Situationsbericht 2006

Landwirtschaft

Zwischenhoch in der Landwirtschaft

>Die wirtschaftliche Lage hat sich nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes (DBV) im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2004/2005 gebessert. Die Haupterwerbsbetriebe konnten ihr Unternehmensergebnis von 25.400 auf 34.600 Euro steigern. Trotzdem liegt das monatliche Bruttoeinkommen bei nur etwa 2.000 Euro je Arbeitskraft, womit eine angemessene Entlohnung der eingesetzten Faktoren Arbeit, Boden und Kapital ?weiter verfehlt? bleibt, so der DBV in seinem Situationsbericht 2006. Das verbesserte Ergebnis wurde durch die Erholung der Erzeugerpreise für Schweine und Rinder, der Einführung der Milchprämie und gesunkenen Aufwendungen für Futtermittel erzielt. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner fürchtet aber, dass dies nur ein Zwischenhoch ist, denn für das kommende Jahr steigen die Kosten für Treibstoff, Energie und Düngermittel. Zudem erhöhen sich die Abgaben für Agrardiesel, Unfall- und Krankenversicherung.

Agrarwirtschaft
Die Angaben über die landwirtschaftliche Nutzfläche, Hektarerträge und Milchleistungen sind in diesem Jahresbericht weit hinten platziert. Die ersten Seiten des Berichtes füllt diesmal die wirtschaftliche Bedeutung des Agrarsektors, was angesichts der Agrarreform und WTO-Runden die Verzahnung mit der übrigen Wirtschaft in Deutschland symbolisiert.
Der Anteil an der Bruttowertschöpfung liegt zwar nur bei 1,1 Prozent und der Anteil Erwerbstätiger bei lediglich 2,3 Prozent, doch weist de Agrarsektor mit 48,1 Milliarden Euro einen Produktionswert auf, der vor der Papier-, Textilindustrie, dem Bergbau und der Computerbranche liegt.
Die Landwirtschaft ist ein guter Kunde, denn die Bauern, Förster und Fischer geben 31,6 Milliarden Euro aus. Mit 11,4 Milliarden das meiste für Futtermittel, dann für Traktoren und Geräte, Dünger- und Pflanzenschutzmittel sowie Energie. Für Um- und Neubauten fließen 1,6 Milliarden Euro in die Baubranche.
Die Bauern werden auch immer mehr für zusätzliche Dienstleistungen akzeptiert. Die Hälfte der Deutschen sieht es deren Aufgabe der Bauern, die Landschaft zu erhalten und zu pflegen. Daher gewinnt der Urlaub auf dem Bauernhof an Bedeutung. Zwischen 1979 und 2001 verbrachten nur 1,9 Millionen Menschen ihre Ferien auf dem Land. Zwischen 2000 und 2001 waren es bereits 3,1 Millionen und zwischen 2001 und 2003 bereits 3,3 Millionen. War der ländliche Aufenthalt früher eine preiswerte Alternative, so stehen heute Naturnähe, Erlebniswelt für Kinder und persönliche Atmosphäre im Vordergrund. Rund 25.000 Betriebe bieten Familienferien an - die Hälfte davon in Bayern.

