Sonder-AMK zur Tierhaltung

Landwirtschaft

Gemeinsamkeiten mit Gegenwind

Die Tierhaltung in Deutschland steht unter Druck. Aus Tierschutz wurde Tierwohl, flächenlose Betriebe wissen nicht wohin mit der Gülle, die Verschärfung der Düngeverordnung stößt auf Widerstand bei den Bauern und die Wasserwirtschaft will die Ackerbaustrategie verschärfen. „Neue Ställe braucht das Land“. Aber wer soll das bezahlen? Jeder Stallneubau verbessert das Tierwohl und kann mit den stetig neuen Forderungen nicht Schritt halten. Davon bleibt auch der Biolandbau nicht verschont. Gerade die Pioniere müssen endlich raus den alten Stallgebäuden und stehen vor finanziellen Herausforderungen. Der Anbauverband Demeter hat sich 2018 für die Ferkelkastration mit Improvac entschieden und darf es am kommenden Dienstag nicht mehr einsetzen. Eine Sondersitzung der Agrarminister (AMK) in Deutschland vor dem informellen Treffen der EU-Landwirtschaftsminister in Koblenz ist überfällig. Es fand heute in Berlin statt und konnte mit dem so genannten Borchert-Papier eigentlich auf eine Blaupause blicken, die von allen Seiten viel gelobt wurde.

Lösungen sind da

Am Vorabend erklärte Bauernpräsident Joachim Rukwied noch einmal die gute Arbeit der Borchert-Kommission. Schließlich saßen dort alle Akteure an einem Tisch und fanden einen Konsens. Die Veredlungswirtschaft heißt nicht nur wegen der Veredlung von Rauhfutter zu wertvollem Fleisch so, sondern auch wegen der hohen Wertschöpfung. Wenn Ackerbaubetriebe kaum mehr wachsen können, wäre der Einstieg in die Tierhaltung ein neuer Markt. 50 bis 65 Prozent der landwirtschaftlichen Wertschöpfung wird je nach Bundesland aus der Tierhaltung gewonnen. Die Konsumenten verzehren nicht nur Fleisch auf anhaltend hohem Niveau, sie haben sich auch deutlich mehr auf wertvolle Teilstücke verlegt. Deutschland braucht mehr Schnitzel und weniger Innereien. Letzteres kann bei der Versorgung mit Koteletts international gehandelt werden. Länder wie China können sich  wegen der Afrikanischen Schweinepest nicht mehr selbst versorgen und suchen sich den Importmarkt aus Südamerika, Europa oder den USA aus.

Ressourceneffizienz in der Landwirtschaft hat zu einer Konzentration der Tierhaltung geführt. Gesellschaft und Fachwelt kritisieren die Intensivhaltung gleichermaßen, schreibt die Borchert-Kommission. Für die Ordnung der organischen Dünger hat die Politik die Düngeverordnung gesetzt, Verbraucher werden nur in kleinen Schritten auf Fleisch verzichten wollen. So bleibt es an den Landwirten, die Tierhaltung artgerecht zu gestalten. Neue Zuchtziele wie Lebensleistung lassen sich nur mühsam durchsetzen, heimisches Futter ist Mangelware und für jeden Stallumbau müssen Baurecht und Bundesimmissionschutzgesetz beachtet werden.

Tierwohlindikatoren liegen oft nicht vor. Bauteile wie Trittschallmatten, Body-Mass-Kameras und Milchuntersuchungen in Echtzeit beim Melken auf Euterentzündung sind noch nicht in breitem Einsatz.

Am Ende, auch das ist Teil des Borchert-Berichtes, muss ein Umbau finanziell abgesichert sein. Das ist keine deutsche Frage. Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), der Green Deal, die Strategie Farm-2-Fork und die Volksbegehren in deutschen Bundesländern bilden nach Rukwied eine vergleichbare Blaupause für die Zukunft der Landwirtschaft, der sich die Bauern kaum entziehen werden können. Die Umsetzungen der Volksbegehren in Baden-Württemberg und Bayern sind aber auch Blaupausen, wie sie demnächst in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Brandenburg möglich sind. Die sind auch nötig. Im Rahmen der Pandemie wollen Berlin, Brüssel und die Konsumenten mehr Regionalität. Kurze Wertschöpfungsketten versprechen den Bauern einen höheren Gewinnanteil. Rukwied sieht gegenüber Herd-und-Hof.de noch viel Luft nach oben. Gerade die Direktvermarktung habe in den vergangenen Monaten aufgeholt. Das werde sich nach der Pandemie fortsetzen.

