Paradigmenwechsel beim Schwanzbeißen
Landwirtschaft
Caudophagie: Erkundungsverhalten „am falschen Objekt“
Schwänze werden beim Ferkel kupiert, damit die Artgenossen später nicht darauf herumkauen und Stückchen davon abbeißen. Mit Hilfe einer Ringelschwanzprämie sollen Landwirte die Schweine intakt lassen. Um den Schweinen eine Alternative zu bieten wird mittlerweile in den meisten Ställen Beschäftigungsmaterial von Ketten, Bällen bis Stroh und Pellets angeboten.
Beschäftigungsmaterial wird bei verschiedenen Labeln bereits als Tierwohl-Index gehandelt. „Stress, Langeweile oder unzureichende Haltungs- und Fütterungsbedingungen können zum Beispiel bei den Tieren das sogenannte Schwanzbeißen auslösen, bei dem sie sich gegenseitig attackieren. Unversehrte Schwänze zeigen daher an, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Die Universität Hohenheim beachtet diesen Punkt bei ihren Beratungen zu Tierwohl-Ställen [1].
Bislang gilt das Schwanzbeißen (Caudophagie) als Verhaltensstörung. In einer aktuellen Studie von der Universität Gießen fordern Prof. Dr. Steffen Hoy und Ina Jans-Wenstrup einen Paradigmenwechsel. Nach ihren Untersuchungen ist Caudophagie „das Ergebnis eines art-typischen Erkundungsverhalten „am falschen Objekt“. Möglicherweise ist das eine Ursache für ausbleibende Erfolge beim Fokus auf Beschäftigungsmaterial.
„Wir benötigen einen ganz anderen Ansatz, um die kognitiv sehr anspruchsvollen und intelligenten Schweine so zu beschäftigen, dass sie nicht an den Buchtenpartnern interessiert sind“, erklärt Prof. Dr. Hoy. Es müssten neue Lösungen mit höheren Reizen für die Tiere entwickelt werden. „Wenn alle Bemühungen zu keiner Senkung der Zahl tierschutz-relevanter Verletzungen durch gegenseitiges Schwanzbeißen führen, muss als Eingriff im Einzelfall auch künftig das Kupieren des letzten Drittels des Schwanzes durchgeführt werden“, so Hoy weiter.
Ergebnis der Studie
Die Wissenschaftler untersuchten, ob der Einsatz verschiedener Pellets, ergänzend zur Standardfutterration, in der Ferkelaufzucht eine probate Lösung gegen Schwanzbeißen sein kann. Die Schlussfolgerung: Der Einsatz von Pellets stellt keine geeignete Maßnahme zur Vorbeugung bei Absatzferkeln und Mastschweinen dar. Auch weitere untersuchte Faktoren, wie Geschlecht, Genotyp oder Alter der Mutter, hatten keinen oder nur einen geringen Effekt auf das Verhalten der Tiere. In 14 Durchgängen wurden dafür insgesamt 1.376 Ferkel, denen die Schwänze nicht kupiert wurden, mit 1.190 Ferkeln mit kupierten Schwänzen verglichen. Die Langschwanz-Ferkel wurden zur Hälfte mit der Standardration gefüttert, die andere Hälfte der Tiere mit der Standardration ergänzt durch Stroh-, Heu- oder Hopfendoldenpellets (als Zulage zum Mischfutter sowie bei Heupellets auch zur Beschäftigung ad libitum). In allen Durchgängen wurde ein hoher Prozentsatz an Schwanzbeißen festgestellt. Der Einsatz von Stroh- und Heupellets hatte keinerlei Einfluss auf das Verhalten der Tiere, der Einsatz der Hopfendoldenpellets zeigte zwar Unterschiede im Verhalten, allerdings war der Anteil der Teil- oder Totalverluste der Schwänze mit mehr als 50 Prozent ebenfalls sehr hoch.
Lesestoff:
Die Studie wurde vom QS-Wissenschaftsfonds gefördert. Sie können alle abgeschlossenen und neu geförderte Studien auf der folgenden Webseite einsehen: https://www.q-s.de/qs-system/qs-wissenschaftsfonds.html
[1] Ställe für mehr Tierwohl: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/forscher-machen-schweinestaelle-fit-fuer-das-tierwohllabel.html
Das Kupieren von Schwänzen darf nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden. Aus dieser rechtlichen Regelung ist aber ein Routineeingriff geworden. Europaweit hat sich in den letzten Jahren viel getan und die Liste der Parameter gegen Schwanzbeißen ist lang. Die Ergebnisse oft ernüchternd. Die Interessengemeinschaft Schweinehalter Deutschlands (ISN) empfiehlt folgenden Leitfaden: www.ringelschwanz.info
Roland Krieg