Seifenblase Koexistenz?

Landwirtschaft

Erste Ergebnisse aus einem Erprobungsanbau

>Im Rahmen des Gentechnikgesetzes ist die Koexistenz zwischen gentechnisch veränderten und unveränderten Nutzpflanzen vorgesehen. Die Wahlfreiheit auf grüne Gentechnik zu verzichten, schließt auch die Wahlfreiheit von Bauern ein, Pflanzen einzusetzen, die gentechnisch verändert sind: Koexistenz für einen nachbarschaftlichen Anbau. Aber die Nachbarn streiten - auch nach der gestrigen Presseerklärung in Berlin über die ersten Ergebnisse aus dem Erprobungsanbau mit Bt-Mais.

Erprobungsanbau
An 30 Standorten zwischen Baden-Württemberg und Rügen wurde Mais der Linie MON18 mit einem wissenschaftlichen Begleitprogramm angebaut, um unter Praxisbedingungen Erkenntnisse zu gewinnen, inwieweit eine Koexistenz gewährleistet werden kann. Der Bt-Mais weist eine gentechnisch erzeugte Resistenz gegen den Schädling Maiszünsler auf, indem ein Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis (Bt) eingebaut wurde. Damit kann der Mais einen Wirkstoff gegen den Falter produzieren, dessen Larven den Stängel der Pflanze bis hinauf zum Kolben durchbohren und zu einem der bedeutendsten Schädlinge in Deutschland geworden ist. Private Bauern haben zusammen mit den Landesanstalten für Landwirtschaft in Bayern und Sachsen-Anhalt teilgenommen. Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg übernahm die wissenschaftliche Begleitung und das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte den Erprobungsanbau zusammen mit Sachsen-Anhalt. Von 28 Standorten mit rund 300 ha konnten umfangreiche Daten erhoben werden. Das entspricht etwa 0,02 Prozent der aktuellen Maisanbaufläche.
Jeweils auf einer bis zu 20 Hektar großen Versuchsfläche wurde der Bt-Mais angebaut und mit konventionellem Mais von mindestens 60 m Breite ummantelt. In diesem Streifen wurde die Einkreuzung des GVO-Mais bestimmt. Jetzt wurden die Ergebnisse von sechs Standorten der Öffentlichkeit präsentiert. Keine Überraschung: Mit wachsender Entfernung zum Bt-Mais nimmt der Anteil von GVO-Spuren ab. Das statistische Mittel des Gehaltes gentechnisch veränderter DNA im konventionellen Mais liegt bei bis zu zehn Meter Abstand bei 1,2 Prozent, bei bis zu 30 Meter Abstand bei 0,4 und bei bis zu 60 Meter Abstand bei 0,3 Prozent. Prof. Dr. Eberhard Weber von der Universität Halle kommt zu einem eindeutigen Schluss: "Bei unmittelbar angrenzenden Maisbeständen kann durch die Einhaltung eines 20 Meter breiten Trennstreifens mit konventionellem Mais der gv-Anteil im benachbarten Schlag unterhalb des Kennzeichnungsschwellenwertes gehalten werden." Dieser Wert liegt bei 0,9 Prozent. Damit ist, so der Wissenschaftler eine Koexistenz möglich. Dr. Horst Rehberger, Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts, pflichtet bei und bezeichnet die Ängste vor Absatzeinbußen bei Werten über 0,9 Prozent als unbegründet.

