Rettet Biotechnologie unseren Konsum?
Landwirtschaft
Bioökonomie 2030 für das 21. Jahrhundert
Erdöl ist der Schmierstoff des
gesellschaftlichen Wachstumsmotors. Der Rohstoff ist Ausgangsbasis für die
Mobilität, die derzeit mit Benzin und Diesel sichergestellt wird. Die fossilen
Kohlenstoffketten sind aber auch Ausgangsstoff für Kunststoffe und Medikamente.
Die Grenzen der Ressourcenverfügbarkeit wurden vor knapp 40 Jahren deutlich,
als der Bundestag an vier Wochenenden im November und Dezember 1973 ein
Wochenendfahrverbot erteilte. Damals hielten die Erdölfördernden Staaten aus
politischen Gründen rund fünf Prozent der Fördermenge zurück. Heute befördert
eher die Erkenntnis, dass die Erdölressourcen einmal erschöpft sein werden, die
Suche nach Alternativen. In den jüngsten Jahren beschleunigt das Wissen um den
Klimawandel Forschung Politik, eine biobasierte Wirtschaft aufzubauen.
Der Biotechnologie in ihrer roten,
grünen, weißen oder blauen Variante steht nach Edelgard Bulmahn,
Forschungsministerin zwischen 1998 bis 2005 „eine große Zukunft bevor“. Langfristig
haben Biokunststoffe das Potenzial, Kunststoffe auf Erdölbasis zu ersetzen.1)
Dr. Annette Schavan, aktuelle Forschungsministerin2), legt mit der
„Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“ die Grundlagen für die
biobasierte Wirtschaft: von der Agrarwirtschaft über die Industrie bis hin zur
Medizin.
Grund für Promega, einem der größten
weltweit tätigen Life Science-Research Unternehmen, auf einem Workshop,
Einblick in die aktuelle Forschung zu geben.
Professionalisierte Branche
In Spanien hat sich gerade eine
Biotechnologie-Plattform3) gegründet. Der Verband der
Biotechnologie-Unternehmen (Asebio) will mit der Plattform die Kommunikation
zwischen Wissenschaft, Technologie, Wirtschaft und zur Gesellschaft hin
intensivieren.
Nach Prof. Dr. Garabed Antranikian,
Leiter des Instituts für Technologische Mikrobiologie an der Universität
Hamburg-Harburg, ist Deutschland jedoch weltweit bereits führend. Mehr als 100 Bio-Tech-Unternehmen stellen sich dem
Änderungsdruck, bei steigender Weltbevölkerung und knapper werdenden
Ressourcen, Alternativen zu finden. „Die Bioökonomie ist der Königsweg“, so
Prof. Antranikian. Im Bereich der technischen Anlagen stammen weltweit 19
Prozent aus Deutschland. Mit einem Volumen von 107 Milliarden Euro hat sich die
Bundesrepublik auf diesem anspruchsvollen Gebiet den Titel des
Exportweltmeisters gesichert. Vor allem die chemische Industrie sucht
händeringend nach stofflichen Alternativen für die fossile Ausgangsbasis. Nach
den USA und Japan steht Deutschland beim Export chemischer Produkte mit 122
Milliarden Euro auf dem dritten Handelsplatz.
Es gibt aber ein Problem: In Deutschland
fehlen nach Prof. Antranikian rund 70.000 Ingenieure, um die Spitzenplätze zu
verteidigen. Erfolgreich ist die Technik auch nur, wenn sie in der Gesellschaft
Akzeptanz findet. Der größte Umsatz wird mit der weißen Biotechnologie in der
Industrie und mit der roten in der Humanmedizin gemacht. Nur ein Bruchteil der
Firmen beschäftigt sich mit der grünen Gentechnik.
Nach Dr. Timm-H. Jessen, geschäftsführender
Gesellschafter der Bionamics GmbH aus Kiel könnte Deutschland noch viel weiter
sein. Gab es 1975 noch drei deutsche Firmen unter den Top Ten der weltweiten
Pharmabranche, behauptete sich im Jahr 2005Boehringer als einzige noch unter
den ersten 15 Firmen. Die Diskussion um die Biotechnologie in der Humanmedizin
hatte Firmen ins Ausland abwandern lassen. Neuen Schwung gibt es aber mit
öffentlicher Förderung und privaten Neuinvestitionen.
Pflanzenschutz aus dem Meer
Im Mittelpunkt der neuen Forschungsansätze
stehen Mikroorganismen. Deren unerschöpfliche Vielfalt findet sich in Tausenden
von Metern unterhalb des Erdbodens, in der Tiefsee oder in heißen Quellen.
Unter extremsten Lebensbedingungen bilden und nutzen Mikroorganismen eine
Palette an Stoffen, die Wirkstoffe für die Menschen werden können. Das Meer ist
dabei eine unerschöpfliche Schatztruhe, sagt Prof. Dr. Johannes Imhoff vom
Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften. Alleine das Watt im Gezeitenstrom
der Nordsee beinhaltet tonnenweise Mikroorganismen, die noch entdeckt werden
müssen. Maximal fünf Prozent sind überhaupt erst genauer erforscht.
Erst seit 30 Jahren werden
Meeres-Mikroorganismen systematisch nach neuen Wirkstoffen für Medikamente
untersucht. Dabei wurden bereits vor 40 Jahren Ecteinascidine aus der
Seescheide (Ecteinascidia turbinata) als potente Krebsmittel entdeckt.
