Finanzierung außerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gescheitert sind.
Schritt für Schritt arbeitet sich Özdemir in die Praxis seiner neuen Materie ein. Heute sitzt er den ganzen Tag vor dem Bildschirm und tagt mit Verbänden. In zeitlicher Abfolge sind es Umweltverbände, der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, der Deutsche Bauernverband, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter.
Über die Reihenfolge muss nicht gestritten werden. Das mag persönliche und zeitliche Grüne gehabt haben. Allerdings ist die Liste erst mit Blick auf die Fehlenden komplett. Und das wird für den neuen Minister eine Herausforderung der neuen Art, deren Ergebnis derzeit noch offen ist.
Wo sind welche Bauern?
Die große Bauerndemonstration 2019 unter dem Namen „Land schafft Verbindung“ hat sich politisch in die Gründung der Zukunftskommission Landwirtschaft erstreckt, deren Empfehlungen sich alle seriösen Bundestagsparteien zu Eigen machen wollen [1].
Doch was im Herbst 2019 begann hat sich mittlerweile selbst zerlegt. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist ein wichtiger Spieler in der Wertschöpfungskette. Die Bauern von „Land schafft Verbindung“ haben zusammen mit Milchverbänden und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) den Agrardialog ins Leben gerufen. Zwischen Ökobauern und den Traditionsverbänden Deutscher Bauernverband (DBV) und Deutscher Raiffeisenverband (DRV) hatte sich ein drittes Bündnis etabliert, bei dem viele LsV-Bauern den Unmut mit ihren Landesbauernverbänden mit sich tragen.
Doch haben DBV und DRV den LEH in der Zentralen Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) zu sich ziehen können. Zu Beginn hat es dem Agrardialog nicht geschadet, bis dann die LsV-Bauern das Bündnis verlassen haben.
Beim DBV sind nicht angekommen, denn allein die Wahl auf die Schwarze Flagge des Landvolks und die Nähe zur niederländischen „Farmers Defence Force“, die gezielt Sachbeschädigungen verursachen, hat die LsV-Bauern immer wieder in Erklärungsnöte gebracht. Zumal es mehr als ein LsV-Bündnis gibt. In Niedersachsen hatte sich gleich zu Beginn mit „LsV Das Original“ ein Grüppchen abgespalten, das mit dem Kampf um Markenrechte den Bauern von „LsV Deutschland“ das Vortragen von Kritik erschwerte.
Es ging noch weiter. Die LsV-Bauern in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz wandten sich den LsV Deutschland. Die NRW-Gruppe firmiert nach Intervention von LsV Das Original mittlerweile unter dem Namen „Land sichert Versorgung“.
Neben der schwarzen Landvolk-Flagge ist die Zersplitterung der LsV-Bauern ein Grund, warum Özdemir dort keine Ansprechpartner findet. So bewegt sich nach zwei Jahren Berlin-Protest die Diskussion mit wechselndem Personal in bekannten Wegen.
Auch die „Wir haben es satt“-Bewegung geht trotz Absage der Internationalen Grünen Woche am 21. Januar wieder auf die Straße und fordert den „Neustart der Agrarpolitik“. Mit allen alten Bekannten.
Lesestoff:
[1] ZKL: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/der-zkl-abschlussbericht-und-die-reaktionen.html
Roland Krieg; Foto: Plakat „Wir haben es satt 2022“
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