Roter Adler 2008

Landwirtschaft

MKS-Übung in Brandenburg

Samstag morgens. Die Wolken verfangen sich zwischen den Bäumen. Nieselregen und aufkommende Schauer. Alles andere als gemütlich, doch das Einsatzzentrum in der Fehrbelliner Agrar GmbH war voll. Bundeswehr, Technisches Hilfswerk, Freiwillige Feuerwehr und Veterinäre. Im Ernstfall müssen sie alle da sein. Und um diesen zu proben waren sie auch zur kreisübergreifenden Übung in den Landkreis Ostprignitz-Ruppin gekommen.

Seuchen kennen keine Grenzen
Die Übung zum Ausbruch der Maul- und Klauenseuche (MKS) wurde bereits vor zwei Jahren geplant. Aber, so Landestierarzt Dr. Klaus Reimer, mit der Vogelgrippe „kamen immer wieder Ernstfälle dazwischen“. Das zeige die permanente Bedrohung von Tierseuchen und die Ernsthaftigkeit, Vorsicht walten zu lassen.
Seit 2003 werden Katastrophenübungen in Brandenburg mit dem Code „Roter Adler“ versehen, erklärt Oberst Löwe. In diesem Jahr stand in drei Etappen der Seuchenausbruch auf dem Programm.

Von 1871...
Die Tierseuchenbekämpfung wurde in der Verfassung des Deutschen Reiches am 16. April 1871 in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Es wurde erstmals eine Medizinal- und Veterinärpolizei gegründet, die den gesamten Viehbestand überwachen sollte. Damit überall die gleichen polizeilichen Rechte gelten wurde später im „Reichs-Gesetz vom 23. Juni 1880, betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen“ einheitliche Regelungen geschaffen. Damit wurden auch mit Milzbrand, Tollwut, dem Bläschenausschlag bei Rindern und Pferden die ersten Krankheiten anzeigepflichtig. Den Grundstein zur Entwicklung des modernen Veterinärwesens legte das Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909.

Am 20. Februar hatten sich die vier Landkreise Ostprignitz-Ruppin, Havelland, Prignitz und Oberhavel zu einem Austausch getroffen und Personal und Technik aufeinander abgestimmt: Was wird von jedem erwartet? Gut eine Woche später wurde in einer Gebietskulisse eines realen Betriebes der Seuchenausbruch simuliert. Sperr- und Beobachtungszone umfassten letztlich 112 Betriebe mit 23.736 Klauentiere. 600 Tiere gehen wöchentlich an einen überregionalen Viehhändler, der noch andere Handelsbeziehungen hat.
Schnell wurde klar, dass die Bebachtungszone von zehn Kilometer wenig Sinn macht. Innerhalb der Zone passiert nach Feststellung der auf Menschen übertragbaren Krankheit wenig. Für das überwiegende Verbreitungsgeschehen ist der überregionale Handel mit lebenden Tieren sowie Fleisch und Milch viel bedeutender. In einer ersten Analyse kommen die Veterinäre zu dem Schluss, dass das Beobachtungsgebiet auf ganz Deutschland auszuweiten sei.
Schon alleine deshalb ist das Zusammenspiel zwischen Gemeinden und Bundesländern von entscheidender Bedeutung. Der „Rote Adler 2008“ hat bereits gezeigt, dass hier noch Verbesserungspotenzial vorhanden ist. Alleine die Computertechnik ist von Amt zu Amt verschieden. Es wird mit unterschiedlichen Mailprogrammen gearbeitet. Das im Lagezentrum verwendete, war nicht jedem geläufig. Es gibt auch zu wenig Personal, um die Schlüsselstellen entscheidend zu besetzen, beschrieb Dr. Matthias Rott Amtstierarzt im Landkreis Ostprignitz-Ruppin.

Betriebe können sich selbst helfen
Die Übung dient dazu, solche Schwachstellen herauszuarbeiten. Sie zeigt aber auch, was besonders gut funktioniert. Der praktische Teil am Samstag zeigte, dass die Betriebe alleine mit der vorhandenen landwirtschaftlichen Technik in der Lage sind, die ersten Maßnahmen zur Kontrolle eines Ausbruchs durchzuführen. Schließlich muss es schnell geschehen.

