Roundup Geflügelpest
Landwirtschaft
Das Virus kennt keine Feiertage
„Vor dem Hintergrund der sich in weitere Nutzgeflügelbestände ausbreitenden Vogelgrippe müssen sämtliche Geflügelhalter die konsequente, lückenlose und sorgfältige Umsetzung der Biosicherheitsmaßnahmen in ihren Betrieben überprüfen – und noch mehr Einsatz als bisher zeigen, um eine weitere Ausbreitung des H5N8-Virus zu verhindern.“ Kurz vor Jahresende veröffentlichte der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) diesen Appell seines Präsidenten Friedrich-Otto Ripke. Das Virus hat sich während der Feiertage weiter ausgebreitet, werden tote Wildvögel gefunden und wurde manch Nutztierbestand befallen. Dort mussten Nutztiere gekeult werden, weil es keine medikamentöse Abhilfe gegen das Virus gibt. Diese Fälle zeigen aber auch, dass die bisherigen Biosicherheitsmaßnahmen aus Sicht des ZDG nicht ausgereicht haben und verschärft werden müssen: „Wir alle müssen konsequent, diszipliniert und ohne Ausnahme agieren“, fordert Ripke. Da sei es ohne Belang, dass die jüngsten Ausbrüche in Niedersachsen in Offenställen für Puten gewesen sind. Der Appell ist auch ein Zeichen dafür, dass die Vogelgrippe in dieser Saison noch lange nicht vorbei ist.
Große Ausbreitungsdynamik
„Das Auftreten von HPAIV [Hochpathogenes Aviäre Influenza-Virus; roRo] H5N8 in 16 europäischen Staaten (Ungarn, Polen, Kroatien, Schweiz, Österreich, Deutschland, Dänemark, Niederlande, Schweden, Finnland, Frankreich, Rumänien, Serbien, Großbritannien, Griechenland, Bulgarien) und die schnelle Verbreitung weisen darauf hin, dass die räumliche Ausbreitung der Infektion derzeit mit großer Dynamik erfolgt.“ So beschreibt das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems die Situation diesen Winter. Schon Anfang Dezember hat das Institut die „Reassortierung“ zur Variante aus dem Jahr 2014/15 festgestellt [1]. Betroffene Tierhaltungen befinden sich in Gebieten, in denen vermehrt tote Wasservögel gefunden werden. Ein direkter oder indirekter Eintrag mit Schuhen, Fahrzeugen und Gegenständen gilt demnach als wahrscheinlichste Eintragsquelle. Übertragungen des H5N8-Virus auf den Menschen sind nicht bekannt. Eine abschließende Aussage zu der neuen Variante ist derzeit noch nicht sicher möglich.
Das Virus hat auch die Insel Großbritannien erfasst und hinauf bis Schottland zu Wildvögelfunden geführt. Auch einzelne Nutztierbestände sind betroffen. Das Infektionsrisiko für Wildvögel wird vom briotschen Landwirtschaftsministerium als hoch, für Nutztierbestände als zwischen „gering bis mittel“ eingestuft. Doch auch die Engländer glauben nicht an ein schnelles Ende der Epidemie. Das Ministerium DEFRA hat die Funde in einer kontinentalen Karte in Beziehung zu den bekannten Wildvögelflugrouten gesetzt.
Wilde Verschwörungstheorien
Mit dem Auftreten der Vogelgrippeviren wurden auch Theorien in Umlauf gebracht, die eine Übertragung durch Wildvögel bezweifeln und über Futtermittel innerhalb Europas ins Spiel bringen.