Allerdings ist das Brett für die Tierhaltung besonders dick. Wehrhafte Bürgerinitiativen bilden sich mittlerweile schon bei kleineren Stallerweiterungen und selbst bei Ökoställen. Da helfe nur die Kommunikation der Landwirte vor Ort, erklärte Rukwied: Vor der Planung müssen die Landwirte Bürger und Kommunen mit ins Boot holen. Die Frage nacheinem Bankkredit bei niedrigen Preisen rückt dann ins zweite Glied.

Breite Unterstützung gesucht

„Der Umbau und die Finanzierung müssen auf ein breites politisches und gesellschaftliches Fundament gestellt werden. Denn Planbarkeit und Verlässlichkeit über Legislaturperioden hinaus ist für die Landwirte unabdingbar, wenn sie investieren, um ihre Ställe für mehr Tierwohl umzubauen.“ Das teilte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner vor der AMK mit. Sie setzt auf das Borchert-Papier, kann mit 300 Millionen Pandemie-Hilfe für den Stallumbau werben und steht kurz vor einer Änderung des Baugesetzbuches. Mittlerweile stehen auch die Kriterien für ein staatliches Tierwohllabel.

„Die Borchert-Kommission hat ein vernünftiges, realisierbares und mit langfristig kalkulierten Mehrausgaben von 35 Euro pro Jahr und Verbraucher ein für Alle bezahlbares Konzept vorgelegt [1]. Damit erreichen wir am schnellsten und am konsequentesten Fortschritte beim Tierwohl und stärken gleichzeitig die wirtschaftliche Existenzfähigkeit unserer Tierhalter.“ Mit diesen Worten drängt die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber Julia Klöckner auf schnelle Umsetzung.

Also alles gut?

„Es geht jetzt darum, landwirtschaftlichen Betrieben und einer neuen Generation von Bäuerinnen und Bauern eine Perspektive zu geben und gleichzeitig unseren Planeten für unsere Kinder und Enkel lebenswert zu erhalten“, sagte die Vorsitzende der Umweltministerkonferenz und Hessens Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Priska Hinz. Klöckner hat zuletzt sogar die Tierwohlabgabe abgesegnet. Neuland-Schweinehalter Martin Schulz, der in der Borchert-Kommission saß, fordert „Agrarministerin Klöckner auf, eine Finanzierungs- und Umsetzungsstrategie für die Tierwohlabgabe vorzulegen“. Jetzt ist die Zeit für eine Umsetzung.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft schlägt vor, die Förderungsbedingungen auf die sogenannten Stufen 2 und 3 des Tierwohllabels zu konzentrieren und auszurichten. Das bedeutet, Gelder zur Verfügung zu stellen, u.a. für mehr zusätzlichen Platz der Tiere, Klimazonen mit Außenklima, Ringelschwanz bei Schweinen, Strohhaltung, Auslauf- bzw. Weidehaltung. Wir haben schon sehr viele landwirtschaftliche Betriebe verloren, bei der Schweinehaltung allein in den letzten zehn Jahren über ein Drittel.

Sogar der BUND ist weitestgehend zufrieden. 20 Jahre gibt der Verband der Politik Zeit, ein gesellschaftlich wertgeschätzte Nutztierhaltung erreicht wird. Die mengenbezogene Tierwohlabgabe berücksichtige einkommensschwache Familien. „Deshalb ist eine sozialpolitische Flankierung dringend notwendig. Die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes für Ernährung oder günstige Essensangebote in Kitas und Schulkantinen wären hierzu ein guter Weg.“

Ungeliebtes Tierwohllabel

Jan Plagge kritisiert beim Tierwohllabel die Freiwilligkeit. Wir brauchen dringend die Umsetzung eines Instrumentenmixes, welcher den Tieren, der Umwelt und den Menschen gerecht wird. Dazu gehören neben einer gezielten Förderung artgerechter Ställe und Haltungsverfahren auch höhere gesetzliche Anforderungen, die Umsetzung der Flächenbindung in der Tierhaltung und eine damit einhergehende deutliche Abstockung der Tierbestände“, erläutert der Vorsitzende des Anbauverbandes Bioland. Die erste Stufe entspreche gerade einmal den gesetzlichen Anforderungen.

