Pastoralisten in schlechten Jahren helfen

Landwirtschaft

Pastoralismus ist ein angepasstes Überlebenssystem

„Pastor“ ist das „Hüten“ von Tieren, das in seiner reinen Form das Umherziehen mit den Herden zwischen verschiedenen Weidegründen bezeichnet. Der Pastoralismus findet auf rund einem Viertel der weltweiten landwirtschaftlichen Flächen statt, beschäftigt zwischen 300 und 400 Millionen Menschen und umfasst mehr als eine Milliarde Tiere der verschiedensten Arten. In Europa leben noch etwa 60.000 Sami in Nordeuropa, die mit ihren Rentierherden umherwandern. Die bekanntesten Pastoralisten sind die Tuareg, von denen noch drei Millionen zwischen Mali, Libyen, Algerien und Burkina Faso herumziehen und meist die ersten Betroffenen sind, wenn es Naturkatastrophen und Bürgerkrieg gibt.
Auf dem Global Forum for Food and Agriculture, das während der Grünen Woche in Berlin stattfand, hat die Organisation Tierärzte ohne Grenzen den Blick auf die Pastoralisten gelenkt.

Angepasste Haltung und Lebensweise

Der Pastoralismus ist zunächst einmal ein an die jeweiligen Standortverhältnisse gut angepasstes System, das sich in den letzten Dekaden aber zu einem Sorgenkind entwickelt hat. Zwischen 24 und 45 Prozent der Hirten leben in extremer Armut. Den Hirten wird der Zugang zu Weideland erschwert. Nicht nur durch die Ackerbauern, sondern auch vermehrt durch die Gründung neuer Umweltschutzgebiete. So hat der beliebte Serengeti-Nationalpark die Massai aus einem ihrer Stammregionen vertrieben. Bevölkerungswachstum, Klimawandel und Bodenerosion sind weitere Herausforderungen an die jungen Pastoralisten.

Harte Arbeit

Agrarwissenschaftler Prof. Dr. Horst Jürgen Schwarz sieht die Aufteilung in arme und reiche Pastoralisten. Einige können moderne Errungenschaften nutzen, während vor allem viele junge Pastoralisten in die Hungercamps oder in die Städte gehen.
Ein globaler Trend sei das aber nicht. Indische Pastoralisten erleben derzeit einen regelrechten Boom. Weil der Bedarf an Fleisch steigt, fahren Viehhändler den Pastoralisten regelrecht hinterher, beschreibt die Veterinärin Ilse Köhler-Rollefson. Den wandernden Hirten gehe es viel besser als in der Stadt und junge Pastoralisten, die dort ihr Glück versuchten, gehen wieder zurück aufs Land.

Thomas Sommerhalter, der über die Ernährungssicherheit bei den Pastoralisten forscht, stellt klar: Der Pastoralismus ist keine romantisierende Lebensweise. Zunächst einmal ist ein es ein reines Produktionssystem, aus dessen Anpassung an die natürlichen Gegebenheiten sich ein bestimmter Lebensstil entwickelt hat. Die Wahl „Wandern oder sesshaft“ werden sei schon immer dagewesen. Seine Sichtweise erleichtere aber die Überlegung, dass der Pastoralismus beibehalten werden sollte, da er ja natürliche Ressourcen nutzen kann, die sonst ungenutzt bleiben. Der Pastoralismus weise auch ein Wirtschaftswachstum auf, das nicht zwingen in der Vergrößerung der Herde liegen muss. Die Möglichkeit, Kinder in die Schule zu senden, gilt bei den Wanderhirten auch als Wohlstandsgewinn.

Würden die Hirten, auch in Indien, kein schlechtes Image haben, gäbe es weniger Versuche die Weidelandschaften zu verlassen. Die Pastoralisten gelten in ihren Regionen oft als „altmodisch“.

Es ist aber auch ein Knochenjob, erläutert Prof. Schwarz. Die Arbeit ist schmutzig und oft langweilig.

Für Krisenjahre vorbeugen

Die Düngewirkung der umherziehenden Herden habe nach Sommerhalter noch nicht den agrarischen Stellenwert erhalten, den sie verdient. Die Konfrontation zwischen Hirten und sesshaften Ackerbauern basiert demnach auf Missverständnisse. Der Pastoralismus als kooperierendes System zum Ackerbau müsse besser kommuniziert werden.

Die Pastoralisten geraten immer nur in Krisenjahren unter Druck. Normalerweise sind die Fleischpreise ausreichend, so Sommerhalter. Aber wenn es kriselt, dann gibt es viel Fleisch und wenig Getreide. Das sinken die Fleischpreise und Getreide kann sich kaum mehr einer leisten. In den Jahren geben die Pastoralisten ihre Profession auf.



Zwergzebus am Stand von Tierärzte ohne Grenzen

Der Umkehrschluss weise den Weg zur effektiven Hilfe. Reserven für die Krisenjahre. Sommerhalter malt eine kleine Vision: Das Fleisch entspricht nicht den weltweit gehandelten Standards. Aber: Mit dem Aufbau einer Wertschöpfungskette Fleisch kann eine regionale Industrie mit Trocken- und Dosenfleisch auch über den Weltmarkt Einkommen generieren.

Die Geschlechterfrage

So facettenreich wie der Einblick in die pastorale Wirtschaft, ist auch die Geschlechterfrage. Während Berichten zufolge die Frauen in ostafrikanischen Pastoralsystemen oft diskriminiert werden, sind sie nach Köhler-Rollefson in Indien besser gestellt als bei den Ackerbauern. Sie verwalten das Geld und verkaufen das Vieh. In Indien gibt es das Sprichwort: Männer sind geradeaus wie eine Kuh, Frauen sind schlau wie ein Fuchs.

Roland Krieg; Foto: roRo

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