Gegenreaktionen
Zu gegenteiliger Einschätzung kommen Bioland und BÖLW.
Der ökologische Anbauverband www.bioland.de sieht keinen Beleg für eine Koexistenzfähigkeit gentechnisch veränderter Pflanzen. Rückschlüsse für einen großflächigen Anbau können nicht gezogen werden.
Hauptkritikpunkt ist die Durchführung des Erprobungsanbaus: Während die EU-Kommission in ihren "Leitlinien für die Erarbeitung einzelstaatlicher Strategien und geeigneter Verfahren für die Koexistenz gentechnisch veränderter, konventioneller und ökologischer Kulturen eine Vielzahl innerbetrieblicher und außerbetrieblicher Faktoren nennt, die die Koexistenzfähigkeit von GT-Pflanzen bestimmen, konzentriert sich der Erprobungsanbau lediglich auf wenige Untersuchungsgegenstände. Fragestellungen zu Ursachen zufälliger Beimischungen beim Erzeugerbetrieb, der Ernte, beim Transport sowie in verschiedenen Verarbeitungsstufen sind völlig außer Acht gelassen." Bioland führt die Studie des Joint Research Centers im Auftrag der EU an, nach der "die Kosten für Maßnahmen zur Verhütung gentechnischer Verunreinigungen zwischen 53 € und 345 € pro Hektar liegen werden." Da sich Verbraucher deutlich gegen die Verwendung der grünen Gentechnik aussprechen, sieht Bioland keine Chance mehr für Imker bei einem großflächigem Anbau: "Gerade Mais-Pollen sind für Bienen im Frühjahr ein wichtiger Nahrungsbestandteil." Bioland Vorsitzender Thomas Dosch kritisiert anlässlich der Pressekonferenz: "Koexistenzversuche in Geheimhaltungsmanier und ohne Beteiligung derjenigen, mit denen die Koexistenz praktiziert werden soll, sind eine Farce und legen den Verdacht nahe, dass Blendwerk statt verlässlicher Fakten geschaffen werden sollen."
Der Bund der ökologischen Lebensmittelwirtschaft e.V. (www.boelw.de) beruft sich auf Erfahrungen in den USA mit Mais, Soja und Raps. Diese "zeigen, dass bereits nach kurzer Zeit kaum eine Partie dieser Pflanzenarten noch frei von künstlichen Genen ist. Solche Verunreinigungen gefährden die Ökologische Lebensmittelwirtschaft, die gesetzlich dazu verpflichtet ist, ohne Gentechnik zu arbeiten." Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des BÖLW, sieht gerade diese boomen: "Unser Umsatz steigt kontinuierlich und liegt mit über 3 Mrd. € um ein Vielfaches über dem der Agro-Gentechnik-Industrie. Die Zahl der Beschäftigten hat sich in den letzten 10 Jahren auf 150.000 Personen verdoppelt. Über 50 % der Verbraucher äußern Kaufbereitschaft." Hingegen arbeiten weniger als 2.000 Personen in der Genbranche und erzielen nur 150 Millionen € Umsatz, heißt es weiter. Unverständnis zeigt auch Dr. Alexander Gerber, Geschäftsführer des BÖLW: "Es kann nicht sein, dass die Ökologische Lebensmittelwirtschaft als umweltfreundlicher und wachsender - und damit innovativer - Wirtschaftssektor von einer Technik gefährdet wird, die im Vergleich zu diesem Wirtschaftssektor nur ein Bruchteil an Arbeitsplätzen zur Verfügung stellt".

Nachbarland Niederlande
In den Niederlanden haben, wie AgraEurope Anfang November berichtete, der Interessenverband der Ökobranche Biologica, der Bauernverband, konventionelle Saatgutvermehrer wie Plantum NL und eine Verbraucherplattform Grundregeln für eine Koexistenz vereinbart. Das Bündnis aus Kritikern und Befürwortern der Gentechnik konnte sich bei Kartoffeln, Zuckerrüben und Mais einigen und übergab den Bericht an Landwirtschaftsminister Dr. Cees Veerman, der sich für eine Umsetzung einsetzen will. Für transgene Kartoffeln soll der Abstand zu herkömmlichen Kartoffelbeständen 3 m betragen, für Zuckerrüben 1,5 m und für Mais 25 m. In der Nachbarschaft von Bio-Betrieben steigt der Mindestabstand für Kartoffeln auf 10 m, für Zuckerrüben auf 3 m und für Mais auf 250 m. Wer alle Koexistenzregeln einhält, ist von der Haftung für unbeabsichtigte GVO-Beimischungen befreit. In den Niederlanden ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen erlaubt, so dass Biologica keine andere Chance sah, als sich an den Grundregeln zu beteiligen. Ohne Richtlinien für die Praxis käme der Ökolandbau am schlechtesten weg.

Gentechnikfreie Zonen
Weltweit werden bereits auf rund 20 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Eine Koexistenz wird sich dauerhaft nicht aufrechterhalten lassen, weil umgekehrt niemals gentechnikfreie DNA-Abschnitte in GVO Pflanzen einkreuzen? Bleibt nur das eine vor dem anderen zu schützen? Wissenschaftler arbeiten auf der einen Seite an sterilen Pollen, um unerwünschtes Auskreuzen zu verhindern. Auf der anderen Seite schützen sich die Bauern mit gentechnikfreien Zonen. Die unabhängige bauernstimme der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hat in ihrer jüngsten Ausgabe alle 50 Zonen aufgeführt, in denen mittlerweile 11.600 Bauern auf rund 430.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche konventionellen und ökologischen Anbau betreiben: ohne Gentechnik. Vor nur einem Jahr starteten in Mecklenburg-Vorpommern 15 Bauern mit der freiwilligen Verpflichtung auf grüne Gentechnik zu verzichten. Unterstützt wird das Projekt vom BUND. Er hält detaillierte Informationen unter www.faire-nachbarschaft.de bereit.

VLE

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