Produkte aus der Zellfabrik
Landwirtschaft
Symposium Biokonversion der FNR
> Wer bei dem Begriff „nahwachsende Rohstoffe“ nur an Biodiesel denkt und bei Gentechnik nur über den Streit zwischen Ökoverbände und Gentechniklobby, der wird bei dem den meisten noch unbekannten Begriff der „Weißen Biotechnologie“ (WBT) auf gängige Routine, Alternativen zu fossilen Brennstoffen, Wachstumsdynamik und Arbeitsplatzsicherung stoßen. In Frankfurt/M. tagte die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (www.fnr.de) in den Räumen der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. (DECHEMA) zwei Tage lang über Biokonversion. WBT und Gentechnik
Im 5. Jahrtausend vor Christus wurde bereits in gewerblichen Brauereien Bier hergestellt. Dabei wird durch Enzyme Stärke in Zucker gespalten und teilweise in Alkohol umgewandelt: Fermentation und Gärung.
Biotechnologische Prozesse, die nicht unbedingt mit Gentechnik verbunden sein müssen.
Nachwachsende Rohstoffe müssen nicht nur aus Raps für Biodiesel oder aus Kartoffeln für kompostierbare Verpackungen bestehen. Duftaromen, Kosmetik oder Weichmacher für Kunststoffe kommen als Rohstoff ebenfalls alle aus der Landwirtschaft und dieser wird mit Hilfe von Mikroorganismen, Zell- oder Gewebekulturen über ihren natürlichen Stoffwechsel zum gewünschten Produkt hin verändert. Die große Zahl an Referenten des Symposiums spiegelte auch die Vielfalt der kleinen Feinheiten in er Definition wieder, was Weiße Biotechnologie ist.
In den vergangenen Jahren vollführte das Verbraucherministerium (BMVEL) unter grüner Regie einen Spagat, dass Grüne Gentechnik abgelehnt, aber die Weiße Gentechnik gefördert wurde, so Dr. Engert aus dem Ministerium in seiner Begrüßungsrede.
Wachstum WBT
Er sieht in der Teilnahme von Wirtschaftsvertretern und der Fachpresse, dass die WBT nicht mehr nur noch in Wissenschaftlerkreisen diskutiert wird. Indien und China haben einen wachsenden Rohstoffhunger, der nur durch eine Rohstoffwende gesättigt werden könne. Als noch Zugochsen den Transport in der Landwirtschaft übernommen hatten, musste etwa ein Viertel der Fläche als Futter für die Zugtiere bereitgehalten werden. Heute sind wiederum rund 25 Prozent er Fläche als Rohstofflieferanten notwendig. Im Bereich der Bioenergie „sind die Auftragsbücher voll“, doch müsse man sich schon fragen: „Wo soll das alles wachsen?“, so Dr. Engert.
Wirtschaftprognosen sagen bereits einen Anteil bis zu 15 Prozent der WBT an der gesamten chemischen und pharmazeutischen Industrie voraus – was allerdings in der Branche als eine ambitionierte Ziellinie gesehen wird. Aber: Zuckerrüben und Kartoffeln können auch für die Industrie wachsen. Bis 2001 haben sich in Deutschland rund 350 Biotechnologiefirmen gegründet, von denen acht Prozent im „weißen Bereich“ arbeiten: Chemie, Kosmetik, lebensmittelverarbeitende Industrie, Holz und Papier. Dr. Christian Müller aus dem Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) listete die Vorteile WBT am Beispiel von Riboflavin (Vitamin B2) auf. Die biotechnologische Herstellung verbraucht 25 Prozent weniger Energie, erzeugt 30 Prozent weniger Abwasser und nutzt 75 Prozent weniger fossile Rohstoffe.
Aber es gibt auch Barrieren für die neue Technik: Die Gentechnik hat im Allgemeinen eine niedrige Akzeptanz, die Investitionskosten sind sehr hoch und der Wissenstransfer von der Wissenschaft in die Praxis ist zu langsam. 2001 begann ein Auswahlverfahren für heute 39 Projekte mit 160 Partnern. Von den 60 Millionen Euro Fördergelder stammen 22 Mio. aus privater Hand. 16 Projekte beschäftigen sich mit der Grund- und Feinchemie, sieben Projekte fördern innovative Wirtschaften und sechs Forschungen liegen im Lebensmittelbereich. Produziert wird hauptsächlich dort, wo auch schon die Grundlagenforschung angesiedelt ist: Das Rheinland, der Stuttgarter Raum und der Raum Aachen/Jülich stehen dabei ganz vorn.
