Rukwied und Özdemir suchen das richtige Maß

Landwirtschaft

Wo liegen DBV und BMEL auseinander?

Leichter als die Frage zu beantworten, wo der Deutsche Bauernverband (DBV) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) auseinander liegen, ist die Antwort zu finden, wo sie Gemeinsamkeiten haben. Eine Synopse zum Deutschen Bauerntag in Lübeck.

Vom Paulus zum Saulus

Lange Jahre hat Guido Westerwelle die Bauern auf den Bauerntagen an der unternehmerischen Ehre gepackt. In zuweilen launigen Reden kritisierte der FDP-Politiker [1] die Bundespolitik, die mit Auflagen und Restriktionen das landwirtschaftliche Unternehmertum eingrenzen. Im Detail sicher fragwürdig, ob der staatlichen Subventionen für die landwirtschaftlichen Betriebe. Mittlerweile gilt als anerkannt, dass die bäuerlichen Unternehmer gesellschaftliche Aufgaben für den Umwelt- und Klimaschutz wahrnehmen, sofern sie dafür ordentlich entlohnt werden. Sollten die Prämien so niedrig wie für die Zeit ab Januar 2023 in der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bleiben, werden einige Landwirte aus dem Fördersystem aussteigen und sich privatwirtschaftlich frei von Auflagen oberhalb des gesetzlichen Mindeststandards an den gestiegenen Erzeugerpreisen orientieren. Das ist seit Jahren nicht abwegig und wird mehr oder weniger offen in Erwägung gezogen.

Hier hätte Westerwelle sicher die richtigen Worte gefunden. Aber im Gegensatz zu den Jahren seiner früheren Bauerntags-Reden hätte er in Lübeck einen schweren Stand auf dem Podium gehabt. Das Nein seiner Partei zur Finanzierung des Umbaus in der Tierhaltung hat der landwirtefreundlichen Partei großen Schaden zugefügt. In Deutschland ist der Bestand an Schweinen zum Jahr 2022 um 2,4 Millionen Köpfe gesunken, während in Spanien die Menge von drei Millionen Schweinen hinzugekommen sind, sagte DBV-Präsident Joachim Rukwied. „Die Verlagerung der Produktion findet schon statt“, sagte Rukwied [2]. Und es scheitert an der Finanzierung. „Das Scheitern liegt an der FDP!“.

BMEL-Minister Cem Özdemir sparte sich die drei Buchstaben, mahnte aber die Verantwortung und Rechenschaftspflicht für die Zukunft der Landwirtschaft an. Das gelte auch für die Regierungsparteien, wie er sagte: „Es gibt in Berlin auch falsche Freunde!“ [3].

Tierhaltung

Beide sprechen sich für die Tierhaltung in Deutschland aus. Der Zeithorizont ist bei Özdemir mit Haltungsform und Herkunftskennzeichnung weiter als bei Rukwied. Immerhin waren die Coronahilfen überlebenswichtig, sagte Rukwied. Die Tierhaltung aber brauche Planungssicherheit von 20 Jahren. Beide sprechen sich für die Tierhaltung im Rahmen der Kreislaufwirtschaft aus, aber nur Rukwied geht ins Detail. Teller, Trog und Tank schließen Lebensmittelproduktion nicht aus, erklärte er. Über die Futternutzung kommen Fleisch, Milch und Molkereiprodukte zusätzlich auf die Teller. Und bei der Erzeugung von Biodiesel oder Bioethanol fallen Futterschrote an, die ebenfalls über den Trog veredelt werden.

Das spricht Özdemir zwar nicht ab, aber die Zahl der Nutztiere in Deutschland müsse verringert und in der Fläche neu verteilt werden. Die Haltungsform mit mehr Platzangebot sei dafür der erste Schritt. Özdemir kritisiert die bisherige Agrarpolitik, weil sie in den vergangenen Jahrzehnten keine Rahmenbedingungen für eine verlässliche Tierhaltung hat aufstellen können. Die Tierhaltung sei einseitig am Preis orientiert ausgerichtet. Wenn die Betriebe jetzt aufgeben, schmälert es die Versorgungsleistung und die Wirtschaft im ländlichen Raum, so Özdemir. „Daher müssen wir die landwirtschaftliche Tierhaltung auf neue Beine stellen.“

Opfer der Versäumnisse

Schon Julia Klöckner spürte, dass sie jahrzehntelange Versäumnisse auf Druck aus Brüssel nachholen muss. Mit ihren Vorschlägen zur Nitratrichtlinie wies sie die EU-Klage aus Brüssel ab, schaffte aber mit den Düngerestriktionen bei den Bauern Unzufriedenheit. Die 30-jährige Nitratgeschichte in Deutschland ist damit nicht vorbei. Özdemir hat mit seiner Nachbesserung die Genehmigung für die Gebietsausweisungen aus Brüssel erhalten, aber noch immer nicht die Zustimmung der Bauern. „Wo die Roten Gebiete und hohe Nmin-Werte im Herbst sind, muss etwas getan werden“, stellte Rukwied klar. Aber wo die Nmin-Werte in Ordnung sind, müsse auch künftig bedarfsgerecht gedüngt werden können. Die Zeit solcher „Modellierungen“ ist nach Brüssel allerdings vorbei.