Dazu hat Wolfgang Fiedler, Ornithologe des Max-Planck-Insititus an der Vogelwarte in Radolfzell, eine klare Meinung: „Meiner Meinung nach basiert Vieles an dieser Behauptung auf unbewiesenen Verschwörungstheorien. Im Internet kursieren derzeit viele Theorien darüber, dass Seuchenausbrüche systematisch von der Geflügelindustrie vertuscht werden. Auch einzelne Wissenschaftler glauben, dass Geflügel aus landwirtschaftlichen Betrieben innerhalb Deutschlands das Virus auf Wildtiere übertragen haben könnte, zum Beispiel über Mist aus Geflügelhaltungen, der zur Düngung auf Felder ausgebracht wurde. Das mag grundsätzlich denkbar sein, erklärt aber nicht das aktuelle Geschehen. Am Bodensee wird kein Geflügelmist zur Düngung ausgebracht, dennoch sehen wir zahlreiche infizierte Wildvögel. Beim Weitstreckentransport sieht das anders aus: Da Deutschland jedes Jahr Hühnerfleisch und Küken nach Asien exportiert, könnten Transporteure oder Transportbehälter – bei niedrigen Hygiene-Standards – mit dem Virus in Kontakt kommen und so die Infektion nach Europa bringen. Dieser Übertragungsweg kann nicht ausgeschlossen werden, innerhalb Europas ist es jedoch unwahrscheinlich, dass sich damit das gesamte Seuchengeschehen erklären lässt. Viele Wissenschaftler vertreten wie ich daher die Auffassung, dass die Nutztierbestände tatsächlich durch Wildvögel infiziert werden können. Hier geht es vor allem um Arten wie die Stockente, die den Erreger in sich tragen können, ohne selbst allzu schwer daran zu erkranken.“
Trotz intensiver und systematischer Nachforschungen hat es bislang niemals einen Anhaltspunkt für die Übertragung über „verseuchtes Futter“ gegeben. Das FLI hingegen zitiert die zahlreichen Arbeiten über die Einschleppung des Virus über den Vogelzug [1]. Es ist zwar nicht bekannt, wie weit ein subklinisch infizierter Vogel fliegen kann, aber er braucht zur Übertragung keine langen Strecken. Die Wissenschaftler gehen nicht davon aus, dass infizierte Tiere aus Südostasien bis nach Europa gelangen. Das würde weder zu den Vogelrouten, noch mit den molekulargenetischen Verwandschaftsverhältnissen des Virus in Einklang stehen, schreibt das FLI. Das Virus gelangt über eine ganze Kette von Infektionen bis nach Europa. Zugrouten und Brutgebiete überlappen sich, was auch die Ausbrüche in Russland erklärt. Doch auch das FLI kann den Handel nicht ausschließen. Die Einfuhr von Geflügelprodukten aus Influenza-Gebieten ist zwar verboten, wird regional dennoch illegal duchgeführt. So können auch Vogeltrophäen und Federn als unbelebte Vektoren dem Virus zur Reise dienen.
Mehr Klarheit soll das Projekt ICARUS bringen. Ab April werden weltweit Wildtiere mit Sendern ausgesattet und über die Raumstation ISS verfolgt. Das MPI besendert dazu in Sibirien Spießenten (Anas acuta) und Stockenten (Anas platyrhyncos). Welche Flugrouten diese Arten nehmen und wo sie in Verbindung stehen, stoppen und fressen ist noch immer nicht genau bekannt. „Nebenbei“ messen die Experten die Herzfrequenz als Hinweis auf den Energieaufwand und die Körpertemperatur [2].
Lesestoff:
Roundup Geflügelpest am 09.12.2016: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/roundup-gefluegelpest-9751.html
www.fli.bund.de und www.bfr.bund.de
[1] Lee et al. 2015, J. Virol. 89, 6521–6524, DOI: 10.1128/JVI.00728-15; Kuiken et al. 2016, Science 354, 213-217, DOI: 10.1126/science.aaf8852
[2] Icarus: https://www.tiersensoren.mpg.de/14601/enten
Roland Krieg; Grafik: Department for Environment, Food & Rural Affairs and Animal and Plant Health Agency (DEFRA); Wolfgang Fiedler: Max-Planck-Institut für Ornithologie; FLI: roRo