Sortenwahl ohne amtliche Versuche
Landwirtschaft
Brauchen Bauern und Gesellschaft Landessortenversuche?
Wenn es in Schleswig-Holstein vor der Getreideernte eine
Stunde regnet und anschließend von Nord- oder Ostsee eine „steife Brise“ weht,
dann liegt der Roggen flach. Standfestigkeit ist für Ackerbauer Friedrich
Bennemann aus Boren bei Kappeln ein wichtiges Auswahlkriterium bei der
Sortenwahl. Er leitet einen 650 Hektar großen Marktfruchtbetrieb mit
Grassamenvermehrung und Hafer für die Cerealienfabrik. Auf hofnahen Flächen wächst
Mais für die Biogasanlage. Ein hoher Ertrag bürgt für eine hohe Gasausbeute.
Auch Roggen, Weizen und Raps müssen hohe Erträge
erzielen. Aber schon beim Hafer steht dieses Kriterium nicht mehr an erster
Stelle. Die Schälmühle verlangt geringen Spelzenanteil, helles Korn und hohes
Tausendkorngewicht. Und bei den anderen Früchten sucht Bennemann die Sorten
auch nach Standfestigkeit, großem Erntezeitfenster oder Spätsaatverträglichkeit
aus.
Landessortenversuche
Dass Bennemann überhaupt eine Auswahl hat, verdankt er
den Züchtern, die ständig neue Sorten entwickeln. Mehr als 120 Sorten werden dem
Bundessortenamt zur Zulassung jährlich vorgelegt. Nur 15 Prozent werden zugelassen
und dann auf wertbestimmende Eigenschaften geprüft. Lediglich fünf Prozent gelangen
in die Beratungspraxis und werden in den landwirtschaftlichen Wochenblättern
vorgestellt.
In anderen EU-Ländern werden rund 40 Prozent der
vorgelegten Sorten zugelassen. Das deutsche Prüfwesen gilt daher auch als
Prüffilter, der den Bauern am Ende „Premiumsorten“ anbietet. Deshalb achtet
Bauer Bennemann auch kaum auf Gesundheitswerte. Die in der Beschreibenden
Sortenliste aufgeführten Sorten „sind alle gesund“, erklärte er auf der
Wintertagung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) letzte Woche in
Münster.
Landessortenversuche auf der Kippe
Doch das Landesprüfwesen steht auf der Kippe. Fast in
allen Bundesländern wird wegen knapper Kassen und Personalabbau ein Abbau der
Landessortenprüfung diskutiert. In Brandenburg ist eine Vorentscheidung
gefallen und eine Arbeitsgruppe prüft derzeit noch, „was zu retten ist.“1)
Dieser Trend ist „beunruhigend“, sagte Dr. Reinhard
Kendlbacher, Vorsitzender des DLG-Ausschusses für Pflanzenzüchtung und Saatgut.
Die Versuche sind die Basisarbeit für Züchter und Berater und bislang eine „Dokumentation für den Züchtungsfortschritt zum Nulltarif.“
Das Sortenprüfsystem beinhaltet für Volker Michel von
der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern „fundamentale
Vorzüge: Unabhängigkeit und Neutralität, Beurteilung der Gesamtheit der
wertbestimmenden Eigenschaften als Landeskultureller Wert, repräsentative
Ergebnisse durch Exaktversuche, Mehrjährgkeit und Mehrortigkeit sowie
standortkundliche Anbaugebiete.“ Michel bezieht sich auf einen Beschluss der
Agrarministerkonferenz aus dem Jahr 2004, nach dem „ein kosteneffizientes und
durchgängiges Sortenprüfsystem“ erhalten bleiben soll. Damit wird dem
Landessortensystem ein öffentliches Interesse zugewiesen und schließlich mit
öffentlichem Geld finanziert.
Würde Brandenburg die Versuche einstellen, wäre das
eine „Zäsur“, so Michel. Die Qualität der zugelassenen Sorten würde genauso
sinken wie die Beratungsentscheidung. In der Praxis könnten Sortenversuche, die
von privater Hand durchgeführt werden zu einer Minderung der Akzeptanz führen.
Bei den großen Sorten würde sich der finanzielle Rückfluss an die mindern, die
weniger investieren könnten. Bei kleineren Sorten wie Lein oder die Runkelrübe verringerten
sich Anbau und Züchtung weiter.
Michel fürchtet, dass letztjährige Ergebnisse in der
Beratung überbetont würden. Der Faktor Winterfestigkeit ergebe sich
beispielsweise nicht aus zwei oder drei Anbauversuchen, sondern erst nach
mehreren Jahren. Nach Michel würde sich das Marketing auf ausgewählte Ergebnisse
beschränken, die Sorten nach Ertragsstärke ausgewählt und Exklusivsorten
vertrieben.