Die Wette auf die Ernährungssicherung

„Der Ukrainekrieg hat die Welt dramatisch verändert. Wir tragen die Sanktionen auch bei Belastung der Bauern mit. Landwirtschaft und das Thema Ernährungssicherung sind  in einen neuen Fokus gerückt. Für uns war das schon immer so“, sagte Rukwied. Vor einem Jahr hat der DBV in seinem Zukunftskonzept „Für eine neue Partnerschaft für Ernährung und Landwirtschaft“ die Aufnahme von Klimaschutz und Ernährungssicherung in das Grundgesetz eingefordert [4]. Allerdings wird das nicht so populär wahrgenommen, wenn es der DBV vorträgt.

Vor dem Hintergrund des Überfalls Russland auf die Ukraine müsse auch Deutschland seinen Beitrag leisten, den Exportausfall auszugleichen [5]. Zwei Prozent der ab Januar 2023 verpflichtenden vier Prozent Stilllegungsfläche könnten nach Rukwied 1,4 Millionen Tonnen Getreide erzeugen. Jede Tonne, so Rukwied, schwäche den Aggressor Russland, der mit Getreidelieferungen nach Verbündeten sucht. Die Extensivierung des Green Deals und in der Strategie „From Farm-to-Fork“ reduziere nach der Studie der Gemeinschaftsforschung (JRC) die Erträge in der EU um 20 bis 30 Prozent [6].

Da trennen den DBV Welten vom Özdemir. Der Hunger ist dort am größten, wo der Klimawandel am stärksten wirkt, so der Minister Die Ernährung müssten die Kleinbauern vor Ort erzeugen. Weltweit produzieren sie rund 60 bis 80 Prozent der Nahrung. Dort müsse auch der Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung bei Vor- und Nachernteverlusten, Lagerung, Verpackung und Transport reduziert werden. Jetzt wieder Vollgas bei der landwirtschaftlichen Produktion zu geben, erweise der Nachfolgegeneration einen Bärendienst, warnt Özdemir. Die aktuelle Hitzewelle in Indien erinnerten ihn an die Apokalypse. „Noch haben wir die Korrekturen selbst in der Hand, aber nicht ewig“, warnt der Minister. Für ihn sei der für 2023 geplante Schritt, den Fruchtfolgenwechsel in der GAP aufzulockern, damit auch wieder Weizen nach Weizen angebaut werden kann, ausreichend.

„Die Zukunft der Betriebe liegt nicht in der Ökolandwirtschaft“, sagt Özdemir. 30 Prozent der Betriebe sollen nach Koalitionsvertrag zwar ökologisch wirtschaften. Er sagt aber auch: „Wir müssen über die 70 Prozent Nicht-Ökobetriebe reden.“ Am Vormittag besuchte er einen Hybrid-Betrieb. Wie allerdings reduzierte Erträge ausgeglichen werden können, sagte er nicht.

Innovationen

Auch bei dem Thema Innovationen liegen die beiden Ansichten auseinander. „Wir müssen am Transformationsprozess festhalten und ihn weiter gestalten“, setzt Rukwied den Punkt. Es müsse vor allem praxisgerecht nachjustiert werden. Nicht für alle Betriebe ist bei den Eco-Schemes etwas dabei. Auch das Verbot der Kombinierbarkeit zwischen der ersten und zweiten Säule ist ein Hindernis.

Im Detail könnten für Rukwied neue Züchtungstechniken und Digitalisierung wichtige Ressourcen einsparen helfen und Zeit für die Entwicklung neuer Sorten gewinnen. Mulch- und Direktsaat bräuchten unter bestimmten Bedingungen einen Instrumentenkasten, in dem auch Breitbandherbizide vorhanden sind.

Özdemir ließ das Thema aus.

Lesestoff:

[1] u.a. Bundesvorsitzender der FDP, Außenminister und Vizekanzler

[2] Schweinehaltung in Deutschland und Spanien im Vergleich: Leseclub Marktplatz 5/22

[3] Eckpunkte Haltungsform n der Tierhaltung: Leseclub Marktplatz 23/22

[4] Landwirte in die Mitte der Gesellschaft bringen: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-zukunft-der-landwirtschaft-2.html

[5} Am 16.06.2022 hat das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen die Zahl der weltweit Flüchtenden auf erstmals mehr als 100 Millionen Menschen geschätzt. Die Zahl dieser zu ernährenden Menschen werde durch den Klimawandel und Kriege noch eher steigen.

[6] Landwirtschaft und Ernährungssystem: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/welche-landwirtschaft-ist-die-richtige.html

Roland Krieg

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