Pflanzenschutzmittel in Entwicklungsländern
Landwirtschaft
Export und Nutzung von Pflanzenschutzmitteln im globalen Süden
Die Situation ist komplex. Komplexer als der Export von in den EU verbotenen Pflanzenschutzmitteln in den globalen Süden, was im vergangenen Jahr Schlagzeilen machte [1]. Den Firmen wird Doppelmoral vorgeworfen, aber die Zielländer haben auch eine eigene Verantwortung. Beispielsweise in der Bereitstellung von Schutzkleidung. Am Donnerstag haben Wissenschaftler in einer öffentlichen Anhörung ihre Studie im Auftrag des Entwicklungsausschusses im Europaparlament über die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln in Entwicklungs- und Schwellenländern vorgestellt. Der Export von in der EU nicht zugelassenen Wirkstoffen ist nur ein Teil der Frage nach dem richtigen Pflanzenschutz.
Fallstudie Kenia
Kenia diente den Experten als Fallstudie. Das Land hat in den vergangenen Jahren seinen Landwirtschaftssektor entwickelt und zum Teil in globale Wertschöpfungsketten integriert. Parallel ist die Nutzung von chemischen Wirkstoffen angestiegen. Kenia hat nach Aussage der Experten eine der besten Wissenschaftslandschaften des Kontinents und den besten Gesetzesrahmen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Dennoch mangele es an der Umsetzung. Es würden Mittel zugelassen, die schädlich für Gesundheit und Umwelt sind, es fehle an Kontrollen, es sind gefälschte Mittel und illegale Importe aus den Nachbarländern auf dem Markt. Im Wachstumsplan für die Landwirtschaft für die Zeit 2019 bis 2029 möchte Kenia dem Integrierten Pflanzenschutz nach Schadschwellenprinzip und prioritärer nicht chemischer Schädlingsbekämpfung den Vorzug geben.
Blick auf Brasilien
Studienautorin Juliana Dias Bernardes Gil ist brasilianische Agrarwissenschaftlerin und zog bei der Anhörung Parallelen zu Brasilien. Auch dort wachse der landwirtschaftliche Wirtschaftssektor und brauche künftig mehr Pflanzenschutzmittel (PSM). In den letzten fünf Jahren ist der Umsatz mit PSM um sechs und das eingesetzte Volumen um acht Prozent angestiegen. Aber wie in Kenia steigen die Vorwürfe der Zivilgesellschaft, mit den chemischen Stoffen und den Zulassungsprozessen nachlässig umzugehen. Viele Mittel sind nach Gil generisch neu komponiert. Die offizielle Zahl an Verunreinigungen der Umwelt zwischen 2007 und 2014 wird mit 25.000 angegeben. Nach Gil ist die Dunkelziffer deutlich höher. Die Mittel würden falsch und in zu großen Aufwandmengen eingesetzt. Aber: Wirksame Kontrollen gebe es vor allem bei großen Betrieben; die kleineren Betriebe, sofern sie PSM nutzen, sind auf Händler angewiesen, die undefinierte Mischungen anbieten und nicht klar angeben, wann und bei welchen Kulturen sie anzuwenden sind. So finde man Getreide-PSM mittlerweile auch in Holzprodukten und Gemüse.
Nahrungssicherheit
Das Thema chemischer Pflanzenschutz ist nicht neu. Die Agrochemie verkauft die Mittel weiter, weil angeblich die Klimabedingungen in anderen Ländern ein Verbot nicht rechtfertigten. Zudem werde das Thema Nahrungssicherheit in den Vordergrund gestellt.
Die Studie bezieht sich auf das Welternährungsprogramm, das 2020 zwar eine sinkende Nahrungssicherheit prognostizierte, die aber aus dem Komplex schwacher Weltkonjunktur, mangelnde Einkommensverhältnisse vor Ort, ein Rückgang der Rücküberweisungen von ausgewanderten Familienangehörigen und den durch die Pandemie bedingten Rückgängen an Entwicklungshilfe und Tourismus resultiere.
Richtig sei vielmehr, dass die Subsistenzlandwirte, die in der fragilsten Lebenssituation leben, meist weder Geld noch Zugang zu Betriebsmitteln wie PSM haben. Ihre Ernten sind Schaderregern am meisten ausgesetzt. Finden sie Zugang zu PSM fehle es an Beratern und Möglichkeiten, sie für den sicheren Umgang auszubilden oder ihnen nicht chemische Alternativen anzubieten.
Die wirklichen Wechselbeziehungen zwischen PSM und Ernährung, zwischen PSM und Haushaltseinkommen sind laut Studie nicht eindeutig identifiziert.
Allgemeines Umdenken im Pflanzenschutz
Studienautor Kees Jansen von der niederländischen Universität Wageningen unterstrich in der Anhörung, dass es weltweit den Trend zur Reduzierung des chemischen Pflanzenschutzes gibt. Als Beispiel nannte er das neu gegründete Pestizidforum in der Elfenbeinküste. Seiner Beobachtung nach forschen mittlerweile mehr regionale Wissenschaftler an den Auswirkungen des steigenden PSM-Einsatzes und veröffentlichen ihre Daten.
Xavier Pavard ist Leiter der EU-Gruppe für ländliche Entwicklung in Burundi und plädiert für eine Zusammenarbeit der Entwicklungs- und Schwellenländer mit der EU für einen sicheren Pflanzenschutz. In der 2020 vorgelegten Strategie Farm-to-Fork werde auf eine Reduzierung des PSM-Einsatzes und die Ausweitung der Agrarökologie hingewiesen.
