Phil Hogan wird neuer EU-Agrarkommissar

Landwirtschaft

Die EU erfindet sich neu

In dem Maße, wie die Probleme Energieversorgung, Friedenssicherung und Welternährung sowie Umweltschutz globalisiert werden, in dem Maße findet in Europa ein Rückzug auf das eigene Nest statt. Die Europa-Skeptiker scheinen mehr zu werden, obwohl fast die ganze Welt neidisch auf das einzige demokratisch gewählte Vielvölkerparlament schaut. Gerne hätten der Mercosur oder der ASEAN ähnliche Brücken für ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen.

Jetzt unternimmt Jean-Claude Juncker, der neue luxemburgische Kommissions-Präsident einen Umbau der Kommission, der am Ende mehr Bürger von der Idee Europa überzeugen soll. Am Mittwoch sagte er bei der Vorstellung seiner Liste der EU-Kommissare: „Mit dem Start der neuen Kommission haben wir die außergewöhnliche Gelegenheit, aber auch Verpflichtung, für einen frischen Start zur Bewältigung schwieriger geopolitischer Probleme, zur Stärkung der wirtschaftlichen Erholung und dem Bau eines geeinten Europas, das den Menschen Arbeit und Wohlstand beschert.“

Teamwork

Juncker setzt dabei auf ein erfahrenes Team aus neun früheren Premierministern, 19 früheren Ministern, sieben früheren EU-Kommissaren und acht Mitgliedern des Europäischen Parlamentes. Neun Frauen in der Kommission sind für Juncker zwar kein wirklicher Fortschritt, aber auch kein Schritt zurück.

Juncker stellt die Arbeitsweise der neuen Kommission um. Sie soll dadurch mehr als nur die Summe der einzelnen Teile sein und vor allem schneller und effektiver zusammenarbeiten. Daher wird es Vizepräsidenten geben, die mehrere Kommissionen koordinieren. Juncker stellt sich vor, dass die einzelnen Kommissionen je nach Bedarf anderen Vizepräsidenten zugeordnet werden und hat sie auch bereits in mehreren Projektteams aufgeführt. Diese stellen die vorrangigen „Projekte“ dar. Juncker kann nur mit Hilfe eines Vizepräsidenten neue Initiativen in das Arbeitsprogramm der Kommission aufnehmen. Die Vizepräsidenten entscheiden, wer die Kommission in ihrem jeweils zuständigen Bereich in anderen EU-Organen vertritt.

Die Projektteams

Die aufgeführten Kommissare sind die vorrangig zu den Projektteams zugeordneten.

Dem Projektteam „Neue Impulse für Beschäftigung, Wachstum und Investition“ steht der Finne Jyrki Katainen vor. Juncker: „Wieder Wachstum zu schaffen und Menschen zurück in angemessene Beschäftigungsverhältnisse zu bringen - das wird mein oberstes Ziel sein und sich als Richtschnur durch sämtliche Vorschläge ziehen, die wir vorlegen werden.“ Mitspieler sind die Kommissare Pierre Moscovici aus Frankreich (Wirtschaft und Finanzen), Marianne Thyssen aus Belgien (Soziales, Beschäftigung und Eurostat), Elzbieta Blenkowska aus Polen (Binnenmarkt, Industrie und Firmen), der Brite Jonathan Hill (Finanzstabilität und Bankenunion), Andrus Ansip aus Estland (digitale Wirtschaft und digitale Gesellschaft), Miguel Arlas Canete aus Spanien (Klima und Energie), Vytenis Andriukaltis aus Litauen (Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) und Maros Sefcovic aus der Slowakei (Verkehr und Transport).