Vom Agrar- zum Industrieland
Der Jahrhundertvergleich zeigt den Wandel im Agrarbereich. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts war Deutschland mit einem Anteil von 38 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft ein Agrarland. Noch 1949 gab es über 1,6 Millionen Betriebe mit 4,8 Millionen Berufstätigen. Seitdem sinkt der jeweilige Anteil rapide ab: 2004 wurden nur noch 880.000 Berufstätige auf 370.000 Betriebe gezählt. Demgegenüber steigt aber die Produktivität. Um 1900 hat ein Landwirt vier Personen ernährt, 1950 waren es bereits 10 und heute sind es über 120 Menschen. Trotzdem bleibt Deutschland ein Nettoimportland für Agrar- und Ernährungsgüter. 1900 lag der Selbstversorgungsgrad bei 87 Prozent ? heute sind es nur noch 82 Prozent. In diesen Angaben sind Auslandsfuttermittel noch gar nicht berechnet.
In den meisten Produktgruppen hat der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland zugelegt. Rapide gefallen ist er nur bei Kartoffeln von 271 kg auf 67 kg, dann auch bei Brot und Molkereiprodukten. Beim Brotverzehr ist Deutschland mit knapp 87 kg aber immer noch Europameister. Auf einem Hektar Winterweizen wachsen bei 74 dt Ertrag 7.900 Mischbrote von jeweils einem Kilogramm. Oder 144.000 Brötchen.
Der Wandel geht an der Agrarstruktur nicht vorbei. 372.000 Betriebe bewirtschaften rund 17 Millionen Hektar Land. Die Hälfte der Fläche wird aber von nur acht Prozent der Betriebe bearbeitet. Fast 30.000 Betriebe bewirtschaften mehr als 100 ha Fläche, von denen die meisten in Ostdeutschland liegen. Die so genannte Wachstumsschwelle ist kontinuierlich angestiegen. Anfang der 1980er Jahre lag sie bei 30 Hektar, 1990 bei 40 Hektar und heute nimmt nur noch die Zahl die Betriebe zu, die mehr als 75 Hektar Fläche bewirtschaften.

Nahrungsmittel als Inflationsbremse
Mit den Strukturänderungen auf der Angebotsseite, verändert sich korrespondierend auch die Nachfrageseite. ?Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise haben sich in den letzten Jahren ausgesprochen günstig auf die Nahrungsmittelpreise ausgewirkt?, so der Bericht. Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke sind deutlich weniger teurer geworden als die Lebenshaltung insgesamt. Bei einem Anstieg von 4,9 Prozent gegenüber 7,4 Prozent spricht der DBV von einer Haushaltsentlastung von über drei Milliarden Euro pro Jahr. Dabei geben die Haushalte im Durchschnitt nur noch 11,7 Prozent des Einkommens für Lebensmittel aus. Von jedem Euro kommen aber nur noch 24 Cent bei den Bauern an.
Einen Anteil daran hat der Lebensmittelhandel. Insgesamt wurden von ihm 218 Milliarden Euro umgesetzt, wobei die zehn größten Händler mehr als 80 Prozent des Umsatzes auf sich vereinen. So beherrscht ein harter Verdrängungswettbewerb das Geschehen, das mit seiner Struktur im ablaufenden Jahr wiederholt Lebensmittelskandale erleichterte.
Die weltgrößte Einzelhandelskette ist dabei der amerikanische Wal-Mart-Konzern mit einem Gesamtumsatz von 285 Milliarden US-Dollar. Er ist dreimal so groß wie der zweitplazierte Carrefour aus Frankreich. Auch Wal-Mart besetzt die Billignische, hat 5.000 Märkte weltweit und steht ebenfalls in starker Kritik: Einmal möchte er seinen Mitarbeitern Liebesbeziehungen verbieten und muss derzeit 127 Millionen Dollar Entschädigung bezahlen, weil er seinen Mitarbeitern eine 30-minütige unbezahlte Mittagspause verwehrte. In Deutschland ist nach Angaben des DBV der Konzern mit 100 Filialen vertreten, erzielt 2,8 Milliarden Umsatz, hat aber kein positives operatives Ergebnis erzielt.
In den letzten Jahren hatten die Discounter einen starken Aufschwung und haben ihren Marktanteil auf gut 39 Prozent heraufgeschraubt. Allerdings werden sie in Zukunft weniger stark wachsen: ?Die Kunden würden in Zukunft wieder deutlicher die Markenvielfalt der klassischen Lebensmittelhändler schätzen?. Auch eine aktuelle KPMG-Studie unterstreicht die Aussagen der diesjährigen ANUGA, dass Verbraucher vermehrt nach Qualität und Premiumprodukte fragen. Die Zukunft gehört dem Spagat zwischen Preis und Qualität.

