Schäuble: Biotreibstoffquoten runter

Landwirtschaft

Berliner Welternährungsgipfel

Eine Woche bevor die FAO in Rom zum nächsten Welternährungsgipfel lädt, haben 20 Institutionen und Verbände in Berlin gestern das gemeinsames Positionspapier „Globale Ernährungssicherung durch nachhaltige Entwicklung und Agrarwirtschaft“ erstellt. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) hatte zu einem Runden Tisch geladen, um das Thema Welternährung, Nahrungsmittelpreissteigerungen und Bioenergie zu bewältigen. Ziel ist es, Nachhaltigkeit und Effizienz gemeinsam zu erreichen und nicht gegenseitig auszuspielen, so Landwirtschaftsminister Horst Seehofer. Mit dem Positionspapier hat das BMELV seine Kernkompetenzen wieder in die Hand genommen.

Fehler werden jetzt dramatisch sichtbar
Die Vorsitzende der Welthungerhilfe, Ingeborg Schäuble, fasste zusammen, dass die Ursachen geringer ländlicher Entwicklung, dass die Mehrheit von drei Viertel der Armen und Hungernden auf dem Land lebt, dass in den Entwicklungsländern das Bevölkerungswachstum stattfindet und die Entwicklungsgelder der Vergangenheit noch nichts wirkliches bewegt haben – zusammengenommen nicht neu sind. Die Unruhen in 30 Ländern angesichts der steigenden Lebensmittelpreise haben die diese allerdings jetzt in den Fokus gerückt.
Ingeborg Schäuble sieht in der Festlegung Deutschlands und der EU auf feste Quoten für Biotreibstoffe eine Behinderung der bäuerlichen Entwicklung in den Entwicklungsländern. Zur Erfüllung der Absatzmengen, werden Biotreibstoffe auf Flächen angebaut und exportiert, auf denen eigene Nahrungsmittel angebaut werden sollten. Schäuble forderte die Bundesregierung auf, die Bioenergiepolitik zu überdenken. Seehofer bremste sie allerdings wieder ein und verwies auf die weltweiten Bestrebungen, die Agrartreibstoffe einzusetzen. Vielmehr müsse der Ausbau „mit Augenmaß“ erfolgen.

Nachfrage steigt
Bauernpräsident Gerd Sonnleitner erinnert an die jährlich um 80 Millionen Menschen ansteigende Weltbevölkerung, die bei steigendem Pro-Kopf-Einkommen höherwertige Produkte verzehren will. Hier müsse die Landwirtschaft die Ernährungs- und Energiesicherheit der Zukunft decken. Die Kernaufgabe der Landwirtschaft bleibe jedoch die Bereitstellung von Lebensmitteln. Sonnleitner sieht den Anstieg der Lebensmittelpreise in Deutschalnd auch eher moderat. Während es hier um vier Prozentpunkte gehe, erfahren die Menschen in den Entwicklungsländern Preissteigerungen zwischen 30 und 100 Prozent.
Die Länder mit den größten Schwierigkeiten hätten auch ihre Landwirtschaft vernachlässigt. Fehlende Agrarforschung, fehlende Investitionen im ländlichen Raum und unsichere politische Rahmenbedingungen in totalitären Staaten ließen die Bauern ökonomisch nicht überleben. Dort wo es den Bauern besser gehe, ist das Gesamtgefüge stabil.

Praxis statt Papier
Jürgen Abraham, Vorstandsvorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, findet es entscheidend, was wirtschaftspolitisch und in der Praxis aus dem vorliegenden Papier gemacht wird. Aus den Industrieländern müsse ein Transfer von Know How und Technologie in die Entwicklungsländer stattfinden. In der Vergangenheit sei zu viel Entwicklungsgeld in der Korruption verloren gegangen. Industrie und Handel haben die Aufgabe, die Lebensmittelpreise unten zu halten, was den Verbrauchern nütze.

