Politik gegen Hunger

Landwirtschaft

Liberalisierung des Agrarhandels

> Der Welternährungstag brachte es bereits ans Licht: Das Ziel bis 2015 die Anzahl der Hungernden Menschen zu halbieren gilt fast schon als verfehlt. Der Begriff Liberalisierung der Märkte schürt Existenzängste in den Industrieländern, von denen industrielle Produktion nach China und Dienstleistungen nach Indien gehen. Die Opfer der offenen Agrarmärkte stehen auch bereits fest: Die Armen in den Entwicklungsländern. Doch ob das tatsächlich so ist, bleibt umstritten. Kann eine Liberalisierung des Agrarhandels auch einen Beitrag zur Armutsbekämpfung und zur Ernährungssicherung sein? Im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO steht der Abbau von Exportsubventionen für unbegrenzten Handel. Wandlung von Subventionen in Direktzahlungen und freie Marktzugänge geben den Waren freien Lauf – auf Kosten der Armen? Bis Freitag abend läuft noch eine insgesamt dreitätige internationale Konferenz auf Einladung des Verbraucherministeriums in Berlin: 250 Teilnehmer aus über 70 Länder erarbeiten in verschiedenen Arbeitskreisen Empfehlungen und Kriterien, wie die Handelsempfehlungen im Agrarbereich sowie deren begleitenden Maßnahmen bestmöglich zugunsten der Armen und Unterernährten entwickelt werden können. So Ministerin Renate Künast in ihrer Eröffnungsrede. Die Empfehlungen fließen in die nächste Weltwirtschaftsrunde mit ein.

Gespenst der Liberalisierung
Die ersten Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen kennzeichneten gleich den unheimlichen Spannungsbogen: Liberalisierung ist etwas Unvermeidbares, dass es trotz größtem Misstrauen, dass es den Armen nicht hilft, geben wird. Daher gilt es, die Vorteile der Liberalisierung für die Armen nutzbar zu machen. Es geht um „Minimierung der Anpassungskosten“. Die 800 Millionen Armen auf der Welt „brauchen die Märkte des Nordens“. Und genau hier setzen die Kritiker an. „Entwicklungsländer dürfen nicht zu einer undifferenzierten weiteren Öffnung ihrer Agrarmärkte gezwungen werden“, so Armin Paasch von der Nicht-Regierungsorganisation FIAN (Foodfirst Information & Action Network). Subventionierte Billigexporte in die Entwicklungsländer machen regionale Märkte kaputt. Außerdem sieht der liberalisierte Handel Ausnahmeklauseln für „sensible Produkte“ vor, gegen die sich die Nordmärkte weiterhin abschotten können. So wird auch über dieses Arbeitstreffen hinaus der Satz von Germanwatch stehen bleiben: Bei „der WTO geht es gar nicht um „Entwicklung“, um die Erreichung eines „fairen“ Agrarhandelssystems, sondern in erster Linie darum, die Interessen der agrarexportierenden Länder aus dem Norden abzusichern.“

Den Blick schärfen
Handel ist jedoch nicht das wichtigste Element in der Armutsbekämpfung, kann allerdings auch nicht ignoriert werden. Thomas W. Hertel von der amerikanische Purdue Universität warf einen deutlichen Blick auf das Dilemma und die Komplexität der Armut. Natürlich sollen die Bauern höhere Erzeugerpreise für ihre Produkte bekommen und damit mehr Einkommen erzielen. Höhere Preise auf der Erzeugerstufe bedeuten jedoch auch gleichzeitig höhere Verbraucherpreise, die sich die Menschen, die für Lebensmittel 50 Prozent ihres Etats opfern müssen, kaum leisten können. Preise und Warenverfügbarkeit sind die meisten Forschungsziele von Armutsstudien, so der Experte weiter. Armut hat jedoch noch weitere Verknüpfungen: Arbeitsplätze, Steuern und Investitionsanreize können Armut genauso bedingen und sind regional verursacht. Zwei Familien, die gleiche Einkommen haben und für die gleichen Dinge Geld ausgeben, können zwei völlig verschiedene Einkommensmuster haben: Rein landwirtschaftlich, zusätzliche Transfereinkommen vom Staat oder von Verwandten, Fremdarbeit auf dem Land oder in der Stadt. In Brasilien beispielsweise sind es nur 4 Prozent aller Familien, die ausschließlich aus der Landwirtschaft Einkommen erzielen. Genau dies sind überdurchschnittlich arm. Je rund 27 Prozent der Familien auf dem Land und Arbeiter in der Stadt verdienen 1 Dollar pro tag. Das sind die ersten, die unter der Liberalisierung leiden. Die Menschen, die in der Landwirtschaft eigenen Boden bewirtschaften und Haushalte, die Einkommen aus verschiedenen Berufen erzielen werden zu den Gewinnern der Liberalisierung zählen.
Hertel zeigte am Bespiel Mexikos, dass günstige Weltmarktpreise nicht zwingend lokale Bauern erreichen müssen. Im Norden zur amerikanischen Grenze hin, profitieren die Menschen vom Handel, während im Süden dieser Vorteil verloren geht. Fehlender Wettbewerb und schlechte Infrastruktur verringern den Ertrag. Die Transporteure schöpfen das Geld bereits vorher ab. Die Wirtschaftskrise in Asien Ende der 1980er Jahre ließ in Indonesien die Löhne um 60 Prozent fallen. Die Menschen haben durch längere Arbeit den Verlust auf 37 Prozent reduzieren können und durch Einbeziehung des Eigenverbrauchs fiel der Verlust mit 21 Prozent sogar noch geringer aus. Der Arbeitsmarkt im ländlichen Raum stieg durch Wanderungen von der Stadt auf das Land um 20 Prozent.
Das mag verdeutlichen, wie flexibel die Menschen vor Ort sind, dennoch klingen die Berechnungen zynisch, denn von 1 Dollar ausgehend retten die Arbeiter durch mehr Arbeit 79 Cent – pro Tag.

Praxis hinter der normativen Kraft
Bereits vor zwei Jahren berichtet Herd-und-Hof.de über den ersten Arbeitskreis „Politik gegen Hunger“ der FAO (23. und 24.05.2004) und stieß bei der Bekämpfung von Hunger und Armut auf normative Strukturen. Welchen direkten Einfluss der Norden auf ländliche Strukturen anderer Länder haben kann zeigt folgendes praktisches Beispiel:
Der Verband der Baumwollsaaterzeuger in Indien, der aus transnationalen Konzernen besteht, verabschiedete ein Schema, das so genannte „Operation Chaitanya“ zur Abschaffung von Kinderarbeit. Werden Bauern zum ersten Mal erwischt Kinder auf der Farm zu beschäftigen, wird das öffentlich gemacht und dem Bauern eine Frist gesetzt, die Situation zu bereinigen. Beim zweiten Mal wird ein bestimmter Prozentsatz vom Erzeugerpreis einbehalten und beim Dritten mal wird die Baumwollsaat nicht mehr abgenommen. Umgesetzt wird dieses Schema jedoch nicht, weswegen Germanwatch eine Beschwerde gegen Bayer bei der OECD eingereicht hat (s. Herd-und-Hof.de vom 15.10.2004).

roRo

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