Das Projektteam „Digitaler Binnenmarkt“ wird vom Esten Andrus Ansip geführt. Juncker: „Durch die Schaffung eines vernetzten digitalen Binnenmarkts könnten wir während der Amtszeit der neuen Kommission ein zusätzliches Wachstum von bis zu 250 Mrd. EUR erzielen; dies bedeutet hunderttausende neuer Jobs, insbesondere für junge Arbeitsuchende, und eine lebendige und aktive Wissensgesellschaft. Die EU sollte Vorreiter in der Kreativwirtschaft werden, gleichzeitig aber auch die kulturelle Vielfalt uneingeschränkt wahren.“ Mitkommissare sind: Elzbieta Blenkowska aus Polen (Binnenmarkt, Industrie und Firmen), Marianne Thyssen aus Belgien (Soziales, Beschäftigung und Eurostat) und die Tschechin Vera Jourova (Justiz, Konsumenten), Pierre Moscovici aus Frankreich (Wirtschaft und Finanzen), Corina Cretu aus Rumänien (Regionalpolitik), Günther Oettinger aus Deutschland (Digitale Agenda und Telekom) sowie der Ire Phil Hogan (Landwirtschaft).

Das Projektteam Energieunion und Klimaschutzpolitik wird geleitet von Alenka Bratusek aus Slowenien (Energieunion). Juncker: „Ich möchte die Energiepolitik Europas reformieren und eine neue europäische Energieunion schaffen. Wir müssen unsere Ressourcen bündeln, unsere Infrastrukturen kombinieren und unsere Verhandlungsmacht gegenüber Drittländern stärken. Wir müssen unsere Energiequellen diversifizieren und die hohe Energieabhängigkeit einiger Mitgliedstaaten abbauen.“ Teamkommissare sind: Maros Sefcovic aus der Slowakei (Verkehr und Transport), Elzbieta Blenkowska aus Polen (Binnenmarkt, Industrie und Firmen), Karnenu Vella aus Malta (Umwelt und Fischerei), Corina Cretu aus Rumänien (Regionalpolitik), Margarethe Vestager aus Dänemark (Wettbewerb), der Ire Phil Hogan (Landwirtschaft) und Carlos Moedas aus Portugal (Wissenschaft und Innovation).

Das Projektteam für den Euro und den sozialen Dialog wird von Valdis Dombrowski aus Lettland (Euro und Sozialdialog) geleitet. Juncker: „Die Krise gewährt uns derzeit nur eine Atempause. Diese Pause müssen wir nutzen, um die beispiellosen Maßnahmen, die wir während der Krise ergriffen haben, zu konsolidieren und zu ergänzen, zu vereinfachen und sozial stärker zu legitimieren. Dass in einer Krise Reeder und Spekulanten noch reicher werden, während Rentnerinnen und Rentner nicht mehr über die Runden kommen, ist mit der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar.“ Mitstreitende Kommissare sind: Pierre Moscovici (Steuern und Zoll), Marianne Thyssen aus Belgien (Soziales, Beschäftigung und Eurostat), der Brite Jonathan Hill (Finanzstabilität und Bankenunion), Elzbieta Blenkowska aus Polen (Binnenmarkt, Industrie und Firmen), Tibor Navrasics aus Ungarn (Bildung und Kultur), Corina Cretu aus Rumänien (Regionalpolitik) und die Tschechin Vera Jourova (Justiz, Konsumenten).

Frans Timmermanns ist die rechte Hand des Kommissionspräsidenten und erster Vizepräsident. Der Niederländer steht der Kommission für Regulierung vor und arbeitet vor allem mit dem Griechen Dimitris Avrampopoulos (Einwanderung und Inneres) sowie mit der Tschechin Vera Jourova (Justiz, Konsumenten) zusammen.

Die Vizepräsidentin für Haushalt und Personal, Kristalina Georgieva aus Bulgarien, arbeitet mit allen Kommissaren zusammen und soll die Ressourcen optimal einsetzen. Dazu gehört ein verstärkter Einsatz digitaler Technologien. Außerdem soll sie bis zum Ende ihrer Amtszeit den Frauenanteil in der höheren und mittleren Kommissionsebene auf 40 Prozent erhöhen.

