Quantifizierung der Lückenindikation

Landwirtschaft

Zulassungsstau bei Pflanzenschutzmittel als Normalzustand

Verwaltungstechnisch gibt es zahlreiche Mitspieler im Zulassungsprozess eines Pflanzenschutzmittels. Das Julius Kühn-Institut (JKI), Umweltbundesamt (UBA) und Bundesamt für Risikobewertung (BfR) assistieren dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Die Assistenz kann auch sehr konträr sein. Das UBA hat neue Richtlinien gefordert, mit denen die Wirkung auf die Biodiversität begutachtet werden soll. Daraufhin hat das BVL die anstehenden Zulassungen nur bis zum Jahresende befristet erteilt.

Die Kosten für die Zulassung eines Wirkstoffs beziffern sich auf rund 250 Millionen Euro. Für viele Kulturen, die nur einen begrenzten Absatzmarkt erlauben, steht eine Refinanzierung in den Sternen. Weil Mittel wegen neuerlicher Risikoanalyse nicht mehr verlängert werden, stehen fortschreitend weniger Mittel zur Verfügung, kommen keine neuen hinzu und dauert die Zulassungsverwaltung zu lange.

Lückenindikation

Behelfsweise werden zugelassene Mittel für Kulturen erlaubt, für die sie nicht gedacht waren, aber keine Alternativen zur Verfügung stehen. Vor allem beim Obst- und Gemüsebau. Das ist die so genannte Lückenindikation. Rechtlich ist das die „Ausweitung des Geltungsbereiches von Zulassungen auf geringfügige Verwendungen“ nach EG-Verordnung 1107/2009 Artikel 51. Das JKI prüft das Vorliegen einer „geringfügigen Verwendung sowie das öffentliche Interesse“. Das BfR wird nur bei Hochsetzen der Rückstandshöchstmenge eingebunden. Das UBA wird in diesem Falle nur bei Auswirkungen auf den Naturhaushalt kontaktiert.

Das BVL hat in den Jahren 2014 bis 2018 zwischen 63 und 152 Anträge für eine Lückenindikation bearbeitet, teilt das Bundeslandwirtschaftsministerium auf eine FDP-Anfrage mit. In diesem Jahr waren es bis Mitte April bereits 14 Anträge. Zugelassen wurden 13 bis 67, abgelehnt (bevor veränderte Zulassungskriterien die Bearbeitungsfrist frühzeitig beendeten) wurden zwischen einem und 20, sowie zurückgezogen zwischen einem und 15 Anträge. In den beiden letzten Jahren ist die Zahl der Entscheidungen deutlich angestiegen, um den Antragsstau abzubauen. Druck kam aus Brüssel, dass die Verfahrensdauer und   Zahl der Behörden als Ursache für die schlechte Situation in Deutschland kritisierte. Aktuell in Bearbeitung sind immer noch 179 Anträge zur Lückenindikation. 56 Anträge sind zurückgestellt, weil auf die Entscheidung des Grundantrages für den Erweiterungsantrag noch gewartet wird.

Beschleunigtes Verfahren

Die Bundesregierung hat die Zulassung beschleunigt, indem das JKI keine eigene Beurteilung mehr durchführt, das BfR nur fallbezogen eine Stellungnahme abgibt, wenn eine Rückstandshöchstmenge angehoben werden muss, und hat die verwaltungsinternen Fristen gegenüber dem Regelverfahren um bis zu 30 Prozent verkürzt. Das konnte durch Reduzierung der Arbeitsschritte umgesetzt werden. Damit ist nach Sicht des BVL ein von der EU gefordertes Schnellverfahren für den Lückenschluss etabliert.

Ausweg Notfallzulassung?

Der Vergleich langer Erweiterungszulassungen mit dem Erlass von Notfallzulassungen nach Artikel 53 EG 1107/2009 lässt sich nach Analyse des Landwirtschaftsministeriums nicht ablesen. Nach einem Anstieg in den Jahren 2013 bis 2016 von 34 auf 54 Notfallzulassungen bewegen sich die jährlichen Genehmigungen um den Wert 50 herum. In diesem Jahr sind bereits elf Notfallzulassungen erteilt worden. Gegenüber Österreich waren das 2018 sechs mehr, aber in diesem Jahr liegt die Zahl bis April acht Zulassungen unter den Wiener Ergebnissen aus den Monaten Januar und Februar. Die Zahl an Notfallzulassungen hat in Österreich zu großer Kritik geführt, weil auch die drei bienengefährlichen Neonicotinoide für 120 Tage zugelassen wurden. Doch neben den Umweltorganisationen verhalten sich die Biobauern im südlichen Nachbarland ruhig. Denn auch sie sind auf Zulassungserweiterung oder Notfallzulassungen angewiesen.

So ist in Deutschland der Wirkstoff Spinosad per Notfallzulassung zur Insektizidbehandlung bei Aprikose, Erdbeere, Heidelbeere, Himbeere, Holunder und Kirschen zugelassen. Im Regeleinsatz befindet sich Spinosad im ökologischen Landbau gegen den Kartoffelkäfer und ist nach Beschreibung des JKI Bienengefährlich B1, sowie sehr giftig für Wasserorganismen mit längerfristig schädlicher Wirkung.

Roland Krieg

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