Noch ärgerlicher für Klöckner ist die Ablehnung des freiwilligen Tierwohllabels durch den Koalitionspartner SPD. Susanne Mittag sagte in der Osnabrücker Zeitung von Donnerstag, dass die Sozialdemokraten dem Verordnungsentwurf nicht zustimmen werden. „Mit Freiwilligkeit kommen wir nicht mehr weiter. Wir brauchen ein verpflichtendes Tierwohllabel auf den Verpackungen. Und dieses muss für alle Nutztiere gelten.“

Dem Ökosektor fehlt in dem dreistufigen Label die Biostufe. Nach Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstand des Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), würde Bio dadurch sogar diskriminiert. „Das führt zu Verwirrung bei den Verbrauchern.“ Der BÖLW plädiert für eine Haltungskennzeichnung wie bei den Eier.

„The Future of Sonntagsbraten“

Gerade Niedersachsen ist ein tierdichtes Land, in dem Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast den Niedersächsischen Weg formuliert hat. In einem Podcast wagt sie mit dem Ethikprofessor Nick Lin-Hi einen Blick in die Kristallkugel und stellt einen großen Umbruch im Bereich der europäischen Tierhaltung fest [2].

Die agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kirsten Tackmann, weitet ebenfalls den Blick auf die Verbraucher, ohne die es keinen Fahrplan für den Umbau der Nutztierhaltung geben wird: „Das gesamte Ernährungssystemgehört auf den Prüfstand um es sozial, ökologisch und ökonomisch auf verantwortbare, zukunftsfähige Füße zu stellen.“

Vollspaltenböden

Tierwohl ist mehr als das Raumangebot für Tiere. So fehlt Tierschutzorganisationen die Abschaffung des Vollspaltenbodens in der Rinder- und Schweinemast. „Dieses Haltungssystem ist gesellschaftlich, fachlich und auch rechtlich nicht mehr tragbar“, beklagt Tierärztin Sinja Funke von ProVieh aus Berlin. Mit der Forderung kämpft auch Elisabeth Köstinger, Landwirtschaftsministerin in Österreich. Vor einem Arbeitsgespräch zur Hotellerie am Donnerstag zogen Tierschutzverbände mit der Forderung der Abschaffung des Vollspaltenbodens in Graz auf. Köstinger setzt ebenfalls auf Freiwilligkeit.

Radikal zeigt sich beispielsweise die Gruppe „Aktion Kirche und Tiere“, denen das Borchert-Papier nicht weit genug geht, um Fehlentwicklungen zu korrigieren [3].

Aktionsverbote

Klöckners Idee, Fleisch von Aktionsangeboten auszunehmen entspricht zwar dem Wunsch vieler Landwirte, die ihre Produkte im Radio, TV und auf Handzetteln als „Billigware“ wiederfinden, hat aber eine neue Diskussion eröffnet. Elisabeth Waizenegger, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, kommentiert: „Es ist richtig, dass Landwirtschaftsministerin Klöckner diese Lockangebote für Billigfleisch verbieten lassen will. Aber genauso notwendig ist es, das auch für Milchprodukte und für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse einzufordern. Wir produzieren keine Rohstoffe, sondern Lebensmittel und wir Bäuerinnen und Bauern wollen dafür existenzsichernde Preise erhalten. Die Abkehr von dem Billigsystem Fleisch, Milch, Getreide, Gemüse u.v.m. ist die Grundlage dafür, den gesellschaftlichen und bäuerlichen Anforderungen für mehr Klimaschutz, Biodiversität und Tierwohl nachkommen zu können. Dann muss der Lebensmitteleinzelhandel mit Qualitätskriterien wie z.B. bäuerlichen Leistungen für Klimaschutz, Biodiversität und Tierwohl werben. Das würde zwangsläufig zu einer größeren Wertschätzung der Arbeit von Bäuerinnen und Bauern und zu einer höheren Wertschöpfung auch auf den Betrieben führen. Das ist ein Ausweg aus dem Billigsystem.