Mittlerweile sind rund 22.000 Wirkstoffe aus meist Schwämmen und Korallen
bekannt. Sie können in unserer Welt in gleicher Weise eingesetzt werden, wie
sie den Korallen und Schwämmen dienen: Als Lockstoff oder Abwehrmittel zur
Verteidigung. Wirkstoffe aus Mikroorganismen, die mit dem Schwamm Tethya
aurantium vergesellschaftet sind, wirken gegen Pilze und Bakterien. Dutzende
von antibiotisch wirkenden Substanzen können in neuen Pflanzenschutzmitteln und
Medikamenten Verwendung finden.
Dazu braucht es keinen Raubbau im Meer.
Um beispielsweise ein Gramm des Krebsmittels Ecteinascidia zu erhalten müsste
eine Tonne Seescheiden „geerntet“ werden. Doch die Forscher nutzen das Meer
lediglich für ihre Suche. „Eine Stunde später finden sie keine Spuren mehr von
uns, das wir da waren“, so Prof. Imhoff. Auch eine Marikultur der Lebewesen
sowie Zellkulturen der Schwämme ist zu aufwändig. Die Lösung ist eine Kultur
der Mikroorganismen selbst. Wertvolle Zielorganismen werden geklont oder deren
Wirkstoffe auch chemisch synthetisiert.
Doch der Weg bis zum Wirkstoff ist lang.
Zwischen einer ersten Probe im Labor bis zum Wirkstoff im Medikament vergehen
rund zehn Jahre. Derzeit hat das Meer gegenüber der Wirkstoffsuche bei
landgestützten Pflanzen noch einen Vorteil: Es gibt keine Eigentumsrechte zu
beachten. Peru konnte sich im Jahr 20094) gegen mehrere
Industrieländer durchsetzen und Patentanträge verhindern, die aus einer
traditionellen Heilpflanze Wirkstoffe für Medikamente und
Nahrungsergänzungsmitteln machen wollten. Einen Gebietsschutz im Meer gibt es
derzeit nur für die 12-Meilen-Zone.
Bioraffinerie
Einen ganz neuen Ansatz verfolgt die
Bioraffinerie bei der Veredelung von Biomasse. Die Aufgabe der Erdölraffinerie
ist das Aufbrechen des Rohstoffes in verschiedene Fraktionen für die
unterschiedlichen Nutzungen. Rohöl wird so beispielsweise in Leichtbenzin,
Heizöl oder Bitumen aufgebrochen. Das Prinzip: In einer technischen Anlage aus
einem Ausgangsstoff verschiedene Produkte herstellen.
Das will auch die Bioraffinerie. Die
einsatzmögllichkeiten sind nach Prof. Dr. Martin Kaltschmitt von der TU
Hamburg-Harburg schier unendlich. Aus Stärke, Cellulose, Pflanzenöl oder
Protein können durch verschiedene technische Module Treibstoffe für den
Transport, Verpackungsmaterial für Lebensmittel, Farben, Pharmazeutika oder
Bauteile hergestellt werden. Zwar steht die Bioraffinerie erst noch am Anfang,
doch die Vielzahl der Versuchsraffinerien ist vielversprechend. Die
Bioraffinerie besitzt das Potenzial, aus Biomasse Nahrung, Energie und
stoffliche Produkte herzustellen. Die Nachfrage steigt weltweit, die
Agrarfläche ist begrenzt und das neue Konzept kann in einer Kaskadenutzung die
vorhandene Biomasse effizient nutzen.
Weizen beispielsweise kann zu Ethanol
genutzt werden. Nach Trennung der Kleie und Fermentation kann die Schlempe noch
aufbereitet werden. Rund zwei Prozent darin sind noch feste Bestandteile, die
als Destiller´s dreid grain with solubles (DDGS) verfüttert werden können. Die
Amerikaner bieten die DDGS aus ihrer Maisproduktion derzeit auf dem Weltmarkt
an. Die schlempe kann aber auch in einer Biogasanlage zusammen mit der vorher
abgetrennten Kleie Biogas produzieren, während der Gärrest als wertvoller
dünger wieder zurück auf den Acker kommt. Das ist nicht nur energetisch
günstiger, sondern erweitert die Produktbasis der Anlage.
Der Idealfall ist eine Bioraffinerie,
die in der Kombination einer Synthesegas-Plattform mit einer Zucker-Plattform
Kraftstoffe, Energie, Wärme, Nahrungs- und Futtermittel sowie noch Rohstoffe
für die chemische Industrie herstellt
Gegenüber Herd-und-Hof.de zeigt sich
Prof. Kaltschmitt optimistisch, dass die Bioraffinerien die heutigen und
künftigen Konsumwünsche erfüllen werden können. Letztlich gelte es, Biomasse
aus Produktionsüberschüssen für die Energiegewinnung zu nutzen. Die Märkte für
Biomassebasierte Kunsstoffe kommen gerade erst in Schwung.
Lesestoff:
www.promega.com
1) Biokatalyse2021 Clustermagazin Nr. 3
2) www.bmbf.de
3) www.mercadosbiotecologicos.com (auch auf
englisch)
4) Peru ist erfolgreich gegen Patente der Industrieländer auf seine
traditionellen Pflanzen vorgegangen
Imhoff JF et al., Bio-mining the microbial treasures of the ocean: New
natural products, Biotechnol Adv (2011) doi:10:1016/j.biotechadv.2011.03.001
An der Wirkstoffsuche in der Schatztruhe
Meer arbeitet das Kieler wirkstoff-Zentrum am IFM-Geomar als Leuchtturmprojekt
des Landes Schleswig-Holstein www.kiwiz.org