Resilienz braucht einen langen Atem

Landwirtschaft

Integrierte Entwicklung statt Grenzzäune und Abschottung

Resilienz ist das Zauberwort der Entwicklungsarbeit. Widerstandsfähigkeit. Gegen Auswirkungen des Klimawandels, gegen Missernten, gegen Verlust an Biodiversität und gegen einen Mangel an Ressourcen und Finanzmitteln, die eine Gesellschaft entwickeln helfen und Wertschöpfung generiert. Doch ist das Erreichen der Resilienz noch immer ein ungelöstes Rätsel.

Mit den 17 Sustainable Development Goals hat die Weltgemeinschaft Ziele gegen Hunger und Armut auf allen Gebieten von der Landwirtschaft bis zur Sozialversicherung definiert. Doch nicht nur der Bürgerkrieg in Syrien zeigt, dass in kurzer Zeit wirtschaftliche und soziale Erfolge binnen kürzester Zeit vernichtet werden. Die Hungerkatastrophe in Ostafrika zeigt erneut die Defizite der Vergangenheit auf. Im Südsudan, Somalia und im Norden Kenias, aber auch in Burundi und Uganda sind Millionen von Menschen von Hunger und Ernährungsunsicherheit betroffen. Die Zeit scheint stillzustehen. Bürgerkrieg im Südsudan, Nachernteverluste in horrendem Ausmaß, mangelnde Lagermöglichkeiten, keine Risikovorsorge – Das Jahr 2017 beginnt mit verhungernden Kindern und Menschen, mit Aufrufen um Hilfe – und doch reagiert die Welt erst einmal nur wieder in einer Notsituation.

Dürre mit langen Folgen

Äthiopien wird derzeit nicht so oft erwähnt. Aber das Land leidet noch immer unter der Dürre aus dem Jahr 2015 und wird von Peter Renner von der Stiftung „Menschen für Menschen“, der Äthiopienhilfe von Karlheinz Böhm, in Berlin in den Mittelpunkt gerückt. 5,7 Millionen Menschen brauchen Soforthilfe – aber der Stiftungsvorstand beschreibt auch die Arbeit, die „Menschen für Menschen“ seit 35 Jahren im Land leistet und fast die Resilienz in der aktuellen Situation erreicht hätte.

In Äthiopien gibt es eine kleine Regenzeit im Frühjahr und eine große in der Zeit zwischen Juli bis Anfang Oktober. 2015 sind beide ausgeblieben. Besonders gefährlich für die Steinwüsten in denen Pastoralisten in einem fragilen Ökosystem auf jeden Tropfen Wasser angewiesen sind. Es ist nicht die erste Dürre in dem ostafrikanischen Land gewesen. Die Bauern und die Regierung haben vorgesorgt, den Mangel im Nachfolgejahr aber nicht ganz beseitigen können. Die Dürre kam fünf Jahre zu früh. Peter Renner zeigt sich überzeugt, dass noch fünf weitere Entwicklungs- und Erntejahre dem Land mehr Resilienz gebracht hätten.

Erfolge brauchen einen langen Atem

Als die Stiftung vor 35 Jahren erstmals in das Land ging, galt es als das zweitärmste Land Afrikas und hatte 32 Millionen Einwohner. Heute leben 98 Millionen Menschen in dem Land und Äthiopien hat in der Ärmstenliste dennoch etliche Plätze gut gemacht. Diese Entwicklung wird gerade unterbrochen, zeigt aber dass die Schaffung einer Resilienz möglich ist.

Aber nicht mit klassischer Entwicklungshilfe, sondern mit Zeit, Geduld und zwischenmenschlichem Akzent. Die Stiftung hat sich aus der Geber-Nehmer-Struktur emanzipiert und bindet die Menschen vor Ort direkt in die ihre eigenen Entscheidungen ein. Daher sind von den 740 Mitarbeitern vor Ort auch nur fünf, die nicht aus Äthiopien stammen. Diesen Ansatz findet Renner auch im Marshallplan mit Afrika des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wider und sieht darin einen Paradigmenwechsel.

Mit den Menschen zusammenarbeiten

Die Bauern vor Ort werden nach ihren Bedürfnissen befragt. Brunnen werden mit ihnen gemeinsam befestigt, die Stiftung hat mehr als 5.000 Kilometer Straße gebaut und half den Bauern in  Wore Illu die Ernährungssicherheit zurückzugewinnen.

In der Projektregion mitten im Land wurden die Eukalyptusbäume für den Hausbau gefällt und der Regen spülte tiefe Erosionsrinnen in das hängige Gelände. Manche „Schlucht“ war am Ende 20 Meter breit und sieben Meter tief. Die Ernte der Bauern wurde von Jahr zu Jahr kleiner. Mit Setzlingen und Wallbauten wurde der Boden stabilisiert und fruchtbarer Boden wieder hergestellt. Die höhere Ernte im ersten Jahr hat skeptische Bauern von der Sinnhaftigkeit überzeugt und am Ende die Nahrungsmittelsicherheit wieder hergestellt.

Diese Hilfe für die Selbstentwicklung braucht Zeit. Die Stiftung bleibt bis zu 15 Jahren in der Region. Erfolge und Optimismus stellen sich jedoch früher ein,  betont Renner. Aber bis sich etwas entwickelt braucht es Zeit. Sobald die Menschen die ersten Erfolge sehen, malen sie sich wieder eine Perspektive für ihre Heimatregion aus. Sobald sie sich von ihrem Land ernähren können, suchen sie als nächstes die Möglichkeit, Ware auf dem Markt zu verkaufen und bilden erste Wertschöpfungsketten. Dann auch erst haben Aufforstungen sichtbare Erfolge und führen Brunnen wieder Wasser.

Fluchtursachen: Vermeiden nicht bekämpfen!

Die Erfolge in Äthiopien geben Peter Renner Recht. Doch gegen Naturkatastrophen habe man keine Chance. Da kann die Resilienz nur die Auswirkungen verkleinern helfen. Dazu braucht es nicht nur Zeit, sondern eine Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit.

Für Peter Renner ist das Thema wichtiger denn je. Vor dem Europäischen Rat reiste Bundeskanzlerin Angela Merkel lieber nach Ägypten und Tunesien als in die Katastrophenregion. Dabei ist der Aufwand für die Rückkehrpolitik wesentlich höher und politisch diffiziler, als der Aufbau einer Resilienz, die zudem die jetzige Migration gar nicht erst hätte entstehen lassen müssen.

Aber erst einmal steht wieder die Katastrophenhilfe für Ostafrika auf der Agenda.

Lesestoff:

www.menschenfuermenschen.de

Von der Fluchtursachen-Bekämpfung zur Rückkehrpolitik? https://herd-und-hof.de/handel-/von-der-fluchtursachen-bekaempfung-zur-rueckkehrpolitik.html

Roland Krieg

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