Schweigeminute im EU-Agrarausschuss

Landwirtschaft

EU-Kommission greift in die Agrar-Mottenkiste

In der nächsten Woche will der EU-Agrarministerrat neue Maßnahmen gegen die Agrardauerkrise finden. EU-Kommissar Phil Hogan hatte die Mitgliedsländer zu Vorschlägen aufgerufen und nutzte am Montagabend die Möglichkeit, auch die Stimmen des Parlamentes in Form des Agri-Ausschusses einzuholen.

Schweigeminute für französische Landwirte

Der Höhepunkt war die Ausführung des französischen Grünen José Bove, der seine Redezeit für eine Schweigeminute für 600 französische Landwirte opferte. So viele hätten sich seit Beginn der Agrarkrise das Leben genommen. Alle Abgeordneten standen auf und Phil Hogan zeigte sich in seiner Antwortrunde berührt von diesen Schicksalen. Es stimme etwas nicht, wenn die Menschen, die unsere Lebensmittel produzieren, sich das Leben nehmen, ergänzte die irische Sozialdemokratin Mairead McGuinness. Michel Dantin von den französischen Christdemokraten zitierte eine Meldung der Banken, nach der diese in machen Regionen 15 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe vor dem Aus sehen.

Keine einfachen Lösungen

Die Agrarkrise hat alle erfasst und auch die Kommission zur Einsicht gebracht, dass es so schnell keinen Ausweg geben wird. Der Agrarsektor sei nicht immun gegen makroökonomische Einflüsse, sagte Hogan. Neben Chinas Schwäche und dem Russland-Embargo schwäche der Preisverfall bei Erdöl manche Einfuhrländer europäischer Agrarprodukte. Es kommen immer neue Argumente hinzu, ohne dass sich alte alte überholt haben. Dennoch bezeichnete Martin Häusling von den Europagrünen den Wegfall des russischen Marktes als „Lebenslüge“, den die Kommission stetig bemühe. Das wecke bei den Landwirten trügerische Hoffnungen, dass nach dem Embargoende alles besser würde. Das Beispiel zeigt, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Solange der russische Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschjow wegen seiner Krim-Verdienste auf der EU-Sanktionsliste steht, fehlt ganz einfach der Gesprächspartner, bedauerte Hogan.

Brannen packt aus

Während seiner Redezeit holte der britische Sozialdemokrat Paul Brannen Tee, Kaffee und Schokolade aus seiner Einkaufstasche heraus. Die Produkte habe er vor der Abendsitzung im Geschäft gekauft und ist sich wegen des Transfairsiegels sicher, dass den Bauern ein fairer Preis gezahlt wurde. Dann holte er polnische Wurst und französischen Käse aus der Tasche und beklagte, dass er bei diesem Einkauf nicht sicher sei, dass die Landwirte gerecht entlohnt würden. Während eine kleine Nichtregierungsorganisation vor über 40 Jahren den fairen Handel in die Regale gebracht hat, schaffe die EU nichts Vergleichbares für die eigenen Landwirte, fragte Brannen, nicht nur rhetorisch. Der Brite bekam spontanen Applaus für seine Aktion.

Nur Mottenkiste?

Der Agrarrat wird am 15. März über die Maßnahmen abstimmen. Doch was Phil Hogan an Möglichkeiten aufzählte erinnert zum Teil an die Mottenkiste der 1970er Jahre: Exportkredite gibt es in 14 EU-Ländern. Jetzt wolle die Kommission spezielle und WTO-konforme Maßnahmen für den Agrarsektor auflegen. Auch die Obergrenze für die Private Lagerhaltung ist im Gespräch. Phil Hogan ist zudem mit Pierre Moscovici im Gespräch. Der EU-Wirtschaftskommissar solle für ein Aussetzen von Importzöllen für Düngemittel überzeugt werden, damit bei den Landwirten die Betriebskosten sinken.

Das kritisieren die Europagrünen. Martin Häusling glaubt, dass der französische Vorschlag für eine Mengenregelung eine preiswertere Lösung sei. Amtskollegin Maria Heubuch rechnet vor, dass seit der Milchkrise den deutschen Betrieben 3,2 Milliarden Euro fehlten, wogegen die EU „nicht ansubventionieren“ könne.

Phil Hogan sieht hingegen nur begrenzte weitere Möglichkeiten. Sowohl rechtlich als auch finanziell werde der Rat in der kommenden Woche nicht alles umsetzen können. Rechtlich sind Maßnahmen an die Artikel 221 und 222 der Gemeinsamen Marktordnung gebunden, und können nur befristet „vom Kartellverbot freigestellt werden.“ Dazu gehören beispielsweise Produktrücknahmen, kostenfreie Verteilung von Produkten oder gemeinsame Absatzförderungen.

Die EU habe bereits etliche Maßnahmen im Wert von einer Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Hogan beklagt sich, dass die Länder noch längst nicht alle Gelder abgerufen haben. So sei es auch bei der Modulation zwischen der ersten und zweiten Säule. Gelder könnten für die Entwicklung des ländlichen Raumes jetzt schon innerhalb von sechs Wochen umgeschichtet werden. Dort gebe es 19 Maßnahmen für die Unterstützung der ländlichen Betriebe, von denen im Durchschnitt Eu-weit nur sieben angewandt werden.

Für den Milchmarkt hat Albert Dess (CSU) die Wiedereinführung der Butterfettstützung für die Speiseeisindustrie vorgeschlagen. In der Vergangenheit habe das über 170.000 Tonnen Butterfett der Speiseeisindustrie „zugeführt“. Ulrike Müller von den Liberalen würde das unterstützen, wie auch ihr niederländischer Kollege Jan Huitema, der den Weg der Deliberalisierung weiterhin für richtig hält.

Hogan erteilte einem Anstieg des Interventionspreises für Milch eine Abfuhr. Das würde Betriebe nur zu einer neuen Vermarktungschance verführen. Undeutlich bleibt die vielfach erhobene Forderung, strenger gegen unlautere Handelspraktiken vorzugehen. Meist zielt der Vorschlag auf den Lebensmittelhandel – aber der Agrarsektor hat auch eine eigene Haustür: Der Brite James Nicholson (Konservativer) kritisiert, dass die Düngemittelindustrie bei steigendem Ölpreis auch die Düngerkosten heraufsetzt, aber seit Abrutschen des Ölpreises die Kosten weiterhin hoch hält.

Wer hört auf?

Den Strukturwandel durchlaufen die Franzosen derzeit schmerzlich, weswegen sie Anfang des Monats auf der Pariser Landwirtschaftsmesse den Stand des französischen Agrarministeriums zerlegten. In Deutschland herrscht noch Ruhe, weil jeder Landwirt glaubt, er komme durch die Krise. Der nächste Schritt in diesem Jahr wird der sein, zu sagen, wer aufhören sollte. Wer nicht mit genug Eigenkapital wachsen kann oder keine Kooperationsmöglichkeit findet, der sollte sich überlegen, ob er in den kommenden Jahren noch ohne Arbeitsentlohnung auskommen will. So lautete ein Ergebnis der DLG-Wintertagung 2016. Mehr Hilfe von der EU wird es nicht geben.

Roland Krieg; Fotos: Screenshots der Agri-Videoübertragung

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