Rettung für die alten Sorten
Landwirtschaft
EU-Gerichtshof zu Gemüsesaatgut
Am Donnerstag hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil zum Inverkehrbringen von Gemüsesaatgut gefällt. Saatgut darf nur in Verkehr gebracht werden, wenn es in einem EU-Mitgliedsland auf einer offiziellen Saatgutliste steht und damit zugelassen ist. Damit ist gewährleistet, dass die Saat qualitativ geprüft ist, keine Krankheiten verbreitet werden und der Züchter über eine Nachbaugebühr seine Investitionskosten wieder einspielen kann. Für Gemüsesaatgut ist das in der Verordnung 2002/55/EG geregelt.
Demgegenüber ist es traditionelles Handwerk der Bauern, sich selbst um seine Saat zu kümmern und gilt noch als letzte Bastion der Unabhängigkeit, eigene Sorten anbauen zu wollen. Entlang dieser Grenze stehen sich Züchter und Agraropposition unerbittlich gegenüber.
Es gibt aber auch die Ausnahmenregelung nach 2009/145/EG, die den Anbau von Sorten erlaubt, die nicht auf der Liste der zugelassenen Sorten vorhanden stehen. Diese Verordnung regelt den Anbau für Sorten, die an besonderen Orten und in besonderen Regionen angebaut werden, um sie vor dem Aussterben zu bewahren und der genetischen Erosion vorzubeugen.
Beide Verordnungen gelten
Zu Gericht kam der das Urteil der großen französischen Kammer aus dem Jahr 2008, dass den Gartenbauern von Kokopelli unlauteren Wettbewerb gegenüber der Saatgutfirma Baumax vorwarf, ähnliche Gemüsesorten ohne Sorteneintrag an die gleiche Kundschaft zu vertreiben, wie es Baumax mit den offiziellen Gemüsesorten umsetzt. Die Gärtner von Kokopelli beriefen sich in der Berufung auf die Ausnahme-Verordnung der EU.
Der EuGH hält in seinem Urteil fest, dass beide Verordnungen Gültigkeit besitzen und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Die offizielle Sortenliste sorge für steigende Produktivität und Verlässlichkeit des Saatgutes, das im gemeinsamen Binnenmarkt gehandelt werden soll. Die Ausnahme-Verordnung sichere das Ziel der Europäischen Union, die pflanzengenetischen Ressourcen zu bewahren. Der Saatgutkatalog dürfe im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausschließen, dass „alte Sorten“ ebenfalls in Verkehr gebracht werden dürfen.
Reaktionen
Der Bundesverband der Pflanzenzüchter (BDP) begrüßt das Urteil, „das die Rechtmäßigkeit der europäischen Saatgutverkehrsgesetzgebung und damit der amtlichen Sortenprüfung bestätigt.“ Dr. Carl-Stephan Schäfer, Geschäftsführer des BDP hofft nun auch, dass das Urteil die Diskussion um die amtliche Sortenprüfung beendet: „Schließlich haben innovative Sorten und hochwertiges Saatgut hohen öffentlichen Nutzen und dienen der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft.“ [1].
Die rheinland-pfälzische Landwirtschaftsministerin Ulrike Höfken sagte: „Dies ist ein Etappensieg für die Vielfalt auf dem Acker und auf dem Teller aber auch gegen die Multis, die weltweit 67 Prozent des Saatguts kontrollieren.“ Das Urteil könne aber nur ein Etappensieg sein. Sie kritisierte die Bundesregierung, die sich nicht gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren ausspreche, Nachbau nicht ermögliche und die züchterische Freiheit bewahre.
Harald Ebner, Sprecher für Agrogentechnik bei Bündnis 90/Die Grünen: „Mit dem heutigen Urteil stemmt sich der EuGH gegen den Verlust der biologischen Vielfalt. Artenvielfalt verschwindet, wenn große Konzerne mit fragwürdigen Methoden, wie etwa Biopatent-Anmeldungen auf gentechnisch veränderte oder traditionell gezüchtete Pflanzen und Tiere, die besonders bei uns in Deutschland noch bestehenden kleinen und mittelständischen Züchter verdrängen.“ Das EuGH habe die Bedeutung der „alten Sorten“ betont und den professionellen Betrieben geprüfte Sorten zugesichert.
Strafzahlungen bei verhehltem Nachbau
Das EuGH hat in diesem Monat aber auch noch ein anderes Urteil gefällt, dass der „wilden Aussaat“ Grenzen setzt. Gerade durch die Auswinterungsschäden in diesem Frühjahr zur Nachsaat gezwungen. Auf Druck des Deutschen Bauernverbandes (DBV) hat die Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (STV) bei der Nachsaat mit Konsumgetreide auf zwei Drittel der Lizenzgebühren verzichtet [2].
Allerdings hatte ein Landwirt in einem anderen Fall unwahre Angaben über seinen Nachbau gemacht und muss jetzt die volle Lizenzgebühr nachzahlen. Für die STV schützt das Urteil die ehrlichen Bauern, die ordnungsgemäße Angaben machen. Die STV gibt aber auch zu, „dass die immer wieder notwendigen Klärungen von Rechtsfragen zum Sortenschutz vor Gericht für alle Beteiligten unbefriedigend ist.“
Klärungsbedarf gibt es auf allen Seiten.
Lesestoff:
[1] Das Landessortenwesen steht auf der Kippe
[2] Bauernpräsident Joachim Rukwied kündigte zum Start der Erntesaison weitere Schritte zur Nachbauregelung an
Roland Krieg