Opt out-Regelung? So wohl nicht!

Landwirtschaft

Opt-out-Gesetz kommt – aber in welcher Wahlperiode?

„Postfaktisch“. Der Begriff bereitet dem Forschungspolitiker Stephan Albani (CDU) Sorgen: Entscheidungen fallen von Emotionen und Ängsten geleitet und werden nicht mehr durch Fakten, die in Ruhe bewertet werden, erwogen. Für den Bereich der grünen Gentechnik hat das „postfaktische Zeitalter“ längst begonnen, wie die letzte Diskussion im Bundestag zeigte [1]. Erstaunlich für Albani, der auf die breite Akzeptanz der Gentechnik in der Humanmedizin verweist. Synthetisches Humanpenicillin ist heute kein Thema mehr. Und die Biotechnologie der Pflanzenzucht nutzt die gezielte Manipulation dort aus, wo Pflanzenzüchter zuvor auf spontane Mutationen gehofft und gewartet haben. Albani will „die Chancen der Technik auch in die Zukunft hinein ermöglichen.“ Die fehlende Akzeptanz der grünen Gentechnik führt Albani auf die fehlenden Vorteile für die Verbraucher zurück.

Beschluss ist kein Beschluss

Doch um die Gentechnik geht es in dem Koalitionsentwurf für die nationale Opt-out-Regelung mitnichten. Die EU hat aus dem Diskussions-Patt herausgefunden, weil sie den Mitgliedsländern die Möglichkeit gibt, selbst über den Anbau oder ein Verbot zu entscheiden. „Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land lehnt die Gentechnik ab. Und ich will, dass das so bleibt“, begründet Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) den Gesetzesentwurf, der am Freitag im Bundestag debattiert wurde. Ein Zwischenruf der Linken zeigte, wie angespannt der Minister seine Rede vorgetragen hat und kurz die Getragenheit verlor. Schmidt versuchte seinen Kritikern schon im Vorfeld den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die in der Zulassung befindlichen Maissorten in Brüssel, seien bereits für Deutschland schon nicht mehr möglich. Und die Zusage zur Forschung sei kein Hintertürchen für die Gentechnik, sondern die Chance für eine eigene Bewertung.

Doch darum ging es schon nicht mehr. Landwirt Kees de Vries (CDU) legte sein Redemanuskript zur Seite und musste feststellen, dass ein Beschluss in der Koalition kein Beschluss mehr ist. „So wie das Gesetz jetzt aussieht, wird es mit uns nicht durchgehen“, hatte die SPD-Abgeordnete Elvira Drobinski-Weiß kurz vorher gesagt. Doch im Bundeskabinett ist der Beschluss durchgegangen, bemängelte de Vries. Zudem: „Wir reden über ein Verbot, dass fachlich nicht zu begründen ist. Ich sehe die Gentechnik nicht als Schreckgespenst.“ Die Möglichkeit der Bundesländer, regional das Anbauverbot fachlich zu begründen, sollte als Chance gesehen werden. Wenn 88 Prozent der Bürger gegen die Gentechnik seien, worin liege das Problem, die gewählten Landespolitiker in die Verantwortung zu nehmen, fragte de Vries.

Die Probleme

Das Gesetz ist für Karin Binder (Die Linke) an sich ein Problem: „Es ist ein Bürokratiemonster!“. Für ein Verbot müssen sich zuerst einmal sechs Bundesländer einvernehmlich aussprechen. Innerhalb von sechs Wochen muss die Ländermehrheit für ein Verbot sein und zwischen dem Agrar-, Umwelt- und Forschungsministerium in Berlin eine einheitliche Position gefunden werden. „Wie soll das gehen?“, fragte Binder. Falls die Frist überschritten wird, müsse jedes einzelne Bundesland die Entscheidung für sich treffen. Dadurch drohe ein Flickenteppich. Dann kann ein einzelnes Bundeland das bundesweite Verbot kippen, beklagte Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen).

Meist gibt es auf Länderebene nur einen einzelnen Fachreferenten, erklärte Drobinski-Weiß. Der stünde mit seiner Entscheidung allein gegen „Monsanto und Co.“, die mit Hilfe einer Klage, den Anbau durchsetzen könnten.

