Provokation der Dynamik

Landwirtschaft

Kulturlandschaft und Peripherisierung

Eine internationale Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hat sich mit der „Zukunftsorientierten Nutzung ländlicher Räume“ auseinandergesetzt und wird diese Arbeiten mit Lösungsansätzen und Empfehlungen versehen in einem Buch zusammen stellen.
Teile davon werden Inhalte von öffentlichen Vorlesungen, die gestern abend im Akademiegebäude am Berliner Gendarmenmarkt begannen (s. Terminkalender).
Mit den beiden Themen Ökologie und Regionalplanung wurde die Bandbreite gleich breit abgesteckt.

Mehr Dynamik als uns lieb ist
Herbert Sukopp, Prof. em. für Ökologie der TU Berlin und von 1996 bis 2000 im Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen stellte den Wandel der Kulturlandschaft und das damit verbundene Wahrnehmungsproblem des Menschen dar. In der Kürze des menschlichen Lebens scheint die Natur zu verharren. Wir haben den langsamen Wandel von Eichen und Buchen als waldbestimmende Bäume zu Tanne, Buche und Fichte nicht miterlebt. Die Dynamik und Diversität von Kulturlandschaften findet in Raum und Zeit statt, während wir oft von einer statischen Naturbetrachtung ausgehen.
Dabei dominieren menschliche Einflüsse die natürlichen Entwicklungen. Als die Pest im 14. Jahrhundert mit etwa 25 Millionen Toten rund ein Drittel der Europäer dahinraffte, begann die Landflucht. Bodenerosion durch Abholzung, Hochwasser und steigende Getreidepreise führten zur „landwirtschaftlichen Krise“ und hinterließen Wüstungen, verlassene Siedlungen. Auf dem Barnim, nordöstlich von Berlin wurden 25 Prozent der Dörfer verlassen, rund um Rheinsberg sogar bis zu 90 Prozent. Ähnliche Einschnitte waren nur noch während des 30jährigen Krieges zu verzeichnen.
Äußerst dynamisch zeigt sich auch die Migration der Arten. Das Jahr 1492 unterscheidet mit der Entdeckung Amerikas zeitlich zwischen Arche- und Neophyten, zwischen Alteingewanderte und Neueingewanderten Arten. Schon m 16. Jahrhundert verbrachte der Handel absichtlich und unabsichtlich Tiere und Pflanzen in neue Siedlungsgebiete. Die Eisenbahn im 19. Jahrhundert sorgte für den zweiten Schwung. Anhand von Analysen zeigte Prof. Sukopp, dass invasive Arten dort vermehrt zu finden sind, wo Menschen dichter zusammen leben. In den Innenstadtbezirken von Berlin sind nur 50 Prozent der Pflanzen einheimisch. In den weniger besiedelten Randbezirken sind es noch 71 Prozent. Die Hälfte der Arten breitet sich zusammen mit den Menschen aus und 12.000 Zier- und Nutzpflanzen sind seit dem Mittelalter nach Deutschland gekommen.
So hat der Mensch die Kulturlandschaft schon immer durch Besiedlung und direkte Eingriffe geprägt. Die Vermischung von Flora und Fauna wird auch in Zukunft weiter gehen und die Biosphäre der Neuzeit entscheidend verändern.
Wo bleibt bei so viel Dynamik die Konstanz, fragte Prof. Sukopp. Auf den Sand- und Mergelböden Brandenburgs wurde immer Ackerbau betrieben und auf den Sandböden der Wald genutzt. Aber selbst diese Konstanz ist trügerisch, denn in Brandenburg wurden zwischen 178 und 1940 rund 29 Prozent der Flächen gerodet und 35 Prozent wieder aufgeforstet. Richtig alte Wälder mit konstanter Nutzung sind selten.
Die Betrachtungen sind vor dem Hintergrund wichtig, weil immer mehr verschiedene Anforderungen an den ländlichen Raum gestellt werden: Agrar-, Natur- und Umweltschutzpolitik fordern Ansprüche. Doch was ist eigentlich das Referenzsystem für eine naturschutzfachliche Bewertung einer Landschaft? Zwei Konzepte finden Verwendung: In der Vegetationskunde wird häufig das historische Konzept der Naturnähe herangezogen, aber mittlerweile findet auch das Konzept Beachtung, dass den Kultureinfluss als reziprokes Maß für Natürlichkeit hinzuzieht.

Die Stadt entleert das Land
Prof. em. Karl-Dieter Keim lehrte Sozialplanung und später Urbanistik an der Universität in Bamberg und war von 1992 bis 2004 Direktor des Leibniz-Instituts für Regionalplanung in Erkner bei Berlin. Für ihn ist klar, dass Funktionsübertragung in sich bildenden Zentren die Räume schwächt. Produktivität, Infrastruktur, Ressourcen und Wissen zentrieren sich in der Stadt und peripherisieren den ländlichen Raum. Es gebe zwar noch „lose Kopplungen“, die aber verschiedene Folgen zeitigen. Der schrumpfende ländliche Raum erlebt einen Funktions- und Bedeutungsverlust, in der Mentalität bildet sich ein „provinzieller Regionalismus“ aus und als „eigentliche Provokation“ entleert sich der Raum und es entstehen Wüstungen. Das wolle niemand wahrhaben und zur Zeit frage sich jeder, wie das noch verhindert werden könnte.
Für Prof. Keim ist das schizophren, denn der Prozess wird durch Markt und Wettbewerb verursacht, der genau dieses aber gar nicht will. Die Politik versucht diesen Prozess aufzuhalten, hat aber keine geeigneten Instrumente in der Hand, denn eine „einheitliche Regionalpolitik“ gibt es nicht. Diese ist über zu viele Ressorts verstreut.
Erfolgreich sind die Programme in der Vergangenheit auch nicht gewesen und verweist auf die Regionalplanung Brandenburgs. Fünf Planungsregionen liegen „wie Tortenstücke“ um Berlin herum und sollen jeweils Solidarität und Identität hervorrufen. Der Soziologe hinterfragte jedoch, ob Verflechtungsregionen um Berlin herum wirklich mit entlegenen Peripherien viel gemeinsam haben. Nur politisch machten diese Regionen Sinn.
Nur die Landwirte bekämen in entfernten einen Ausgleich. Senioren und lokale Dienstleister müssten jedoch auch finanzielle Anreize erhalten, dort zu bleiben. Chancenlos sind die Peripherien, die überall in Europa entstehen aber nicht. Er lässt sich sogar umkehren wie im französischen Zentralmassiv, dem italienischen Apennin und in Irland: Dort ziehen Menschen wieder in die einst verlassenen Regionen hin. Auch Brandenburg kann mit kulturellen Kondensationskernen wie Hardenberg oder Rheinsberg punkten – Mecklenburg-Vorpommern blüht auf Usedom. Menschen bilden auch ohne politische Unterstützung Netzwerke und beleben das Land. Und zwar auf neue Weise.

Lesestoff:
Programmdetails, Literatur und weiter führende Informationen gibt es auf der Internetseite der Akademie: www.bbaw.de
Zu invasiven Arten hatte das BBA eine Fachtagung in Berlin.
Einen Bericht über den Bundeskongress Ländliche Entwicklung finden Sie hier.

Roland Krieg

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