Pflanzenschutz 2030
Landwirtschaft
Chemischer Pflanzenschutz ändert sich, aber bleibt
Im Jahr 1900 hat ein Landwirt in Deutschland vier Menschen ernährt. Heute sind es 135, die zudem weit weniger Kartoffeln und mehr Fleisch verzehren. Für die Bearbeitung von 100 Hektar Ackerfläche arbeiteten 1900 noch 30 Menschen auf den Feldern. Heute sind es nur noch drei Arbeitskräfte.
Die Rolle des Pflanzenschutzes
Frank Gemmer beschreibt den riesigen Wandel, den die Menschen in Westeuropa und anderen Regionen der Welt in den letzten Hundert Jahren durchgeführt haben. Mit Technik und Innovation. Und im Bereich der Landwirtschaft mit chemischen Pflanzenschutzmitteln. Gemmer weiß wovon er spricht. Er ist Geschäftsführer der Adama Deutschland GmbH in Köln. Adama ist die Nummer vier im deutschen Pflanzenschutzmarkt, die Nummer eins bei den Generika. Zum jährlichen Fachsymposium nach Magdeburg über die Zunkunft des Pflanzenschutzes bis 2030 kamen mehr als 150 Praktiker zusammen. „Der Pflanzenschutz ist der Motor des Wohlstands“, sagte Gemmer auch hinsichtlich der sinkenden Absatzzahlen für den Gesamtmarkt im Jahr 2018. In Deutschland geht der Absatz jährlich um vier bis fünf Prozent zurück, die Trockenheit 2018 wird den Absatz wohl um neun Prozent senken.
Chemischer Pflanzenschutz
Prof. Dr. Andreas Tiedemann von der Georg-August-Universität Göttingen ergänzte vor dem Bild Unkraut hackender Frauen in einem Rübenfeld aus dem Jahr 1930 die Erfolgsgeschichte. Die Enkelinnen ziehen mittlerweile mit Anti-Pflanzenschutzmittel-Plakaten vor die Parlamente. „Das ist ein Teil des Problems“, so Tiedemann. Der Pflanzenschutz hat mit der Anbau- und Erntetechnik, sowie verbessertem Saatgut und Düngung die wachsende Weltbevölkerung vor größeren Hungerkatastrophen bewahrt. Der Ertragsanstieg resultiert aus Saatgut und Düngung, Technik und Pflanzenschutz hingegen stabilisieren die Erträge.
Angesichts der weltweiten Vor- und Nachernteverluste noch immer ein ungelöstes Problem. Die weltweit eingesetzten Mittel reduzieren die Verluste von 69 auf 32 Prozent. Pflanzenschutzmittel haben auch indirekte Effekte. Sie helfen Pflanzen, Wasser um 38 Prozent zu sparen, Stickstoff um 85 Prozent effizienter zu nutzen und senken den Energieeinsatz um 25 Prozent. Vor allem hilft der chemische Pflanzenschutz die Fläche um 103 Prozent zu reduzieren. Ein Zurück zur Vorkriegs-Landwirtschaft mit ökologischem Akzent würde die Menschen heute nicht so ernähren, wie sie es gern hätten.
Nach Tiedemann sind die Nahrungspflanzen eben auch durch den Menschen zu einer Kulturpflanze geworden und haben durch die Fokussierung auf den Ertrag die natürlichen Abwehrkräfte verloren. Deshalb sorgen die Landwirte auf einem monokulturell ausgeprägten Feld für beste Aufwuchsbedingungen der Ertragspflanze. Auf so einem Feld gehen bei konventioneller und ökologischer Wirtschaftsweise die Arten zurück. Die Biodiversität dürfe daher nach Tiedemann nicht auf einen Schlag, sondern auf eine Region bezogen gemessen werden.