Förderschwerpunkt Biokonversion
Öl aus Raps und Sonnenblumen, Hanf und Kenaf liefern Fasern, Saflor und Krapp färben Textilien, Ackerbohnen und Lupinen liefern Proteine. Der Reichtum ganzer Regionen gründete sich auf den Anbau dieser Pflanzen und der Handel mit diesen Rohstoffen blühte. Kohle und vor allem Erdöl haben diese Traditionen begraben, die nun wieder aufleben sollen. Das BMVEL Förderprogramm nachwachsende Rohstoffe durch die FNR umfasst 24 Vorhaben in 12 Konsortien, die zwischen 2004 und 2007 bearbeitet werden sollen. Auf dem Symposium haben die Wissenschaftler die ersten Ergebnisse einiger Projekte vorgestellt (Herd-und-Hof.de wird nächste Woche im zweiten Teil detaillierter darüber berichten).
Dr. Kütt, Generaldirektor für Forschung im Agrarbereich und der Biotechnologie bei der EU in Brüssel musste bekennen, dass die WBT erst im kommenden 7. Rahmenforschungsprogramm ab 2007 aufgenommen werden. Die EU will sich mit der Vorgabe von 2000 in Lissabon bis zum Jahre 2010 zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft etablieren. Alleine der steigende Fleischbedarf in Indien und China stelle die Landwirtschaft vor enormen Herausforderungen, so Dr. Kütt. Die Erträge auf der kultivierten Fläche müssten verdoppelt werden, da in Europa vor allem auf der iberischen Halbinsel Ackerfläche durch Trockenheiten verloren gehen. Biotechnologie gibt eine Chance, den zukünftigen Erfordernissen gerecht zu werden. Die Eu will vergleichbare Förderschwerpunkte wie in Großbritannien, Belgien und Skandinavien vernetzen. Was alles gefördert werden soll steht noch nicht fest, da sich die Länder noch nicht über die Fördersummen geeinigt haben.
Was ist alles möglich?
Glucose ist ein recht einfacher Ausgangsstoff der weltweit zu etwa 80 Millionen Tonnen in der Chemie verwendet wird. Daraus können Mikroorganismen über die Fermentation Ethanol für den Tank oder Ethylamin, das als Grundstoff für die verschiedensten Synthesen in der Chemie genutzt werden kann. Glucose kann aber auch über 1,3-Propandiol zu PTT umgewandelt werden: Dieser Stoff macht die Flaschen „unkaputtbar“.
Dr. Stephan Freyer von der BASF sieht in der Genomentschlüsselung, dem Proteinengineering und dem Modellieren die bereits erarbeiteten Vorteile, Enzyme und Mikroorganismen für sich arbeiten zu lassen. Das dabei nachwachsende Rohstoffe zum Einsatz kommen, verdanken die Chemiker den steigenden Energiepreisen, denn bisher bauen sie ihre Stoffe aus dem Erdöl. Pflanzen aus der Landwirtschaft haben einen geschlossenen CO2-Kreislauf und die Überschusssituation für Lebensmittel gibt überhaupt erst die Flächen frei, die für den Anbau von Rohstoffen genutzt werden kann. In Deutschland könnten auf 2 Millionen Hektar Fläche rund 3 Millionen Tonnen Produkte für Chemie und Pharmazie „wachsen“.
Dr. Freyer sieht allerdings einen neuen Wettbewerb voraus. Rapsöl kann in den Tank oder in den chemischen Fermenter gelangen. Das werde sich dann auch auf die Preise des Rohstoffes auswirken.
Eine weitere Grenze geben die keinen Helfer selbst vor, denn für die Feinchemie, Aroma- und Duftstoffe sind die Produktmengen mit nur wenigen Hundert Gramm pro Liter Lösung am Tag recht gering. Mit Hilfe der Gentechnik kann gezielt in den Stoffwechsel eingegriffen werden, um eine höhere Effizienz zu erlangen, stellte Prof. Dr. Hermann Sahm vom Forschungszentrum Jülich fest. Ein Bakterium ist die kleinste funktionierende Lebenseinheit und weist rund 3.000 Gene, 3.000 Proteine, 2.000 Stoffwechselprozesse und rund 1.000 Metaboliten auf. Diese Komplexität auf kleinstem Raum muss die Systembiologie erst noch ganz und gar verstehen, damit die Zellfabriken nicht nur die gewünschten Stoffe herstellen, sondern auch neue Stoffe entwickeln können. Dabei ist erst ein Prozent der 4,5 Millionen Mikroorganismen in den Laboren kultiviert und daher in der Biodiversität der kleinsten Lebewesen „noch ein Schatz zu heben“, so der Molekularbiologe. Seine Vision: isolierte DNA in ein Bakterium einsetzen und neue Stoffe produzieren.
Wissenschaftsverständnis
Fast alle Referenten nannten die Ablehnung der Gentechnik als Hemmnis für die WBT. Dabei muss differenziert werden, dass die in der Humanmedizin eingesetzte Rote Gentechnik durchaus eine Höhere Akzeptanz hat, weil offensichtlich der individuelle Nutzen größer ist, als in der Grünen Gentechnik der Landwirtschaft. Bei den Mikroorganismen gibt es weniger ethische Bedenken und da die kleinen Helfer in geschlossenen Kreisläufen arbeiten, sehen die Wissenschaftler des Symposiums keine Gefährdung. Am Rande der Veranstaltung danach befragt verwies Dr. Andreas Schütte, Geschäftsführer der FNR gegenüber Herd-und-Hof.de darauf, dass die Verbraucher die Produkte der gentechnisch veränderten Mikroorganismen ja bereits verwenden. Sie sind im Verzehr und in den Schminktöpfen. Die chemische Industrie setzt neue biotechnologische Verfahren bei den Produkten ein, die bereits nachgefragt sind.