Die deutsche Europaabgeordnete Marlene Mortler von der Europäischen Volkspartei (EVP) unterstreicht, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln für die Nahrungssicherheit im Süden notwendig sei. Der Ansatz Kenias für den Integrierten Pflanzenschutz und die Ausbreitung der digitalen Ausbringtechnik könne die ausgebrachten Aufwandmengen deutlich reduzieren. Europa habe mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und den nationalen Risikobewertungsinstituten eine umfangreiche Infrastruktur aufgebaut, die als Vorbild für den Süden denkbar sei. Die UN-Organisationen für Ernährung (FAO) und Gesundheit (WHO) spielten neben den regionalen Bauernverbänden und vor allem den Landfrauen vor Ort eine wichtige Rolle.
Juliana Gil betonte, dass es in der Studie nicht um die Abschaffung der Pflanzenschutzmittel gehe. Exporte gehen nicht alleine aus der EU in den Süden. Es brauche nach Gil einen globalen Ansatz. Nach Jansen haben FAO und WHO genug Leitsätze für die sichere Verwendung von PSM aufgestellt. Es mangele aber an der Umsetzung vor Ort. Wenn einmal ein Mittel zugelassen ist, finde kein weiteres Monitoring statt. Bei Pharmazeutika sei das anders. Nach Zulassung verfolgen die Behörden, ob das Mittel auch in dem gewünschten Maße wirke.
Exportverbot?
Ein Exportverbot von PSM, die in der EU verboten sind, scheint eine der schnellsten Regularien für sichere PSM zu sein. Kees Jansen hält die unterschiedliche Risikobewertung zwischen gemäßigten und subtropischen und tropischen Klimazonen für unwahrscheinlich. Demgegenüber könnte die EU mit einem Exportverbot weltweit im Süden an Reputation für eine sichere Agrarproduktion gewinnen. Juliana Gil ist vorsichtiger und warnt vor unerwünschten Effekten. Landwirte könnten zu Mitteln auf dem Schwarzmarkt greifen, Lebensmittelpreise könnten steigen. Ein Verbot müsse in Begleitmaßnahmen wie Schulung für alternative Produktionsweisen eingebettet werden.
Die Studie beschreibt die fehlenden Kapazitäten für Beratung, Forschung und Schutzausrüstung vor Ort. Ältere Stoffe aus der EU werden toxikologisch nicht neu bewertet, für die Importländer sind Risikodaten nicht transparent vorhanden und oft wüssten sie nicht, dass die Mittel in der EU bereits verboten sind. Jansen schlägt vor, solche Daten in eine öffentliche Datenbank zu übertragen.
Beweg sich schon was?
Das Unkrautmittel Paraquat diente im vergangenen Jahr als Paradebeispiel für den Export von in der EU verbotenen Mittel. Es wird in zahlreichen Kulturen eingesetzt und soll für die Hälfte der chemisch bedingten Sterbefälle in der Landwirtschaft verantwortlich sein. In der EU und der Schweiz darf das Mittel schon lange nicht mehr angewandt werden. Immerhin hat Brasilien 2017 ebenfalls ein Verbot in Erwägung gezogen. Im September 2020 trat es tatsächlich in Kraft. Kurzfristig – denn am 07. Oktober 2020 wurde die Zulassung mangels preiswerter Alternativen für das Wirtschaftsjahr 2020/2021 verlängert. Nach den Studienautoren haben die Landwirte sich mittlerweile einen Paraquat-Vorrat angelegt.
Rotterdamer Übereinkommen und PIC
Das Rotterdamer Übereinkommen zum internationalen Handel mit bestimmten gefährlichen Chemikalien ist das erste internationale Vertragswerk zum Import und Export von Chemikalien. Es erstreckt sich auf Industriechemikalien sowie auf Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel. Die Konvention wurde am 10. September 1998 in Rotterdam angenommen und trat am 24. Februar 2004 in Kraft, nachdem der fünfzigste Staat sie ratifiziert hatte. Mittlerweile haben 164 Staaten, darunter Deutschland, das Abkommen unterzeichnet. Das Übereinkommen will die Datenbank sein, von der Kees Jansen spricht. Allerdings untersagt das Abkommen den Handel nicht gänzlich, sondern informiert über die Mittel. Das wird im Abkommen als „Prior Informed Consent“ (PIC) bezeichnet. In Deutschland wird diese Datenbank vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) verwaltet.
Um auf die Liste der PIC-Stoffe zu kommen, muss eine Chemikalie oder ein Pflanzenschutz- oder Schädlingsbekämpfungsmittel aus Gesundheits- oder Umweltgründen in je einem Land aus mindestens zwei PIC-Regionen verboten oder in der Anwendung stark beschränkt sein. Weiterhin können sehr gefährliche Pflanzenschutzmittelformulierungen (=Zubereitungen), die unter den Anwendungsbedingungen in Entwicklungs- oder Schwellenländern Probleme verursachen, ins PIC-Verfahren aufgenommen werden. Die anfängliche Liste der PIC-Chemikalien bestand aus 22 Pflanzenschutzmitteln (davon fünf gefährliche Pflanzenschutzmittelformulierungen) und fünf Industriechemikalien.
Lesestoff:
[1] Exportierte Pflanzenschutzmittel: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/exportierte-pflanzenschutzmittel.html
Die EU-Studie: http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2021/653622/EXPO_STU(2021)653622_EN.pdf
Das Rotterdam-Abkommen http://www.pic.int/
Die aktuelle PIC-Liste: https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/04_Pflanzenschutzmittel/03_Antragsteller/13_Rechtsvorschriften/03_intern_abk/02_pic/02_rotterdam/psm_intern_abk_rotterdam_basepage.html
Roland Krieg
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