Ernährungsrisiko
Die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln sind kein reales Ernährungsproblem. Menschen mit Übergewicht entwickeln Diabetes 2, sie nehmen Giftstoffe aus Pflanzen natürlicher Herkunft auf und erkranken an Mirkroben in Lebensmitteln. Doch selbst, wenn die mechanische Unkruatbekämpfung, die Fruchtfolge und die digitale Landwirtschaft Unkräutern vorbeugen können, so werde am Ende noch immer ein chemischer Eingriff für die Pflanze nötig sein, die durchgekommen ist. Für Tiedemann ist der Integrierte Pflanzenschutz, der dem chemischen Ansatz den letzten Mosaikstein zuschreibt, der zukunftsweisende Weg.
Was sagen die Landwirte?
In einer speziellen Umfrage von Adama zum Pflanzenschutzsymposium sehen die Landwirte das genauso. Ein Drittel und ein Viertel der landwirte glaubennicht oder eher nicht, dass der chemische Pflanzenschutz verboten wird. Landwirte sind technikaffin und 43 Prozent von ihnen rechnen 2030 damit, dass der klassische moderne Pflanzenschutz mit der ersten Generation von autonomen Feldrobotern konkurriert.
Das hört Prof. Dr. Jens Karl Wegener vom Julius Kühn-Institut (JKI) gern. Unter anderem hat er „seinen BoniRob“ [1] vorgestellt. Der Blick der Landwirte wendet sich der einzelnen Pflanze im Bestand zu. Boden- und Erntekartierungen können die Vielzahl an verschiedenen Bedingungen auf dem Feld nachzeichnen. Die Reihensaat wird bald abgelöst sein. Das JKI experimentiert mit der Gleichstandssaat, die jedem Saatkorn den gleichen Raum für die Boden- und Atmosphärennutzung zuspricht. Solche Bestände können von allen Seiten durchfahren werden. Die Präzisionslandwirtschaft gibt dem einzelnen Saatkorn einen genau koordinierten Standort zu, den alle nachfolgenden Maschinengänge berücksichtigen. So bekommt jede Pflanze, die Menge an Wasser, Dünger und Pflanzenschutz, die sie braucht. Mit Need-Farming sind die Niederländer auf den zurückliegenden DLG-Feldtagen dem Ziel schon sehr nahe gekommen [2].
In einem Versuch für ein 150 ha großes Weizenfeld hat Dr. Wegener die ganze Bearbeitungskette von der Aussaat bis einschließlich Ernte auf kleine, autonome Fahrzeuge übertragen. Ob das betriebswirtschaftlich ist, wird sich noch zeigen. Aber der Technik sind keine Grenzen gesetzt.
Welche Pflanzenschutzmittel?
Die Zahl der Wirkstoffe nimmt ab. Eine Umkehr ist nicht in Sicht. Aktuell arbeitet die Agrochemie mit immer neuen Tankmischungen als Rezept gegen auslaufende Zulassungen. Das gilt auch weiterhin. Doch im Hintergrund tut sich was, wie Dr. Georg Ahlers von Adama North Europe aufführte. Im Rahmen der Formulierungsentwicklung können beispielsweise ummantelte Glufosinolate als Blattherbizide sich über einen Zeitraum von 36 Stunden effizient wie nie in der ganzen Pflanze von der Wurzel bis zur Blattspitze verteilen. Die ersten Mittel für eine reduzierte Aufwandmenge mit geringeren Umwelteffekten werden in fünf bis sechs Jahren auf dem Markt sein. Die Formulierung gilt schon als „zweite Spielwiese“ der Chemie.
An den Landwirten liegt es nicht. Sie erwarten nach Aussagen in der Umfrage eine deutliche verbesserte Verbindung von Biologie, Digitalisierung und chemischen Pflanzenschutz und eine präzise Ausbringung ohne Abdrift und Restmengen.
Lesestoff:
[1] Der BoniRob auf der Grünen Woche: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/bonirob-und-vertikalisierung.html
[2] Präziser als Präzisions-Landwirtschaft: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/jeder-pflanze-nur-was-sie-braucht.html
Roland Krieg; Fotos: roRo