Die „zweite“ Frau in der neuen EU-Kommission ist die Italienerin Federica Mogherini. Sie ist zuständig für die Außen- und Sicherheitspolitik. Sie wird vorrangig mit Johannes Hahn aus Österreich (Nachbarschaft und Erweiterungsverhandlungen), Neven Mimica aus Kroatien (Entwicklungszusammenarbeit), Cecilia Malmström aus Schweden (Handel) und Christos Stylianides (Humanitäre Hilfe und Zivilschutz) zusammen arbeiten.

Juncker betonte am Mittwoch, dass es trotz dieser Einteilung keine Ersten und Zweiten Kommissare geben wird. Das Modell soll die Säulenmentalität innerhalb der Fachbereiche auflösen und ressortübergreifendem Denken Platz machen. Dennoch wird die Polin Elzbieta Blenkowska mit ihrer neuen Kommission für den Binnenmarkt, Industrie, Unternehmen und KMU das „Maschinenhaus“ der Realwirtschaft sein. Pierre Moscovici wird mit seiner Steuerabteilung den Weg in eine Wirtschafts- und Währungsunion forcieren und Vera Jourova gibt den Verbrauchern eine stärkere Stimme in der Justizkommission. Die Anbindung der Nachbarschaftskommission unter Johannes Hahn an Federica Mogherini werde den Fokus auf die Vergrößerung der EU legen, auch wenn innerhalb der nächsten fünf Jahre kein neuer Mitgliedsstaat hinzukommen wird.

Phil Hogan folgt MacSharry

Europas Bauern werden sich an Phil Hogan orientieren müssen. Der Ire ist in Kilkenny geboren und bekam vom irischen Landwirtschaftsminister Simon Coveney Erwartungen mit auf den Weg. Für Irland hat die Landwirtschaft immer eine große Bedeutung gehabt. Deshalb ist die Ausformung der Gemeinsamen Agrarpolitik für das Land und seine Politiker wichtig. Die Iren setzen auf ein starkes Agrarbudget.

Der frühere Umweltminister Hogan ist nach Ray MacSharry der zweite Ire, der die EU-Agrarkommission besetzt. Die Fußstapfen sind groß. 1992 machte sich MacSharry einen Namen durch die Kürzung der Interventionspreise um rund ein Drittel und der Einführung einer nach Kulturen gestaffelten Flächenbeihilfe. Hogans Vorgänger führte die Flächenstilllegung ein, um der Überproduktion in der EU endlich Herr zu werden. Mit dem Namen MacSharry ist die Entkoppelung der Agrargelder von der Produktionsmenge verbunden, die noch heute als modernes Leitbild gilt. Er beschloss zudem umweltverträgliche Produktionsverfahren.

Auch wenn die GAP mittlerweile beschlossen ist, steht Phil Hogan vor großen Aufgaben. Unter seiner Kommission wird TTIP verhandelt, steigt der Euro-Skeptizismus vor allem über das Agrarbudget und er muss sich gleich mit den Effekten der russischen Agrarpolitik auseinander setzen.

Hogan gehört der „Familie der Iren“ an. Die „Fine Gael“ wurde 1933 gegründet und setzte sich für die irische Unabhängigkeit ein. Die Partei sieht sich in der progressiven Mitte und ist den Christdemokraten in Deutschland nahe. Die Zugehörigkeit zur EU steht außer Frage. Als Umweltminister musste Hogan in den letzten Jahren die politischen und wirtschaftlichen Reformen Irlands begleiten, was vor allem für einen Umweltpolitiker eine starke Kürzung der Haushaltsmittel bedeutete. Vor seiner Zeit als Umweltminister war er vier Jahre lang Sprecher für Umwelt und regionaler Regierungsstruktur bei Fine Gael. In seinem Heimatort Kilkenny hat er die lokale Regierung so weit ertüchtigt, dass sie der Haupttreiber für Beschäftigungsprogramme und Industrieansiedlung wurde.