Risikomanagement in der Landwirtschaft
Landwirtschaft ist keine Schraubenfabrik: überdacht, feuerversichert und notfalls schnell wieder aufgebaut. Die Arbeit der Bauern bleibt witterungsabhängig. Dürre oder Überschwemmungen vernichten nicht nur die aktuelle Ernte, sondern machen die Arbeit eines ganzes Jahres zunichte. Hagel bereitet den deutschen Landwirten bis zu 200 Millionen Euro Schaden pro Jahr. Im ablaufenden Jahr sorgte die Risikoabschätzung über die Vogelgrippe für monetäres Unwohlsein. Bauern zahlen zwar in die Tierseuchenkasse ein und erhalten Entschädigungen für getötete Tiere, aber Bauern, denen ohne eigenen Seuchenausbruch der Marktzugang verwehrt wird, erhalten keinen Ausgleich. Gemäß des amerikanischen Vorbildes sollte es für den DBV auch einen "Agricultural Risk Protection Act" geben, der Versicherungsprämien bezuschusst und einen Ausgleich für geringe Marktpreise gewährt. In den USA wurden seit 2001 dafür 5,5 Milliarden Dollar gezahlt.
Den Wandel in der Landwirtschaft beschreibt die "Wette auf das Wetter" an der Warenterminbörse Hannover am Besten. Dort wurde 1996 eingerichtet, was woanders seit Jahrzehnten erlaubt ist: Futures für Schweine und Kartoffeln, die es mittlerweile auch für Ferkel, Braugerste und Weizen gibt. 2004 wurden 33.000 Kontrakte gehandelt.
Das Prinzip: Eine Dezitonne Kartoffel kostet dem Bauern 5,50 Euro. Im Juni wird der Oktober-Preis für eine Dezitonne Kartoffel aber bereits mit 9 Euro gehandelt. Der Bauer kauft einige Kontrakte. Zur Erntezeit fällt der Kartoffelpreis auf 4,50 Euro, was ihm einen Verlust einbringt. Nur die Kartoffelmenge, für die er den günstigen Kontrakt abgeschlossen hat, bringt ihm einen Gewinn, mit dem er den Verlust auf dem freien Markt ausgleichen kann. Daher werden die Futures als Preisabsicherungsinstrument angepriesen. Der Bauer kann mit seinen Kartoffelfutures allerdings auch mit Zitronen gehandelt haben. Wird es eine schlechte Ernte und der Preis steigt auf 10 Euro, dann bekommt er trotzdem nur die 9 Euro, die im Kontrakt stehen. Dann realisiert er nicht den vollen Preis. In dem Future sind zu liefernde Menge und Qualität genau festgeschrieben. Hier treffen Bauern auf Spekulanten, die mit ihren Kontrakten auf steigende Preise setzen.

Ökolandbau
Neben den erneuerbaren Energien bildet er Ökolandbau das einzig wachsende Marktsegment der Landwirtschaft. Weltweit sind es bereits über 26 Millionen Hektar, wobei Australien mit 11 Millionen den größten Anteil aufweist: allerdings meist Grünland. In Deutschland bewirtschaften 16.603 Betriebe 767.891 Hektar nach ökologischen Maßnahmen.
Dass der DBV sich mittlerweile auch für den Ökolandbau einsetzt, liegt an den guten Betriebsdaten. Die erzielten Erträge liegen auf den Ökobetrieben unter denen der konventionellen Höfe und sie müssen wesentlich mehr Arbeit aufwenden. Dafür sind die Aufwendungen für Pflanzenschutz und Düngemittel bedeutend geringer und die Erzeugerpreise höher. Daraus resultiert ein Unternehmensgewinn von 37.100 Euro gegenüber 27.700 Euro des konventionellen Hofes. Bei Berechnung der Arbeitskraft reduzieren sich die Zahlen, aber der Ökobetrieb erwirtschaftet dann mit 22.200 ? immer noch mehr als sein Kollege mit 18.200 €.

Der Situationsbericht ist eine Fundgrube für alle, die sich über die Wertschöpfungskette Agrar informieren wollen. Die Zahlen stammen aus den Buchführungsergebnissen der LAND-DATA und die Marktinformationen von der ZMP. Den Bericht gibt es im Internet unter www.situationsbericht.de

roRo

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