Nachdem sich die SPD so deutlich gegen ihren Koalitionspartner ausgesprochen hat, legte Matthias Miersch noch eins drauf. Neben dem Vorsorgeprinzip, das die Bundesregierung in den Freihandelsabkommen vorgibt zu verteidigen, habe das Bundeslandwirtschaftsministerium gleich nach der Kabinettssitzung noch das „Innovationsprinzip“ in den Gesetzestext eingefügt. Dieses Prinzip versuche die Industrie seit 2013 vergeblich in Brüssel zum Vorsorgeprinzip gleichrangig auf den Tisch zu bringen, stoße allerdings auf „Granit“. Bei Schmidt scheine sie Erfolg zu haben. „Die SPD-Bundestagsfraktion wird das nicht durchgehen lassen“, kündigte Miersch an [2].

Die Folgen

Der Entwurf wurde in den Ausschuss verwiesen. Dort kann er schnell oder langsam bearbeitet werden. Manchmal kommen Anträge erst nach einem Jahr wieder aus den Verhandlungen heraus. Sollte das Gesetz noch nach der Vorgabe des Koalitionsvertrages abgeschlossen werden, bleiben der Bundesregierung keine zehn Monate mehr. Danach wird aller Voraussicht nach eine andere Koalition über den Text entscheiden. Angesichts des angekündigten Widerstandes der SPD scheint eine kürzere Bearbeitungszeit nicht möglich zu sein. Es sei denn, der Entwurf findet eine grundsätzlich neue Textbasis. Oder die SPD hat sich neu erfunden.

Lesestoff:

[1] Gentechnik im Bundestag festgefahren: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/gentechnik-im-bundestag-festgefahren.html

[2] Hat die Vorsorge überhandgenommen? Wenn Vorsicht so groß geworden ist, dass aus Risikominimierung Risikovermeidung wird, sind Spielräume für innovatives nicht mehr vorhanden. Deutschland und die EU legen Wert auf den vorbeugenden Verbraucherschutz und verankern ihn in Gesetzen und führen ihn bei Verhandlungen über Handelsabkommen an. Für die Industrie ist der Punkt erreicht, an dem die Vorsicht zu groß geworden ist. „Dem Vorsorgeprinzip muss ein gleichberechtigtes Innovationsprinzip zur Seite gestellt werden“, forderte Marijn Dekkers, Präsident des Verbandes der Deutschen Chemie, am 06. Mai 2015 in Brüssel. „Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind so restriktiv, dass sie Innovationen in dieser wichtigen Schlüsseltechnologie verhindern.“ Damit blickte Dekkers bereits auf die Gentechnik – steht aber mit der Forderung nicht alleine da.

Mehr als ein Jahr vorher hatte Vorstandsvorsitzender der BASF Kurt Bock das Innovationsprinzip eingefordert. Er könne das Vorsorgeprinzip zur Vermeidung ernsthafter Schäden verstehen, es solle jedoch „vernünftig und rational angewandt werden“. Im Zeitablauf verlören im Regulierungsprozess „wissenschaftsbasierte Argumente immer mehr gegenüber der öffentlichen Meinung“. Daher haben 12 Forschungsunternehmen aus dem „European Risk Forum“ (www.riskforum.eu) in einem Brief die EU zur Einführung des Innovationsprinzips aufgefordert.

Die Niederländer haben das im ersten Halbjahr 2016 in ihrer Ratspräsidentschaft aufgenommen, weil „Wissen, Forschung und Innovation Investitionen in die Zukunft Europas sind“. Mit Blick auf Industrien, die ihre Forschung ins Ausland verlagert haben, soll Europa für Start-ups wieder attraktiver werden. „Die Forschungsminister sind sich einig, dass Rechtsvorschriften kein Hindernis für Innovationen sein dürfen“, teilten die Niederländer mit. Die Idee geht ihren Weg, führte EU-Forschungskommissar Carlos Moedas in einer schriftlichen Antwort erst im September dieses Jahres aus: „Außerdem wird die Kommission prüfen, wie sich in Übereinstimmung mit dem Instrumentarium und den Leitlinien für bessere Rechtsetzung ein „Innovationsprinzip“ bei der Gestaltung der politischen Strategien in der EU anwenden lässt.“ Moedas hat dabei nicht mehr nur die Gentechnik im Blick. Neue Ideen sind in den Bereichen digitaler Binnenmarkt und Energieunion gefragt. Neue Gründer brauchen nicht nur Zugang zu Finanzmitteln. Moedas denkt auch bereits an einen „Europäischen Investitionsrat“, der bei der Kontaktaufnahme zwischen Akteuren behilflich sein kann.

Roland Krieg

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