Soziale Landwirtschaft: Praxis und Ziele

Landwirtschaft

Witzenhausener Tagung zur Sozialen Landwirtschaft

Fast 140 Teilnehmer trafen sich am vergangenen Wochenende zu der Tagung „Praxis und Ziele Sozialer Landwirtschaft in Deutschland – Die Verbindung von Landbau und Sozialarbeit als Herausforderung“ am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel in Witzenhausen. Im Vergleich zu vor zwei Jahren im Rahmen des EU-Projekts SoFar (Social Farming) veranstalteten Tagung hat sich die Teilnehmerzahl fast verdoppelt.

Was ist Soziale Landwirtschaft?
Soziale Landwirtschaft umfasst landwirtschaftliche Betriebe und Gärtnereien, die Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen integrieren, Höfe, die eine Perspektive bieten für sozial benachteiligte Menschen, für straffällige oder lernbehinderte Jugendliche, Suchtkranke, Langzeitarbeitslose und aktive Senioren, Schul- und Kindergartenbauernhöfe und viele andere mehr. Vorsorge, Inklusion, Rehabilitation, Bildung und mehr Lebensqualität sind Aspekte Sozialer Landwirtschaft.
Anlass für die Tagung war das vom Bundeslandwirtschaftsministerium geförderte Projekt „Soziale Landwirtschaft auf Biobetrieben in Deutschland“. Darin werden Strategien zur Entwicklung Sozialer Landwirtschaft als Perspektive insbesondere für ökologisch wirtschaftende Betriebe in Deutschland erarbeitet. Angebote ökologisch wirtschaftender sozialer Höfe sollen für weitere Nutzergruppen transparent gemacht werden, für die bisher kaum oder keinerlei Netzwerkstrukturen bestehen.

Aufgabenfelder Sozialer Landwirtschaft
Auf der Tagung stellten Praktiker und Wissenschaftler die Vielfalt der Aufgabenfelder Sozialer Landwirtschaft vor. Den Auftakt machte Dr. Thomas van Elsen von Petrarca e.V., der zusammen mit seinem Team die Tagung organisiert hat. Alfons Limbrunner von der Evangelischen Fachhochschule Nürnberg, Kooperationspartner in dem Forschungsprojekt und Sozialwissenschaftler, referiert anschließend über „Die Verbindung von Landbau und Sozialarbeit als Herausforderung“.
Engagierte Praktiker stellten spannende Projekte vor: das Mudra-Waldprojekt aus Nürnberg, in dem „Drogenhilfe durch Waldarbeit“ betrieben wird, das Grünland- und Landschaftspflegeprojekt Fliegerhorst der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, das norwegische Projekt „ Landwirtschaft als Lehrraum“, das auf der Zusammenarbeit von Hof und Schule basiert. Ergebnissen aktueller Diplomarbeiten zur Sozialen Landwirtschaft von Absolventen des Witzenhäuser Fachbereichs boten einen Einblick in aktuelle Forschungsfragen.

Initiativen, Konzepte und Visionen
Rebecca Kleinheitz berichtete über die Initiative „Zusammen-schaffen-wir-was“, die Menschen mit Betreuungsbedarf auf Höfe vermitteln möchte. In anderen europäischen Ländern haben Vermittlungsstellen wesentlich zur Entwicklung Sozialer Landwirtschaft beitragen können. Jochen Führer und Frank Radu von dem Hessischen Diakoniezentrum Hephata referierten über ihr Soziales Engagement im Ökologischen Landbau. Christoph Reichert und Michael Schaab, Bereichsleiter „Grüne Arbeitstherapie“ und Heimleiter der WAB Kosbach in Erlangen berichteten über „Wohnen und Arbeiten für und mit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen“ in ihrer Einrichtung. Albert Fink von der in ökologischen Projekten engagierten GLS-Bank aus Bochum referierte über „Soziale, wirtschaftliche und finanzielle Aspekte zur gemeinnützigen Trägerschaft von Landwirtschaft“.

Arbeitsgruppen zur Gründung einer Arbeitsgemeinschaft
Wesentliches Ziel der Tagung war die Arbeit an Zielen zur Gründung einer „Deutschen Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft“. Hierzu fanden fünf parallele Arbeitsgruppen statt: „Der Weg zum Sozialen Hof“, „Hofschule mit Kindern mit Behinderung“, „Therapeutische Potenziale der Landwirtschaft für die Arbeit mit Jugendlichen“, „Mit Beratung vom Samenkorn zum Produkt – Die Wertschöpfungskette in der Sozialen Landwirtschaft“ sowie „Community Supported Agriculture: Perspektiven gemeinschaftsgestützter Landwirtschaft“ waren die Themenfelder. Am Abend wurden noch mehrere Kurzfilme gezeigt, die das Thema noch erweiterten, darunter zur „Sozialen Landwirtschaft im Gefängnis“ und über Bergbauern in Frankreich, die autistische Menschen in ihren Hof integrieren.

Exkursion zu zwei sozialen Höfen
Zum Abschluss besuchten die Tagungsteilnehmer zwei ökologisch wirtschaftende soziale Betriebe bei Marburg: Die Drogenhilfe Hofgut Fleckenbühl, eine Sucht-Selbsthilfe-Einrichtung mit 120 Mitarbeitern, die einen vielseitigen Gemischtbetrieb mit Milchkühen, Schweinen, Ziegen, Bienen und Verarbeitung sowie Töpferei, Transport- und Umzugsunternehmen sowie Malerservice betreiben. Weiteres Exkursionsziel war die Lebensgemeinschaft Sassen-Richthof in Schlitz, eine Werkstatt mit 250 Menschen mit geistiger Behinderung in 26 Großfamilien. Zu den beiden Dörfern gehören eine Landwirtschaft, zwei Gemüsegärtnereien, eine Bäckerei, Kerzenwerkstatt, Pflanzenfärberei, Korbflechterei, zwei Webereien, zwei Schreinereien, drei Tonwerkstätten, zwei Dorfmeistereien, zwei Cafés und zwei Läden.

Begeisterung über die Perspektiven
Die Begeisterung über die Möglichkeiten und Perspektiven einer Landwirtschaft, die sich für soziale Arbeitsfelder öffnet, durchzog die ganze Tagung. Deutschland hat hier Nachholbedarf: In anderen Ländern wird Soziale Landwirtschaft längst nicht nur als Marktnische oder zusätzliche Einkommensquelle für landwirtschaftliche betriebe diskutiert. Vielmehr kann sie ein möglicher Baustein für eine sozialere Zukunft und einen Paradigmenwechsel der Landbewirtschaftung sein. Dazu soll ein bundesweites Netzwerk entstehen, das den Austausch und die Entwicklung sozialer Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland unterstützt.

Lesestoff:
Mehr Informationen über die Soziale Landwirtschaft finden Sie auf der Seite www.soziale-landwirtschaft.de
Ein Positionspapier mit Hintergrundinformationen gibt es auf www.sofar-d.de/?Positionspapier

Dr. Thomas van Elsen; Fotos: Bente Berget (1); van Elsen (2 und 3)

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