Differenzierung im Marktsegment
Die EU analysiert nach Angaben von John Benstedt-Smith, Direktor der EU-Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, seit Monaten die Situation und will im Ende zwischen strukturell und konjunkturell bedingten Preisanstiegen unterscheiden können.
Eine Analyse in den einzelnen Märkten habe gezeigt, dass bei Weizen und Reis die Preissteigerungen durch die Angebotsseite entstanden sind. Bei Reis hat ein Exportverbot in einigen Ländern dazu geführt, dass die Reisernte nicht vollständig in den Welthandel gelangte. Bei Weizen sind wetterbedingt Ausfälle in Australien, einem wichtigen Exportland, aufgetreten. Bei Futtergetreide und Sojaprodukten sind Preissteigerungen aufgetreten, obwohl die Anbaufläche ausgeweitet wurde. Die Nachfrage hingegen ist noch stärker gewachsen. Im Zuckermarkt hat sich der Preis hingegen kaum verändert. Insgesamt kann die EU keine Effekte der Biotreibstoffe auf die Lebensmittelpreise ausmachen.
Nicht nur die Entwicklungsländer, sondern auch die Industrieländer müssen nach Benstadt-Smith darüber nachdenken, ihre Erträge zu steigern. Nachdem Weizen jahrelang jährlich bis zu zwei Prozent Ertragszuwachs aufweisen konnte, stagniere der Zuwachs derzeit auf niedrigem Niveau.
Die ersten Schätzungen der kommenden Weltgetreideernte hingegen zeigen eine entspannte Situation: Mit vielleicht 650 Millionen Tonnen Weizen wird in diesem Jahr wieder zehn Prozent geerntet.

Milchstreik
Verständnis für die Ziele der streikenden Milchbauern zeigten Abraham und Seehofer. Nach Abraham ist nicht nur die Milch im Preis zu niedrig. Seehofer unterstützt „die hehren Ziele“ der Milchbauern. Beide äußerten sich jedoch nicht zur Maßnahme des Streiks. Maßnahmen fallen in die Eigenverantwortung der Betroffenen, sagten beide übereinstimmend in Berlin. Auswirkungen auf den Handel hätte der Streik nicht, denn niederländische und dänische Bauern würden „mit Freude“ nach Deutschland liefern, so Abraham. Angesichts der Preisentwicklung hält Seehofer die Erhöhung der Milchquote für falsch. Zusätzliche Beihilfen für die Bauern lehnt Seehofer ab. Wenn er beim Agrardiesel den Milchbauern entgegen käme, würden andere Teile der Bevölkerung auch nach Hilfe fragen.

Das Positionspapier beschreibt die folgenden Handlungsfelder:
In der Landwirtschaft muss die Produktion gesteigert werden. Dazu gehört eine Neuausrichtung der ländlichen Entwicklungspolitik. Im Fokus stehen dabei Kleinbauern und deren Nutzung erneuerbarer Energien. Dazu gehört auch der Ausbau der Agrarforschung, wobei nicht nur Praxis gemeint ist, sondern auch die Zusammenhänge zwischen Ursachen und Auswirkungen steigender Energie- und Lebensmittelpreise.
Die Agrarproduktion und Bioenergienutzug muss in eine Nachhaltigkeitsstrategie eingebunden werden. Als Vorbild sollen die europäischen Standards gelten.
Die Agrarhandelspolitik muss stärker auf die Ernährungssicherheit ausgerichtet werden. So sollen im Rahmen der WTO handelsverzerrende Effekte abgebaut und der Liberalisierung im EU-Agrarbereich müssen konkrete Marktverbesserungen für Industrie und Dienstleistungen gegenüber gestellt werden.
Die in der EU laufende Agrarreform ist der richtige Ansatz begrenzende Marktinstrumente aufzuheben, damit die Bauern flexibel auf weltweite Marktreize reagieren können.
Das Recht auf Nahrung soll weltweit fest verankert werden.
In Krisenfällen helfen gezielte und direkte Transferzahlungen und Nahrungsmittelkupons am besten. Die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen muss verbessert werden.
Wegen der steigenden Energiepreise muss die Entwicklung alternativer Energien vorangetrieben und Energie vor allem eingespart werden. Zur Entwicklung und zum Ausbau der Bioenergie schlägt das Positionspapier vor, nicht genutzte Agrarflächen wieder in Bearbeitung zu nehmen, den Flächenverbrauche in Deutschland von derzeit 110 Hektar täglich deutlich zu verringern, die zweite Generation der Biokraftstoffe einzuführen und über mehr Forschung die Kaskadennutzung zu ermöglichen.

roRo

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