... Maul- und Klauenseuche ...
Die MKS wird auch als Apthenseuche bezeichnet, weil sich in der Umgebung des Maules, der Maulschleimhaut, Euter und Klauen, sowie Klauenlederhaut Blasen bilden. Sie führt vor allem bei Jungtieren und Tieren mit geschwächten Immunsystem zum Tod und richtet großen wirtschaftlichen Schaden an. Der Virus ist gegen Austrocknung, Kälte und hohen Salzgehalt wie beim Pökeln von Fleisch widerstandsfähig, hoch infektiös, auf den Menschen übertragbar und breitet sich schnell aus. In Preußen war der Wissenschaftler Friedrich Loeffler weltweit federführend in der Erforschung der Krankheit auf der kleinen Ostseeinsel Riems tätig. Preußen hatte ihm 1910 dort eine eigene Forschungsstation errichtet. Heute residiert dort das Friedrich-Loeffler-Institut.
Die Krankheit ist den Menschen seit langen bekannt und zog in Seuchenzügen immer wieder über das Land. Den höchsten Seuchenstand weisen die Veterinärjahrbücher zwischen 1886 und 1913 im dritten Quartal des Jahres 1911 mit 104.344 verseuchten Gehöften aus.
Behandelt wurde damals mit „Lydings Aphtentheer“, der im Kreis Düren in Nordrhein-Westfalen beworben wurde: „Das Mittel, benannt Aphtentheer, besteht aus einem Holztheer-Präparat, dessen Desinfektionsfähigkeit nach einem besonderen Verfahren außerordentlich erhöht ist und welches Sauerstoff im status nascens enthält. Mit diesem Theer werden den Thieren Maul und Nase nebst Flotzmaul bestrichen, wodurch dieselben gezwungen werden, den Saft einzulecken. Es soll somit eine Desinfektion des Blutes und Widerstandsfähigkeit gegen die Ansteckung bezweckt werden.“

MKS ist ein Virus, der alle Klauentiere bis hin zu Wild befallen kann. Speichel und Milch enthalten das infektiöse Virus bereits, bevor klinische Symptome beim Tier auftreten und dieses erkrankt. Das Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) wurde mit Beprobung und Analyse in die Übung mit einbezogen. Schnelligkeit und Präzision sind Trumpf: Ein erkranktes Tier muss nicht der Erst-Verursacher gewesen sein. Und: Schweine können bis zu 100 Millionen MKS-Erreger in der Stunde ausatmen. Um ein Rind anzustecken reichen zehn Viren bereits aus. Wind kann es bis zu einer Entfernung von 60 km verfrachten. Da es keine Behandlungsmöglichkeit erkrankter Tiere gibt, bleibt nur die Keulung eines Bestandes, das Virus einzudämmen.
Folgt ein Betrieb der Anzeigepflicht für MKS wird er bereits isoliert, während das FLI als nationales Referenzlabor die Probe analysiert. Personal- und Fahrzeugschleusen werden aufgebaut.
Am Samstag wurde noch der Aufbau einer mobilen Straßendesinfektionsanlage und die Einrichtung eines Wasenplatzes neben einer Deponie in Neuruppin-Krangen gezeigt.
Erkrankte und getötete Tiere kommen in die Tierkörperbeseitungsanstalt (TBA). „Scheiterhaufen wird es bei uns nicht geben“, sagte Dr. Reimers und spielt auf die Bilder aus Großbritannien an, wo MKS erst im letzten Jahr wieder ausgebrochen war. Aber falls die TBA nicht ausreicht, stehen in jedem Landkreis ausgesuchte Plätze mit geeigneter Boden- und Wasserführung zur Verfügung. In der Regel sind es abgeschlossene Deponien, die mit einer speziellen Wegeführung die Anfahrt infizierter Tiere und Abfahrt durch eine Desinfektionsschleuse ermöglichen.

