„Schluss mit organisierter Verantwortungslosigkeit“

Landwirtschaft

Schlachthöfe: Der externe Gutachter hat gesprochen

Hubertus Heil verbietet Werksverträge in der Fleischbranche. Alle wussten von schwarzen Schafen, aber keiner hat etwas getan. Veränderungen beim Arbeitnehmerentsendegesetz, Endes des Messergeldes… „Bisherige Regelungsversuche der Bundesregierung seien wie Katz-und-Maus-Spiele mit den Unternehmen gewesen. Regeln wurden im Bundestag verwässert.“ [1] Diesen Satz von Arbeitsminister Hubertus Heil im Bundestag durfte die Schlachtbranche ernst nehmen. Die Pandemie hat die Schlachthöfe mit seinen Werksverträgen und seinem Sub-Unternehmertum neu beleuchtet. Schnelle Taten im Corona-Kabinett von diesem Montag wurden noch einmal ausgesetzt [2], die Differenzen in der Union schienen zu groß. Doch im regulären Bundeskabinett vom Mittwoch hat Hubertus Heil das beschlossen, wo Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sich die Finger verbrannt hätte: „Es liegt nun beim Bundearbeitsminister, ein Gesetz vorzulegen, dass die bestehenden Missstände abstellt und rechtssicher ist, so Klöckner nach dem Kabinett.“ Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist für die Arbeitsbedingungen zuständig, aber  Branche und Verbände aus der Schlacht-Szene hatten in allen Jahren die besten Drähte in die Wilhelmsstraße. Seit einer Woche laufen sie heiß, aber ins Leere. Sowohl Westfleisch als auch der Deutsche Bauernverband wollten auf Anfrage von Herd-und-Hof. de nach Verschiebung des Themas am Montag vor dem Bundeskabinett nicht zu den im Bundestag genannten Möglichkeiten äußern. Die Branche hielt den Atem an. Jetzt hat Heil die Luft raus gelassen.

Zehn Maßnahmen für faire Arbeitsbedingungen

Zehn Maßnahmen hat Hubertus Heil vorgestellt, die für viel Zündstoff sorgen. Bewusst knüpft sein Programm an „Initiativen der vergangenen Jahre an und soll Schlupflöcher beim Arbeitsschutz“ schließen. Am frühen Morgen wusste er noch nicht, dass das Europaparlament am Nachmittag SARS-CoV-2 vom Europäischen Ausschuss für Arbeit und Soziales als Virus der zweithöchsten Risikoklasse für die Arbeitswelt einstufen wird.

Werksverträge in den Kernbereichen eines Unternehmens beim Schlachten und in der Fleischverarbeitung sollen ab dem 01. Januar 2021 verboten werden. Es wird eine Kontrollquote festgelegt. Damit wirklich alles kontrolliert werden kann, müssen Arbeitgeber die zuständigen Behörden über Wohn- und Einsatzort ausländischer Arbeiter informieren. Im Rahmen des nun dauerhaft anzulegenden Gewerkschaftsprogramms „Faire Mobilität“ werden Rechte und Vorschriften in allen Heimatsprachen veröffentlicht. Die digitale Arbeitszeiterfassung ermöglicht das leichtere Feststellen von Verstößen, deren Bußgeld nach Vorgaben aus Nordrhein-Westfalen und mit Unterstützung von Julia Klöckner auf 30.000 Euro verdoppelt. Auch Praktikanten müssen gegen Arbeits- und Gesundheitsrisiken abgesichert werden. Die Marschrichtung von Hubertus Heil: „Besonders wichtig ist mir, dass wir die organisierte Verantwortungslosigkeit in Sub-Unternehmerkonstruktionen beenden.“

Der Werkvertrag

Werkverträge sind verbreitet. Sie werden von einem Betrieb an Einzelunternehmer oder einer weiteren Firma abgeschlossen. Letzteres ist in der Fleischindustrie üblich. Mit dem Begriff „Kernbereich“ versteht Hubertus Heil die Ausführung der Arbeit im Werk selbst. Es ist also keine Zulieferung. Bei diesen so genannte „on-site“ – Werkverträge obliegt dem Werkvertragsnehmer die Organisation und Verantwortung für die Arbeitnehmer. An dieser Schnittstelle befindet sich das Handwaschbecken von Pontius Pilatus. Die Vorgaben des Arbeitgebers können vom Werktragübernehmen unterlaufen werden. So können in einem Schlachthof Festangestellte neben Werkvertragsarbeitern für das Schlachten und anderen für das Zerlegen von Fleisch nebeneinander arbeiten.

