Pflanzenschutz im Ökolandbau
Landwirtschaft
Herausforderung Pflanzenschutz im Ökolandbau
Eines der am meisten diskutierten Themen im Bereich Lebensmittel sind die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, obwohl das Monitoring vor allem bei heimischen Früchten kaum Grenzwertüberschreitungen feststellt und die Gefahr von Salmonellen oder E.-coli-Bakterien real größer ist. So bot am Mittwochabend der Themenabend „Pflanzenschutz im Ökolandbau“ von der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) dem Auditorium auch etliche Grunderkenntnisse in diesem Bereich.
Vom Arsen zum Neonicotinoid
Der Kartoffelkäfer diente Dr. Stefan Kühne vom Julius Kühn-Institut (JKI) als Beispiel für eine kurze Historie des Pflanzenschutzes. Noch bis 1955 wurde der Käfer mit Arsen bekämpft. Das heute geächtete DDT als Vertreter der chlorierten Kohlenwasserstoffe galt als eine erfolgreiche Substitution. Erst danach wurden die Anreicherung im Fettgewebe und die Langlebigkeit in der Umwelt festgestellt. In den 1970er Jahren nahmen die Firmen die Natur als Vorbild und entwickelten synthetische Pyrethroide nach Vorlage der Chrysantheme. Die wirkten aber nicht nur auf die Schädlinge. Seit 2007 hofften Bauern und Agrochemiker auf Neonicotinoide, deren Bienengefährlichkeit jetzt zu einem Moratorium geführt hat [1].
Am Ende besteht der Pflanzenschutz aus Irrungen und Wirrungen und verändert seine Sichtweise im Zeitverlauf. Davon bleibt auch der Ökolandbau nicht verschont, der gegen den Falschen Mehltau noch immer Kupfer einsetzt. Vor allem in der beliebten Kulturlandschaft Steillagenweinbau bringen Winzer das Schwermetall seit 150 Jahren auf den Hang [2]. Waren es nach dem zweiten Weltkrieg noch bis zu 40 Kilogramm Reinkupfer pro Hektar und Jahr, bei Hopfen sogar bis zu 80 kg, sind es heute nur noch drei bis vier Kilo. Der Ökolandbau begrenzt die Menge auf drei Kilogramm pro Hektar und Jahr. Solange Kupfer im Ton-Humus-Komplex im Boden fixiert ist, scheinen die Mengen kaum Auswirkungen zu haben. Doch wird Boden in den Steillagen ausgewaschen und gelangt in Mosel, Saar und Ruwer. Dort bilden sich marintoxische Verbindungen. Vereinzelt sind in mit Kupfer behandelten Böden 500 mg Kupfer je Kilogramm Boden gebunden. Nach Kühne wirken diese Mengen schon auf Regenwürmer und führen zu einer Artenverschiebung im Ökosystem Boden.
Der Kampf gegen Mitesser
Seit der Mensch in der neolithischen Revolution Ackerbau betreibt versucht er seine Zielpflanze gegen knabbernde Insekten, um Nährstoffe und Wasser konkurrierende Begleitfauna oder vor Viren und Bakterien zu schützen. Der Pflanzenschutz, egal ob ökologisch oder konventionell, ist prägender Bestandteil des Ertragsniveaus. Der Ertrag ist ein wichtiger Faktor bei der Ernährung von neun bis zehn Milliarden Menschen und ökonomischer Betriebsteil bei der Umstellung auf den ökologischen Landbau. Wer von konventionellen Hochertragssorten auf das ökologische Ertragsniveau zurückfällt, der ist auf höhere Erzeuger- und Verbraucherpreise angewiesen.
Chancenlos sind Getreide- und Gemüsebauern nicht gegen Schädlinge. Aber sie haben ein geringeres Angebot, auf das sie zurückgreifen können. Herbizide gegen Unkraut und Ungräser machen rund 40 Prozent der im Handel befindlichen Mittel aus. 24 Prozent sind Fungizide gegen Pilze, 26 Prozent sind inerte Gase wie Kohlenmonoxid und Stickstoffverbindungen im Vorratsschutz, sieben Prozent sind Wachstumsregler und Insektizide nehmen lediglich einen Anteil von zwei Prozent ein. Der konventionelle Landwirt kann derzeit auf 580 Mittel mit 146 Wirkstoffen zurückgreifen; dem Ökobauern bleiben nur 241 Mittel mit 29 Wirkstoffen. Beide sind aber dem gleichen Schaderregerdruck ausgesetzt.