Immunokastration?

Neben den beiden Betäubungsalternativen und der Ebermast können Landwirte auf die so genannte Immunokastration zurückgreifen. Dabei werden die Eber zweimal mit einem Wirkstoff geimpft, der wie ein Hormon wirkt, aber keines ist. Neben der Ebermast ist das der geringste Eingriff für eine Kastration. Nachdem die EU-Kommission diese Methode nicht mit den Ökostandards vereinbar hält, steht Improvac vor dem Aus. „Wir erwarten ein klares Bekenntnis der Länder zum Staatsziel Tierschutz und damit zur Immunokastration, so wie vom Saarland und Niedersachsen bereits klargestellt. Das aus dem Staatsziel folgende Optimierungsgebot verpflichtet zur stetigen Verbesserung des Tierwohls, gleichzeitig gilt ein Verschlechterungsverbot. Das Verbot der Immunokastration im Ökobereich wäre es ein massiver Rückschritt für den Tierschutz“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Würde Improvac im Ökolandbau verboten sendet es auch negative Signale für die konventionelle Schweinehaltung aus.

Beim Ministertreffen bestand Konsens über die Einschätzung, dass die Immunokastration vereinbar mit den Vorschriften des Öko-Landbaus ist, unterstrich Gastgeber Umweltminister Reinhold Jost aus dem Saarland. Die Agrarminister äußerten ihr Unverständnis darüber, dass die EU-Kommission diese Methode für nicht zulässig erklärt hat. Die Minister baten Bundesministerin Klöckner, sich  im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft bei ihren Amtskollegen in der Europäischen Union für die Anwendung der Immunokastration in Öko-Betrieben einzusetzen.  

Das Ergebnis

Die Agrarministerkonferenz ist die einzige, bei der alle Beschlüsse in Einstimmigkeit gefunden werden. Damit fiel die Sitzung eindeutig für Klöckner aus. Von den Pandemie-Geldern über die Änderung des Baurechtes bis zum dreistufigen Label, das bei der EU ebenfalls schon notifiziert ist, bis zu den Kriterien der einzelnen Stufen haben alle Bundesländer den Umbau beschlossen. Für die Finanzierungsmöglichkeiten wird eine Machbarkeitsstudie ausgeschrieben, die auch die damit verbundenen Rechtsfragen beleuchten wird.

Entsprechend zufrieden zeigte sich die Ministerin: „Dass auch die Länder unseren Weg unterstützen, ist deshalb ein wichtiges Signal. Und wir lassen keine Zeit verstreichen und beginnen jetzt. Die Länderminister haben uns eine breite Unterstützung mitgegeben für die Machbarkeitsstudie, die wir erstellt haben und nun ausschreiben. Bei der nächsten Frühjahrs-Agrarministerkonferenz werde ich die Ergebnisse vorstellen.“

Die Empfehlungen der Kommission lassen sich nicht im Handumdrehen umsetzen, fügt Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern hinzu. Backhaus findet, der Umbau ist nun auf dem Weg, der aber erst bei einer europäischen Harmonisierung endet.

Daher heißt es „Gas geben“, so Barbara Otte-Kinast. Die Beschlüsse sind ein wichtiges Zeichen für die Landwirte. Sie zieht den ganzen Bund in die Verantwortung ein, denn für das Gelingen sind bau- und immissionsschutzrechtliche Hindernisse zu beseitigen.

Regionalsierung bedeutet mehr als Erzeugung. Michaela Kaniber will dezentrale Schlachthofstrukturen fördern, damit die Tierhaltung auch regional bleibt. Europa muss den Rahmen für fairen Wettbewerb bilden, damit „Importe aus Drittländern, in denen niedrigere Standards für die Erzeuger gelten“, die Fortschritte nicht unterlaufen.

Lesestoff:

[1] Die Borchert-Kommission schlägt folgende Finanzierung vor: 40 ct/kg Fleisch, 2 ct/kg Milch, Frischmilchprodukte und Eier sowie 15 ct/kg Käse, Butter und Milchpulver

[2] https://www.ml.niedersachsen.de/mlpodcast

[3] Klöckner und die Bischöfe: Kirche ist Teil der größten Kritiker: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/aus-den-seelen-gesprochen.html

Roland Krieg

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