Hubertus Heil hat deutlich gemacht, dass es ihm lediglich um die Schlachthöfe geht. So kann beispielsweise auch der IT-Bereich eines Unternehmens per Werkvertrag outgesourct sein. Ein Sprecher des Arbeitsministeriums betonte, dass die Überlegungen eine „Vorgeschichte“ haben. Werkverträge haben an sich nichts Negatives. Es geht nicht um andere Branchen, wie beispielsweise dem Baugewerbe: „Wir sehen im Moment keinen Anlass, in anderen Branchen in Bezug auf Werkvertragsregelungen einzugreifen.“ Findet der Kabinettsbeschluss Eingang in die Gesetzgebung, dürften andere Branchen ihre Regelungen noch einmal überprüfen.

Wie viele Werkverträge in der Fleischindustrie überhaupt vorhanden sind, ist nach Auskunft des Bundeslandwirtschaftsministeriums nicht bekannt. Auch das BMAS kann keine Zahlen nennen. Wieso sich die Koalition zwischen Montag und Mittwoch hat einigen können,  bleibt Spekulation. Offenbar ist die Eingrenzung auf die Fleischindustrie das Faustpfand der CSU gewesen.

Branche droht

Deutschlands mächtigster Fleischboss Clemens Tönnies hatte noch am Montag Nachbesserungen bei den Werkverträgen angeboten. In der Neuen Osnabrücker Zeitung hatte er für den Montag nachgelegt. „Ein generelles Verbot von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft hätte massive, strukturell-negative Veränderungen für die Agrarwirtschaft zur Folge.“ Der agrarpolitische Sprecher der Union, Albert Stegemann, stößt ins gleiche Horn: „Wir müssen hier wirklich aufpassen, dass die Fleischproduktion nicht aus Deutschland abwandert. Das hätte massive Folgen für die Landwirtschaft und wäre nicht nachhaltig“, sagt er der gleichen Zeitung.

Üblicherweise wird die Abwanderung der Schlachtbranche in den Raum gestellt. Ob dieser alte Reflex heute noch wirklich zieht, ist fraglich. Zum einen hat die deutsche Schlachtbranche die in den Nachbarländern bereits zerstört, zum andern freuen sich lokale Metzger und die Fleischerfachgeschäfte über eine neue von der Gesellschaft gewünschte Berücksichtigung. Flexitarier und Veganer sind mindestens genauso öffentlichkeitswirksam und haben beispielsweise Max Straubinger von der CSU auf ihrer Seite.

Da hilft auch kaum, dass Tönnies eine Unternehmerhaftung entlang aller Werkverträge und 12 Euro Branchenmindestlohn anbietet. Ob ein Verbot der Werkverträge oder nach Tönnies´ Vorschlag, Fleisch teurer wird, spielt ursächlich keine Rolle. Die FDP zieht die Geringverdiener-Karte. Der stellvertretende Vorsitzende Frank Sitta sagt: „Mit dem Konsum von günstigem Fleisch ist es ähnlich wie mit dem Besuch von Fastfood-Restaurants: Angeblich geht keiner hin, die Umsätze sprechen aber eine andere Sprache.“ Was immer Fleisch teurer machen würde, belaste die Geringverdiener. Wie allerdings Fleisch die auch von Sitta geforderte höhere Wertschätzung bekommen soll, hat er nicht beantwortet.

Es ist nicht nur Klaus Müller, der als Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) dem Billigfleischargument den Zahn zieht. Wenn die besseren Bedingungen für die Arbeiter den Verbrauchern dargelegt werden, sind sie gewillt, höhere Preise zu akzeptieren.

Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) will sich die Fortschritte der vergangenen Jahre nicht klein reden lassen. „Ein Zwang, zur Durchsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen nur eigene Arbeitnehmer einzustellen, und damit jegliche Formen von Arbeitnehmerüberlassungen oder Werkverträge auszuschließen, ist nicht zielführend und verstößt gegen das Übermaßgebot. Arbeitnehmerüberlassungen und Werkverträge jeder Art sagen grundsätzlich nichts über die Arbeitsbedingungen aus. Somit ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel zur Zielerreichung des Arbeitsschutzes nicht gewahrt. Durch den Zwang, nur eigene Arbeitnehmer einzustellen, würde die Fleischbranche einseitig benachteiligt. Stattdessen müssen Werkverträge so ausgestaltet werden, dass sie für alle Seiten fair und zuverlässig sind.“

„Entsetzt“ ist der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft. Präsident Friedrich-Otto Ripke hält die Entscheidung für falsch und unverhältnismäßig. „Die Politik nimmt die Schließung von Schlachtereien in Deutschland und damit den Verlust von tausenden Arbeitsplätzen sehenden Auges in Kauf.“

Landwirtschaftsminister Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern gesteht den Kunden seine Selbstverpflichtung zu. Hinter den „Lohnsklaven, die hinter den menschenunwürdigen Verhältnisse arbeiten und leben müssen“, stecke der Gedanke „Fleisch immer billiger zu produzieren:“ Da habe Fleisch als Lebensmittel selbst entwertet und der Kunde hat es in der Hand, diesen Kreislauf zu unterbrechen. Backhaus: „Das Argument, das könnten sich nur reiche Leute leisten zieht nicht. Denn den Preis für billiges Fleisch zahlen wir alle: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Betriebe ebenso die Tiere und die nachfolgenden Generationen durch den Einfluss der Produktionsbedingungen auf Klima und Trinkwasser. Das können wir nicht wollen.“  

Europaparlamentarier Martin Häusling von den Grünen blickt schon auf die Ratspräsidentschaft Deutschlands. Hubertus Heil habe die Chance seine Politik mit dem EU-Kommissar Nicolas Schmidt auf eine europäische Basis zu stellen und innerhalb des Binnenmarktes für gleichen Wettbewerb zu sorgen.

NGOen atmen auf

Was innerhalb kurzer Zeit Hubertus Heil und SARS-CoV-2 erreicht haben, rüstet Umwelt- und Tierschutzorganisationen auf: „Heute ist ein guter Tag für den Schutz von Beschäftigten in Deutschland“, sagt Reinhild Benning, Landwirtschaftsexpertin bei Germanwatch. „Die Beschlüsse des Kabinetts zu Werkvertragsbeschäftigten an Schlachthöfen können die unwürdige Behandlung von Menschen für Billigfleisch tatsächlich wirksam bekämpfen. Die Fleischindustrie wird ab dem kommenden Jahr endlich selbst zur Verantwortung gezogen für die Bedingungen, unter denen Zehntausende Schlachthofbeschäftigte arbeiten und leben müssen.“

Westfleisch zeigt, wie es geht

Westfleisch hatte dem Werkvertragsunternehmen gekündigt, alle Mitarbeiter aufgenommen und mit und ohne Fleisch Testläufe in Anwesenheit der relevanten Kontrollbehörden durchgeführt. Die Schlachtung von 1.500 Tieren in Coesfeld war erfolgreich. Die Behörden gaben grünes Licht für die Wiederaufnahme nach neuen Hygienestandards. Am Freitag will das Werk 30 Prozent der normalen Kapazität von 9.000 Schweinen am Tag erreicht haben. „Das ist ein ganz wichtiges Zeichen für alle unsere Mitarbeiter und auch für die vielen Landwirte, die nun wieder die kurzen Wege zu unserem Betrieb nutzen können“, kommentiert Westfleisch-Vorstand Carsten Schruck.

Lesestoff:

[1] Die Pandemie und die Schlachthöfe: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/alte-rechnungen-im-bundestag.html

[2] Heißes Eisen Schlachtindustrie: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-fleischindustrie-ist-debattenrelevant.html

Roland Krieg

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