Ideen sind gefragt
Für den Anbau von gentechnisch verändertem Soja in Brasilien sind keine Fachkenntnisse notwendig. Das Geschäftsmodell herbizidresistenter Pflanzen macht Anbau, Pflege und Ernte einfach. Wer jedoch im Ökolandbau mit eingeschränkten Pflanzenschutzmitteln einen hohen Ertrag erwirtschaften will, der muss, so Kühne, „früher an später denken“. Die Ökobauern brauchen einen richtigen Plan, um gegen Insekten und Ungräser anzukämpfen und sind neben chemischen auf thermische und mechanische Mittel angewiesen [3]. Die Entwicklung von neuen Pflanzenschutzmitteln ist teuer. Die Kosten sind zwischen 1995 und 2005 von 120 auf 205 Millionen Euro angestiegen. Etwa 15 Jahre dauern Entwicklung, Prüfung und Zulassung eines neuen Wirkstoffes. Zeit und Kosten verengen aber den Forschungsblick [4]. Für ökologische Pflanzenschutzmittel oder für die Anwendung von kleinen Kulturen wie im Obst- und Gemüsebau entstehen Schutzlücken, weil sich die Entwicklung von Wirkstoffen kaum noch einspielen lässt.
Daher sind Ideen wie die Hohenheimer Zuchtbox gefragt [5]. Sclerotinia ist ein Pilz, der im Getreide für Weißstengeligkeit sorgt und auch den Raps bedroht. Ökobauern halten daher sehr weite Fruchtfolgen ein, um den bodenbürtigen Pilz auszutricksen, erläuterte Sascha Philipp, Betriebsleiter vom Landgut Pretschen in Brandenburg. Zwischen Gurken und Tomaten pflanzt er Getreide, das Getreideläuse anzieht, die das Gemüse in Ruhe lassen. Wegen der Getreideläuse finden sich aber räuberische Wanzen ein, die auch Schädlinge vom Gemüse fern halten.
Doch nicht alles lässt sich wirklich bekämpfen. Gegen den Echten Mehltau hilft nur Schwefel, der auf die Blätter ausgebracht wird. Bei der Bakterienwelke in Tomaten sind die Bauern sogar ganz machtlos. Weil diese Krankheit zu Anfang ähnlich aussieht wie die Krautfäule, ist sie schwer zu identifizieren. Hat sie sich einmal ausgebreitet, ist die ganze Ernte vernichtet.
Furcht vor der EU-Ökoverordnung
Die EU-Ökoverordnung wird gerade überarbeitet. Ein erster Entwurf ist bereits veröffentlicht und wurde vom Thünen-Institut evaluiert [6]. Die Ökobauern fürchten das Werk, weil es dem Ökolandbau großen Schaden zufügen könnte. Die Rückstandsgrenzwerte gelten für Öko- und konventionelle Produkte gleichermaßen. Das Monitoring des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren (BNN) schafft keine neuen Grenzwerte, sondern prüft einen selbst ernannten Orientierungswert. Sobald Produkte einen Wert oberhalb von 0,01 mg/kg aufweisen, prüfen die Beteiligten, was in der Prozesskette „schief gelaufen ist“, beschreibt Daniela Wannemacher vom BNN. Die Gründe sind vielfältig. Neben offensichtlichem Betrug kommen Abdrift, die Nutzung gleicher Maschinen oder Lagerräume oder kontaminiertes Verpackungsmaterial als Eintragsquelle infrage. Konventionelle Landwirte dürfen bei Temperaturen oberhalb von 25 Grad Celsius und Windgeschwindigkeiten von mehr als fünf Meter in der Sekunde keine Pflanzenschutzmittel ausbringen. Dennoch sieht die Praxis anders aus, wenn die Ernte- und Pflegearbeiten witterungsbedingt gleichzeitig anfallen. Große Ökoflächen sind dabei im Vorteil, von Abdrift verschont zu bleiben, stellt Dr. Kühnle fest.
Doch was bisher höchstens ein Ärgernis ist und nicht zu einer Aberkennung des Ökostatus führt, wird ein Riesenproblem, wenn die EU-Ökoverordnung Grenzwerte für Ökowaren einführt. Werden die dann überschritten, sind Aberkennung und mehrjährige Neuanmeldung für den Ökolandbau notwendig, fürchtet Sascha Philipp. Schadenersatz wird es wohl kaum geben, weil die Eintragsquelle in den meisten Fällen unklar bleibt.
Philipp und Wannemacher unterstreichen daher noch einmal, dass die Rückstandsproblematik in Bioprodukten kein Qualitätsfaktor des Biolebensmittels sei. Als die ökologische Landbewirtschaftung begann, wurde sie aus bäuerlicher Fachsicht beschrieben, weil die Böden müder wurden und die Erträge zurückgingen, so Philipp. „Bio definiert sich über den Prozess“, ergänzt Wannemacher. Deshalb arbeitet der BNN auch nur mit einem Orientierungswert. Führt die EU Grenzwerte für Bioprodukte ein, ist nicht nur die Existenz von Betrieben in Gefahr, sondern bestehe auch die Möglichkeit, konventionell erzeugte Produkte bei Einhaltung des neuen Wertes als Bioprodukt zu verkaufen. „Die Biobauern sind dann nicht mehr Herr ihrer Lage“, fürchtet Philipp.
Lesestoff:
[1] EU spielt Null-Summen-Spiel auf Zeit
[2] Kupfer im Ökolandbau reduzieren
[3] Abflammgerät und Trennhacke
[4] IVA fürchtet Kollaps im Pflanzenbau
[5] Hohenheimer Zuchtbox für die Lagererzwespe
[6] Evaluierung der EU-Ökoverordnung
Roland Krieg