Betriebsschleuse aus eigener Technik
FBetriebsschleuseahrzeuge und Personen eines Betriebes mit erkrankten Tieren müssen vor dem Verlassen desinfiziert werden. Weil das nicht auf verschmutztem Untergrund geschehen kann, werden die Fahrzeuge zunächst gereinigt. Dann wird die Desinfektionslösung Peressigsäure zusammen mit einem Puffermittel mit einem Hochdruckgerät aufgetragen. Das schäumt. Zunächst ist es ein optischer Effekt, weil der Mitarbeiter sehen kann, welche Fläche des Fahrzeugs bereits behandelt wurde. Solange der Schaum stabil ist, wirkt auch die Desinfektion darunter. Das dauert rund 20 Minuten. Je nach Sonnenlicht und Temperatur kann sich die Einwirkzeit aber auch verlängern. Für die Mitarbeiter daher gibt es eine Tabelle mit Einwirkzeiten und Wetterparametern.
Abschließend wird das Desinfektionsmittel mit den Viren wieder abgespült und das Fahrzeug verlässt die Seuchenschleuse über ein Sägespanbett. Das fängt das Abtropfwasser auf.
Die Desinfektionsflüssigkeit ist vor der Verwendung biologisch abbaubar ist und löst sich in Sauerstoff und Essigsäure auf. So kann bei der Verwendung an der Schleuse damit „gekleckert“ werden. Hingegen muss das Auffangwasser mit den Erregern penibel in ein Güllefass abgesaugt werden. Eine einfache Tauchpumpe reicht dafür aus.
Verlassen Personen den Betrieb, dann müssen sie sich erst entkleiden und in den Duschräumen desinfizieren, bevor sie sich auf der anderen Seite wieder neu einkleiden dürfen. Die Veterinäre sprechen hier vom „schwarz-weiß“-Prinzip: „Schwarz“ ist noch verunreinigt – „Weiß“ ist nach der Dusche sauber.
Damit sich Fahrzeuge und Personen nicht kreuzen und Viren überspringen können, sind Ausfahrt und Ausgang räumlich getrennt.
Die Agrar GmbH in Fehrbellin hat mehr als 5.000 Rinder. Davon 1.900 Milchkühe und 500 Mutterkühe. Ein Seuchenfall wäre eine Katastrophe, zumal vom Betrieb 80 Familien wirtschaftlich abhängig sind. Deshalb hat die Agrar GmbH bei der für sie bedeutenden Übung mitgemacht. Die Desinfektionsschleuse am Hofeingang konnte ausschließlich aus eigenen Betriebsmitteln in Gang gesetzt werden. Teichfolie nimmt das Wasser für die Durchfahrt auf, Balken sorgen für den notwendigen hohen Rand. Für das Desinfektionsmittel ist ebenso kein Spezialgerät notwendig, weil es erst nach dem Hochdruckreiniger in die Wasserlanze eingespeist wird.

Der Wasenplatz
Mobile Straßendesinfektionsanlage vor WasenplatzSind bei großflächigen Seuchenereignissen die TBAs ausgelastet, dann müssen die Gemeinden auf die „feuchten Wiesen“ zurückgreifen, die es früher schon gegeben hat. Beinahe jedes Dorf hatte einen so genannten Schindanger, auf dem Tiere gehäutet und Tierkadaver verscharrt wurden. Auch Selbstmörder, die nach christlichem Verständnis keine Bestattung verdienten, fanden dort ihre Ruhestätte.
Entsprechende Wasenplätze sind heute im Katastrophenfall einer Tierseuche bei den Gemeinden ausgewiesen und können schnell aktiviert werden. Für den Samstag hat ein Kettenbagger innerhalb von sieben Stunden ein sechs Meter tiefes Loch mit einer 10 mal 10 Meter großen Grundfläche ausgehoben. Auf den Grund kommt ein Strohbett mit Branntkalkeinlage zur Desinfektion. Drei Meter umfasst die Kadaverschicht bevor Stroh, Branntkalk und eine Erdschichtung das Loch wieder abschließen. Da ein Wasenplatz mit dieser Dimension „lediglich“ bis zu 300 Rinder aufnehmen kann, ist es klar, dass er nur die Verlängerung einer überlasteten TBA sein kann. Außerdem wies Dr. Reimers darauf hin, dass die Wegeführung kompliziert ist. Man kann infizierte Kadaver nicht quer durch die Regionen fahren. Anfahrtswege (schwarz) und Abfahrtwege(weiß) müssen, wie bei der Desinfektion, säuberlich getrennt gehalten werden. Je mehr Wasenplätze genutzt werden müssten, desto komplizierter die Logistik.

Szenarium für den schlimmsten Fall
Die Übung hat gezeigt, wie die unterschiedlichen Hilfsorganisationen zusammen arbeiten müssen. Die Abstufung ist eindeutig: Zunächst können die großen Betrieben mit ihren Ausstattungen Durchfahrtsschleusen selbst erstellen, unterstützt durch die Freiwillige Feuerwehr, die mit ihren Anzügen die Reinigung und Desinfektion übernimmt. Selbst beim Aufbau einer mobilen Straßendesinfektion reichen die Kräfte von THW und Feuerwehr aus. Gerade in Brandenburg sind sie bei Waldbrand und Hochwasser ein eingespieltes Team. Das THW übernimmt die Wasserversorgung der Feuerwehr und reist schon mal mit seiner großen Pumpe an. Nach einer halben Stunde ist die Drehkolbenpumpe mit einen Notstromgenerator einsatzbereit. 5.000 Liter pro Minute saugt sie aus dem See. Körnung: 700 mm. „Da geht auch schon mal ein Aal durch“, sagt ein THW-Mitarbeiter.
Viel Wasser mit wenig Druck geht in ein Becken, für das auch schon mal ein leerer Müllcontainer stehen kann, aus dem sich dann die Feuerwehr mit hohem Druck bedient. Für die Übung am Samstag reichte die „kleine“ 800-Liter Pumpe aus: Desinfektion der Fahrzeuge und Versorgung der Personenschleuse.

