Quote, Tierhaltung und DBV-Milchforum
Landwirtschaft
Liegt das Glück der Kühe auf der Weide oder im Stall?
31 Jahre. Eine ganze Generation von Milcherzeugern kann
sich die Milchproduktion ohne Milchquote gar nicht vorstellen. In 18 Tagen ist
die diese aber Geschichte. Was damals zu seiner Zeit Milchseen austrocknete und
Butterberge planierte hat heute seinen Sinn verloren. Die Erzeugerpreise waren
alles andere als stabil und mehr denn je haben Milchviehbetriebe, vor allem in
den Mittelgebirgen, den traditionellen Grünlandgebieten, aufgehört. Hätte 1984
das Motto „Milchquote – wie finden wir zurück zum Markt“ heißen können, lautet
das am Donnerstag in Berlin gestartete 6. Milchforum des Deutschen
Bauernverbandes (DBV) „18 Tage vor Quotenende – Ankommen im Markt“.
So wie sich die Milchbauern damals vor der Einführung der Quote fürchteten (stimmen die Berechnungen, bekomme ich die Quote für eine existenzsichernde Zukunft, wer soll das alles kontrollieren), fürchten sie sich heute vor deren Ende: Die Volatilität der Preise steigt, wo kann ich noch sparen, muss ich jetzt meine Preise an der Börse absichern, wer hilft mir, wenn die Preise fallen? Nicht alle Milchbauern sehen das so gelassen wie Milchbäuerin Judith Siebers: „Volatile Märkte sind eine unternehmerische Herausforderung.“
Zukunft Milchviehhaltung
„Die langfristigen Markttrends lassen die deutschen Milchbauern
positiv in die Zukunft blicken. Diese Perspektive wird jedoch von zahlreichen
drohenden neuen Auflagen für die Produktion getrübt“, sagte DBV-Milchpräsident
Udo Folgart zur Eröffnung des Forums. Die Quote steht erst heute auf der
Agenda. Am Donnerstagabend waren es die „gesellschaftlichen Anforderungen“ an
das Tierwohl.
Die Weiterentwicklung der tiergerechten Haltung dürfe nicht in einer höheren Taktzahl neuer Vorgaben münden, warnte Folgart, zumal die Haltung in den letzten Dekaden schon recht weit fortgeschritten ist.
„Die Quotenära hat offenbart, dass der ständige Eingriff in Märkte nicht das geeignete Instrument zur Schaffung eines stabilen Sektors ist“, erläutert Folgart. Ob es der freie Markt sein wird, wird sich in weniger als 31 Jahren zeigen.
Milchviehhaltung und Tierwohl
Die Milchkuhhaltung orientiert sich nach allgemeinen
Regeln des Tierschutzgesetzes und nicht nach besonderen Anforderungen wie bei
Kälbern, bei denen es eine eigene Nutztierhaltungsverordnung gibt, stellt Dr.
Katharina Kluge, Referatsleiterin Tierschutz im
Bundeslandwirtschafts-ministerium fest. Daher tragen die Tierhalter eine große
Verantwortung. Zwar wollen viele Verbraucher Tierschutz, aber nur wenige können
genau sagen, was damit gemeint ist. Dennoch stehen die Themen in der Milchviehhaltung
ganz oben auf der Agenda. Noch in diesem Monat soll ein praxisreifer Vorschlag
zur Vermeidung des betäubungslosen Enthornens vorliegen. Weitere Themen sind
Anbindehaltung, Schlachtung gravider Rinder [1] oder Verhinderung von
Lahmheiten. Es gibt auch Anforderungen, die Verbrauchern noch weniger bekannt
sind. So ist die Sauberkeit von Fellen und Häuten beim Export in Drittländer
ein wichtiges Thema. Dr. Kluge hält die Beratung für ein Schlüsselkonzept für
das Tierwohl und den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis.
Judith Siebers hat den elterlichen Betrieb mit zwei
Standorten nahe Kleve übernommen. Am ersten Standort des Familienhauses werden 400
Jungtieren gehalten und 55.000 Puten gemästet. Am zweiten Standort werden 800 Kühe im
Melkkarussell gemolken. Pro Tag kommen 20 Tonnen Milch zusammen. Die
Rindergülle wird zusammen mit dem Putenmist in einer 400 kW Biogasanlage
vergoren. Der Betrieb bewirtschaftet 450 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche.
Was ihre Eltern früher noch über das Bauchgefühl gesteuert haben, erledigt heute moderne Technik. Beim Melken werden beispielsweise Keim- und Zellzahl qualitativ gemessen. Damit wird der Gesundheitszustand der Kühe erfasst. Weitere Parameter sind Krankheitstage, Liegedauer, Milchmenge und Wiederkäuerverhalten. Mit diesem Datenset kann sie gesunde von ungesunden Kühen unterscheiden. Glücklich von unglücklichen, wie sie sagt. Unglückliche will sie nicht haben, denn die machen Arbeit und kosten Geld.
Diese Sichtweise sei Verbrauchern nur schwer zu vermitteln. „Aus der Einstellung einer romantischen Landwirtschaft heraus, kann kein Konsens mit der Gesellschaft entstehen!“ Ihre Kühe sind ganztägig im geräumigen Laufstall untergebracht.