Auf der Tagung wurde eine neue Software vorgestellt, die Prozesse ökonomisch und ökologisch bewertet. Als eine der sozialen Kriterien galt der gesellschaftliche Dialog. Die Vorteile der Biotechnologie sind unübersehbar, wohl auch in der gentechnischen Variante. Allerdings wissen die Verbraucher kaum, dass die Pflegenachtcreme Stoffe enthält, die von gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert worden sind. Das zu wissen ist Verbraucherrecht und wichtig, weil Milch von Kühen, die gentechnisch verändertes Futter zu fressen bekamen von einigen Organisationen als „Genmilch“ bezeichnet wird. Wissenschaftler sind in der Lage Feinheiten auseinander zu halten, gelegentlich auch manche Politiker – aber gewiss nicht der Verbraucher, der alles bezahlt: Die Forschungsgelder und die Produkte! Die Diskussion um die grüne Gentechnik hat sogar schon dazu geführt, dass die klassische Züchtung mit Vorbehalten gesehen wird. Daher sollte der gesellschaftliche Dialog über die „Weiße Biotechnologie“ auch offensiv geführt werden.Die WBT hat vielleicht auch die Chance, sich mit der Grünen Gentechnik sachlicher auseinander zu setzen.
Ausblick
WBT ist ein Milliardengeschäft. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, weil meistens immer nur Teilbereiche einzelner Stoffe angegeben sind. Das Einsparpotenzial fossiler Energien gibt Dr. Martin Patel von der Universität Utrecht mit 30 Prozent zum heutigen Zeitpunkt an. Zukünftig wird es bei 50 Prozent liegen. Wenn bei der Zuckergewinnung aus Zuckerrohr die Bagasse sogar noch verstromt wird, dann steht die chemische Industrie sogar als Nettoenergieerzeuger dar. Unter besten Voraussetzungen können 2050 in der organischen Chemie 113 Mio. Tonnen aus der WBT hergestellt werden. Das wären 37 Prozent. Im schnitt sinkt der Verbrauch an fossiler Energie dabei um fast ein Drittel, was eine Einsparung an Primärenergie für Europa von drei Prozent einbringt. Die Produktionskosten sinken dabei um 72 Milliarden Euro, was den europäischen Ländern einen Wettbewerbsvorteil bringt.
Aber es gibt auch viele Stellschrauben für den Entwicklungspfad: Neben der Preisentwicklung für Erdöl wirken sich auch die Preise der nachwachsenden Rohstoffe auf ihren Einsatz aus. Europa braucht rund 40 Millionen Tonnen Ethylen pro Jahr, was nicht alles aus Zuckerrüben erzeugt werden kann: Hier werden noch ganz andere Wettbewerbskräfte einwirken. Zur Zeit sind die Bauern die Gewinner, sofern sie die Produkte bereits absetzen können und höhere Preise erzielen als für die Lebensmittelproduktion. Wo zukünftig die Wertschöpfung liegt lässt sich noch nicht festschreiben. Allerdings dürfen die Bauern nicht vergessen werden, wie Prof. Vorlop von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL). Zweigliederige Fruchtfolgen aus Getreide und Zuckerrüben wie in der Hildesheimer Börde dürfe es bei nachwachsenden Rohstoffen nicht geben. Ein Fruchtwechsel muss sein. Zudem wird es in Zukunft eine Verteuerung von Stickstoff und Verknappung von Phosphordünger mit sinkenden Erträgen geben. Deshalb muss auf die Bodenfruchtbarkeit geachtet werden.
Ohne den Begriff der Nachhaltigkeit kam kein Plenarvortrag aus!
Tipps zum Schmökern
(Fast) alles über nachwachsende Rohstoffe gibt es unter www.nachwachsende-rohstoffe.de Bei der FNR sollen auch die Folien der Vorträge in das Internet gestellt werden.
Die OECD hat bereits mehrfach eine Studie über die Vorteile de Biotechnologie aktualisiert, die unter www.bioproduction.de und www.bioeconomics.de abgelegt ist.
Die verschiedenen Entwicklungsszenarien der WBT von der Universität Utrecht soll, sofern von der EU genehmigt, Anfang nächsten Jahres auf www.chem.uu.nl veröffentlicht werden.
Bei Herd-und-Hof.de gibt es aus einem anderen Symposium mehr über die „Farbenlehre der Gentechnik“ und den Fleischhunger der Welt.
Roland Krieg