... bis 2008
Bis heute gibt es kein Mittel, das Tiere nach Erkrankung an MKS kuriert. In Deutschland wurden bis 1991 Rinder mit einer inaktivierten trivalenten Vakzine geimpft. Dann hat die EU die Impfung verboten, denn die in Europa einheimischen Stämme waren getilgt und gegen die aus dem Ausland eingeschleppten Viren hatte der Impfstoff keine Wirkung, so das FLI. Im Seuchenfall gibt es aus einer Vakzinebank die Möglichkeit Notimpfungen vorzunehmen.
Angesichts der Tötung Tausender von Rindern und Schweinen stellen Verbraucher oftmals die Frage, ob nicht impfen die bessere Alternative sei. Die Analyse des Impfgeschehens in den 1960er und 1970er Jahren hatte allerdings gezeigt, dass MKS-Seuchenzüge vor allem in den Impfgebieten auftraten. 22 von 30 Primärinfektionen hatte Dr. Karl Strohmaier, damals bei der Bundesanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen, auf fehlerhafte Herstellung und Anwendung von Impfstoffen zurückführen können. In Deutschland ist der letzte Fall von MKS 1988 in Hannover gewesen: Durch Erregerfreisetzung in einem Impfstoffwerk. Vergleichbares ereilte im letzten Jahr Großbritannien. Erst der letzte Folgebericht ohne neue Ereignisse vom 18.02.08 an die World Animal Health Organisation hat den Nachbarn wieder den Status MKS-frei wiedergegeben.

Erst wenn die Zusammenarbeit nicht mehr reicht, fordert Landestierarzt Dr. Reimer über das Innenministerium die Bundeswehr an. Die Pioniereinheiten sind dann in der Lage über einen langen Zeitraum die sich erschöpfenden Reserven der ehrenamtlich tätigen Helfern zu ersetzen.
mobile StraßendesinfektionDie am Samstag vorgestellten Maßnahmen will niemand. Sie müssen aber im Ernstfall funktionieren. Im Gespräch mit Herd-und-Hof.de liegt es Dr. Reimer am Herzen, dass die Seuchenbekämpfung viel mehr ist, als nur die spektakulären Bilder in den Medien. Bei den Verbrauchern ist die Seuchenbekämpfung auch meist nur mit „Tötung von Tieren“ verbunden. Das Wesentliche jedoch spielt sich am Computer und zwischen Aktendeckeln ab: Wo hat sich das Tier infiziert? Welche Futtermittel wurden mit welchem Betrieb ausgetauscht, von wo gekauft? Welche Personen haben in der letzten Woche den Betrieb besucht und wo waren sie danach und davor? Diese Erkenntnisse sind leichter zu erhalten, wenn es nur wenige Großbetriebe gibt. Je weiter verstreut und je weniger dokumentiert, desto aufwendiger ist die Ursachenanalyse.
Je schneller erkrankte Tiere getötet und unschädlich beseitigt werden, so das Primat der EU, desto geringer ist bei gleichzeitigen Sperrmaßnahmen das Gesamtleid der Tiere und der wirtschaftliche Schaden. So gelten als wesentliche Sorglosigkeit bei der Verbreitung des Virus undisziplinierte Tierbesitzer, die Krankheiten nicht anzeigen, und das Versagen von Verwaltungsstellen bei der Durchführung von Maßnahmen. Am Samstag jedoch endete die erfolgreiche Übung mit einer Erbsensuppe des THW.

Lesestoff:
Den jeweiligen Stand über MKS in Deutschland sowie einen Flyer mit den notwendigsten Informationen gibt es bei www.fli.bund.de
Die Geschichte des Aphtenteer stammt aus der Doktorarbeit von Dr. Elke Schelthoff: „Tierseuchenbekämpfung im Düren-Jülicher Raum während des 20. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des öffentlichen Veterinärwesens“. Justus-Liebig-Universität Mai 2006

Roland Krieg; Fotos: roRo

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