Außerdem hat Phil Hogan ein Herz für Verbraucher. Er führte die „Give it back“-Steuer-Kampagne an. Tausende von Verbrauchern profitierten von Steuerrückzahlungen, was zur Gründung einer nationalen Verbraucherorganisation geführt habe.

Unliebsame Fragen

Phil Hogan muss Gegenwind durchaus fürchten. Heimischen, wie Miriam O´Callaghan, Fernsehmoderatorin beim irischen RTE-Fernsehsender sagte. Dort analysiert sie Nachrichten und begann 1993 mit Marktanalysen . Fünf der elf irischen Europaabgeordneten stimmten gegen Hogan und die sechste, Marian Carthy von Sinn Fein, wolle sich erst nach Zuordnung einer Kommission für Hogan entscheiden. Zwei Widersacher, Matt Carthy und Luke Flanagan sitzen zudem noch im neuen Agrarausschuss. O´Callaghan glaubt an harte Wochen für Phil Hogan. Es geht um Briefe, die Phil Hogan 2012 an Nachbarn in Kilkenny geschrieben haben soll, um die Unterbringung einer Traveller-Familie in der Nachbarschaft zu verhindern. Dieser Eingriff wurde von der Opposition als Benachteiligung ausgelegt. Es ging um eine Familie mit sieben Kindern, die in Bonnettstown frisch eingezogen war. Später hat ein Ministeriumssprecher den Brief bestätigt - aber mit der Unterschrift eines Mitarbeiters, berichtete Irish Echo. Gerade die Traveller sind in Irland und England ein sensibles Thema. Die Familie habe viele Jahre auf ein Haus warten müssen. Nessa Childers, eine parteilose Europaabgeordnete aus Irland, machte diesen Vorfall in einem Brief an alle Sozialdemokraten des Europaparlaments öffentlich und äußerte ihre Zweifel an der europäischen Politikfähigkeit Phil Hogans.

Es gibt noch eine andere Geschichte, die 2011 vor allem in der heimischen Politik hochkochte. Dabei geht es um „Irish Water“, des halbstaatlichen neu formierte Wasserver- und Abwasserentsorger in ganz Irland. Bei der Aufsetzung von „Irish Water“ wurden mehrere zehn Millionen Euro an verschiedene Beratungsfirmen vergeben, was ebenfalls von RTE jüngst wiederholt wurde. Das war die Hälfte der staatlichen Beihilfen.

Zustimmung des EU-Parlamentes

Als nächstes muss das EU-Parlament der Liste zustimmen. Einschließlich dem Präsidenten und der Hohen Vertreterin für die Außenpolitik. Zu diesem Zweck findet vor den jeweiligen Ausschüssen eine Anhörung der einzelnen Kommissionsmitglieder statt.

EU soll Klimaschutzvorreiter werden

Bei einem Besuch des Europäischen Parlamentspräsidenten Martin Schulz äußerte sich am Mittwoch auch Mary Robinson zum neuen Parlament und der neuen Kommission. Die frühere Präsidentin Irlands ist jetzt Sonderbotschafterin der UN. Der Klimawandel werde für die EU der Schlüsselbereich sein, sagte Robinson und wünschte sich von der Gemeinschaft eine Vorreiterrolle bei der Lösung des Themas. Im Oktober müsse die EU ein Zeichen setzen und die Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent senken. Ehrgeizige Klimapläne sind die Zukunft für Europas Wirtschaft und Beschäftigung. Robinson war UN-Botschafterin für Menschenrechte in der Zeit zwischen 1997 und 2002. Für sie ist der Klimawandel eine Frage des Menschenrechts. Fortschritte in der Entwicklungshilfe können durch Effekte des Klimawandels aufgehoben werden. Der Klimagipfel in New York nächste Woche sollte einen Wendepunkt in der weltweiten Klimadebatte einlösen.

Roland Krieg; Foto: EU-Kommission; Internetseite von Phil Hogan

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