Außerdem stehen die Bundesländer in der Pflicht zu
ihren Nachbarn. Für Winterweizen gibt es 23 definierte Anbaugebiete, für
Futtererbsen neun. So prüft Brandenburg für seinen nördlichen Nachbarn mit. Hier
müssten auch Prüfverträge beachtet werden, weswegen ein Ausstieg aus der
Sortenprüfung nicht einfach werde, erläuterte Michel.
System Agravis
Nach Franz Schulze Eilfing, Bereichsleiter Pflanzenbau
von der Agravis Raiffeisen AG in Münster, hat sich zumindest seine Firma schon
ein eigenes Standbein aufgebaut. Das „System Agravis“ bewertet an insgesamt 20
Standorten Raps, Mais und Getreide. Neben der Ertragsstärke werden auch
Anbautechniken und Bodenbearbeitung auf den mehr als 5.600 Parzellen geprüft. Das
Besondere an dem System ist der frühe Einstieg der Agravis. In Absprache mit
den Züchtern werden schon Sorten übernommen, die erst das zweite
Wertprüfungsjahr abgeschlossen haben. Das heißt, so Schulze Eilfing, dass
Agravis zur Zulassung einer Sorte bereits vermehrtes Saatgut auf dem Markt
anbieten kann. Ein Wettbewerbsvorteil für den Züchter, den Vermehrer und den
Landwirt.
Auch selbst gestellte Fragestellungen werden getestet.
Derzeit sucht Agravis angesichts des Biogasbooms eine Winterweizensorte, die
noch nach der Maisernte in den Boden gebracht werden kann.
Mais ohne deutsches Prüfsystem
Die Landwirte sind ebenfalls schon auf anderen Pfaden
unterwegs. Im Jahr 2010 haben die Maisbauern 650 verschiedene Sorten auf
deutschen Feldern ausgesät. Rund die Hälfte wurde nicht in Deutschland geprüft
und stammt nicht von der Beschreibenden Sortenliste des Bundessortenamtes. Sie
verwenden verkehrsfähiges Saatgut, das andere Mitgliedsländer der EU zugelassen
haben. Daraus resultiert ein Preisvorteil auf den manche Bauern zurückgreifen. „Rabatt-Mais“
nennt Volker Michel diese Sorten und auch Uta Schnock, Referatsleiterin für
Wertprüfung und Beschreibende Sortenliste im Bundessortenamt hinterfrage, ob
die Bauern wirklich nur die Sorten aus den Landessortenversuchen haben wollten?
Es scheine ja auch anders zu gehen.
Trotzdem sieht sie in der amtlichen Sortenprüfung „ein
hohes Gut“, das eine ausreichende Datengrundlage für die betriebliche Entscheidung
für das Saatgut bereitstellt. „Einen völligen Rückbau sollte es nicht geben“,
sagte Schnock. Dennoch müsse die Frage erlaubt sein, wie die knapper werdenden
Landesressourcen künftig effizienter eingesetzt werden können.
Ein Vorbild könnte das CTPS in Frankreich sein. Das “Comité
Technique Permanent de la Sélection des plantes cultivées”. Das Komitee besteht
aus Landwirten, Züchtern und Verbrauchern und schlägt dem französischen Landwirtschaftsministerium
Sorten für eine Zulassung zu.
Die Beteiligung der Verbraucher ist nach Schnock
wichtig, denn die Landessortenversuche werden mit öffentlichen Geldern
finanziert. Doch obwohl den meisten Verbrauchern das Thema weitgehend unbekannt
ist, könnte es dem Steuerzahler mit guten Argumenten nahe gebracht und erklärt
werden. Die künftigen Sorten, so Schnock, müssen an die nachhaltige
Landwirtschaft angepasst sein, angesichts knapper Ressourcen nährstoffeffizient
wachsen und trotzdem einen guten Ertrag erzielen sowie auch ohne chemische
Behandlung Krankheiten widerstehen. Diese Sorten müssen getestet und bewertet
werden.
Thüringen bündelt
Vor Weihnachten hat Thüringens Landwirtschaftsminister Jürgen Reinholz den Weg seines Bundeslandes beschrieben und sich die staatlichen Feldversuche ausgesprochen. Angesichts knapper Kassen wird das Versuchswesen neu organisiert. Ab sofort koordinieren zwei Kompetenzzentren in Dornburg für Acker- und Pflanzenbau und Oberweißbach für Grünland und Futterbau die Arbeiten auf den sechs Versuchsstandorten in Thüringen. Sie planen gemeinsam die Versuche, werten sie aus und veröffentlichen sie gemeinsam. Damit soll das staatliche Versuchswesen in Thüringen für die nächsten Jahre gesichert sein. Andere Bundesländer nutzen die Ergebnisse schließlich mit.
Lesestoff:
1) Das Landessortenversuche
in Brandenburg stehen auf der Kippe
Das französische CPTS finden Sie unter www.geves.fr (französisch)
Roland Krieg