„Wir verstehen immer weniger von der Landwirtschaft,
haben aber ein immer klareres Bild“, gab Spiegel-Autor Alexander Neubacher selbstironisch
zu. Das bezieht sich aber nicht nur auf Journalisten, sondern auf alle
Konsumenten. Und auf die Branche selbst. Wenn die Ernährungsbranche „frei von …“-Produkte
anbietet (von Gluten, Laktose, Gentechnik etc.), dann glauben die Kunden
irgendwann, dass Gluten oder Laktose giftig seien. Auch die Landwirtschaft
müsse Mythen abschaffen: „Sie prägen ein Bild von einer Landwirtschaft, die es
in der Realität so nicht gibt.“ Richtig „gruselig“
werde es, wo Landwirte sich und ihre Produktion hinter einem Vorhang verbergen.
Verbrauchervertrauen sei nur über Transparenz zu gewinnen. Neubacher sieht
allerdings den Trend, dass die Berichterstattung der allgemeinen Medien „unterm
Strich gut ist“.
Schlechte Nachrichten sind kein Geschäftsmodell für die
Welttierschutzgesellschaft. Die Verbesserung der Transparenz ist auch für Dr.
Leif Koch, Leiter der Politischen Kommunikation, wichtig. Die Fortschritte der
vergangenen Jahrzehnte können nur ein Zwischenschritt sein. Auf der Agenda der
Tierschutzorganisation stehen noch mehr Punkte: übermäßige
Kraftfutterfütterung, Zucht auf Hochleistung, ganzjährige Stallhaltung eines
Weidetieres und die ganzjährige Anbindehaltung vor allem in Süddeutschland.
Eine Nutztierverordnung für Milchkühe hält Dr. Koch für überfällig. Er wendet
sich auch an die Verbraucher [2]. Tierschutz koste Geld, das am Ende der Kunde
aufbringen muss. Dieses Bewusstsein fehle oft noch. Nur über einen höheren
Preis, der auch beim Landwirt ankommen muss, können notwendige Investitionen
getätigt werden.
Über Geld sprach auch Alfons Kerlfeld aus dem Vorstand
des Deutschen Milchkontors (DMK). „Nachhaltigkeit ist für uns keine
Pflichtübung. Nachhaltigkeit ist für uns Selbstverständlichkeit“, sagte der
Chef des mit 6,7 Milliarden Liter Milch größten Molkereiunternehmens in
Deutschland. Die Umsetzung von Tierwohlaspekten geschehe aus eigenem Interesse
und nicht auf Druck der Zivilgesellschaft. Die Notwendigkeit der Honorierung sei
der Mehrheit der Kunden allerdings nicht bewusst. Ein über Jahre hinweg
gleicher Preis reiche nicht, um steigende Standards umzusetzen. Vor allem gehe
es nicht um einzelne Punkte. Das Tierwohl müsse in seiner Gesamtheit umgesetzt
werden. Die Größe des Betriebes nicht entscheidend. Kerlfeld bemängelt, dass
Nahrungsmittel weniger Wertschätzung erhalten als das Auto in der Garage.
Weidehaltung
Für Kunden ist die Weidehaltung eines der sichtbarsten Zeichen für artgerechte Haltung [3]. Zwar auf fast jeder Verpackung vorhanden, müssen die Milchrinder im Freien heute richtig gesucht werden. Für Kerlfeld ist die Weidehaltung nur ein Imagegewinn. Molkereien werben mit einem Bonus für Weidehaltung und lassen ihre Tiere lediglich vier Monate für täglich sechs Stunden auf die Koppel. Das sind 720 Stunden. In den traditionellen Grünlandgebieten waren und sind die Milchkühe meist zwischen Ende März bis Anfang November draußen. Das sind 5.040 Stunden – abzüglich kalter Nächte. Die heutigen Weidemilchprogramme müssten nach Kerlfeld einmal gründlich hinterfragt werden. Die DMK holt fütterungstechnisch lieber die Weide in den Stall. Dort gibt es keine Schlammlöcher und die Tiere sind im Sommer nicht der sengenden Sonne ausgesetzt, ergänzt Milchbäuerin Siebers. Nur auf der Weide zu sein, ist nicht per se positiv. So würde auch ein Emissionsvergleich zwischen Stall und Weide nicht automatisch für das Grünland sprechen, grenzt Dr. Kluge ein.
Wachsende Betriebe können nicht im gleichen Maße Flächen rund um den Hof erhalten, weiß auch Dr. Koch. Die Weidehaltung sei dort einzuführen, wo es möglich ist. Zumal wende sich die Tierschutzorganisation gegen die ganzjährige Stallhaltung. Stall und Weidehaltung, vielleicht sogar als freie Auswahl für die Kühe sei das richtige Maß.
Stammt die Weidemilch in der Verpackung auch wirklich von den Weidekühen? Judith Siebers bezweifelt das. Fahren zwei Milchwagen über Land und sammeln Weidemilch und „Stallmilch“ getrennt ein? Verarbeitet die Molkerei beide „Milchsorten“ getrennt? Das müsste sich deutlich im Preis niederschlagen.
Lesestoff:
[1] Gutes Management verhindert Schlachtung gravider Rinder
[2] Die Kuh und DU: Kuhfreundlicher Konsum
[3] Weidemilchprogramm in Niedersachsen und die Skepsis der Landjugend
Roland Krieg; Fotos: roRo