Staatliches Tierwohllabel und ITW
Landwirtschaft
Wo sind Schmidts Tierhaltungskriterien?
„Wo steht die Initiative Tierwohl (ITW) aktuell und wie soll es in Zukunft mit dem Branchenbündnis weiter gehen?“ Das war eine der Fragen, die das QS-Kuratorium in einer Sondersitzung in Berlin zusammen mit der ITW und dem Bundeslandwirtschaftsministerium diskutierte. Eine Frage, die sich sowohl die gesamte Branche als auch die Verbraucher stellen. Trotz mancher Kritik aus der Nische der Tierschutzparteien, kann das ITW einiges vorweisen: Von den zum Teil über den gesetzlichen Standards liegenden Tierwohlkriterien profitieren aktuell 25,3 Millionen Schweine und 572,4 Millionen Hühnchen. Das entspricht einer Marktabdeckung von 20 und 70 Prozent. Alle Biolabel und das des Deutschen Tierschutzbundes kommen zusammen gerade einmal auf knapp einen Prozent Marktanteil.
Das ITW ist ein rein wirtschaftliches Label. Warum sollte die Politik dort eingreifen? Der vormalige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt tat sich entsprechend schwer, ein aufmerksamkeitsstarkes Label auf die Beine zu stellen. Die Tierschützer sprangen bald ab, die Finanzierung ist heute noch offen, von der Ausarbeitung einer Infrastruktur über die Auditierung bis zu den Betriebskontrollen ist Berlin weit entfernt. Aus den zur Grünen Woche 2017 angekündigten ersten Tierwohlstandards des Staatslabels wurde lediglich mit riesigem Aufwand ein Logo präsentiert. Erst im April folgten Standards für die Sauenhaltung, die ausschließlich über wohlgefällige Medien veröffentlicht wurden [1].
Schon Schmidt wollte auf die Infrastruktur der ITW zugreifen und definierte dann eine Zusammenarbeit. Das liegt nahe, erklärte QS-Geschäftsführer Dr. Hermann-Josef Niemann von QS auf der jüngsten Kuratoriumssitzung. „Ein Tierwohllabel, das nicht gut mit der ITW verzahnt wird, riskiert, ohne große Marktanteile und damit ohne Bedeutung zu enden.“ Julia Klöckner hat ihre Amtszeit mit der Arbeit an einem von allen Parteien gewollten staatlichen Tierwohllabel forciert. In einem Zielgespräch zum Thema hat sie Anfang Mai schon mal das Logo reformuliert und will auf die Nationalfarben verzichten [2]. Sachlichkeit statt Pomp.
ITW-Geschäftsführer Dr. Alexander Hinrichs zeigt sich nach wie vor offen für Gespräche. Er kann auf die Neuentwicklung von Tierwohlindikatoren verweisen, mit der das Befinden der Tiere objektiver gemessen werden kann.
Von solchen Inhalten ist das Ministerium in Berlin noch ganz weit entfernt. Das BMEL hat seitens Zertifizierung und Kontrollen noch gar nichts konkretisiert. Es sei denn, die Integration des ITW löst diese Lücke. Kann sich denn eine branchenübergreifende Organisation, die aus reinen Marktpartnern besteht, in dieser Form durch die Politik okkupieren lassen? Wäre die ITW bereit, diese Infrastruktur zu überlassen?
Diese Fragen beantwortet Dr. Patrick Klein von der ITW: „Es geht nicht darum, dass wir unsere Infrastruktur überlassen. Das wäre auch gar nicht zielführend. Denn ohne das einzigartige Netzwerk entlang der Wertschöpfungskette Fleisch von der Landwirtschaft über die Fleischwirtschaft bis hin zum Lebensmitteleinzelhandel, das mit der ITW geschaffen wurde, wäre die Infrastruktur nicht schlagkräftig. Es geht uns darum, dass die ITW künftig die Umsetzung der Eingangsstufe eines staatlichen Labels organisieren sollte. Für die Premiumstufen könnten das andere Organisationen, die bereits jetzt Siegel erfolgreich im Markt etabliert haben. Eine breitenwirksame Eingangsstufe halten wir ohne die ITW für kaum realisierbar.“
Klöckner fängt bis auf das Logo sowieso wieder bei null an. Die vor einem Jahr verabschiedeten und schwer erarbeiteten BMEL-Kriterien sind von der Seite des Bundeslandwirtschaftsministeriums verschwunden. Ob die aktuell noch eine Gültigkeit haben, wollte das Ministerium auf Anfrage nicht beantworten. Dr. Klein war auskunftsfreudiger: „Unseres Verständnisses nach wurde das Konzept des staatlichen Tierwohllabels auf ein dreistufiges Label geändert. Konkretes zu den Kriterien der einzelnen Stufen ist unserem Stand nach nicht beschlossen. Die Eingangsstufe soll einer weiterentwickelten ITW („ITW Plus“) entsprechen. Wie diese Weiterentwicklung konkret aussieht, ist noch zu prüfen.“
Das heißt: Zwei Jahre Arbeit am staatlichen Tierwohllabel sind für die Katz` gewesen. Reicht allein ein Führungswechsel in der BMEL-Leitung für den Optimismus aus, ein erfolgreiches staatliches Tierwohllabel am Markt zu platzieren? Scheitert es, reißt es die ITW mit in den Abgrund.
Nachtrag: Zwei Tage nach der Medienanfrage mit Zeitsetzung zum Abend vom 29. Mai (11:25) hat das BMEL geantwortet (31.05./11:23):
"Da statt eines zweistufigen Labels nun ein dreistufiges Kennzeichen geplant ist, ist die Überarbeitung der Kriterien notwendig.
Der Aufbau einer staatlichen Tierwohl-Kennzeichnung ist ein komplexer Prozess, bei dem viele Aspekte zu berücksichtigen sind. Besonders wichtig ist es, einen breiten Konsens zwischen den Beteiligten zu erreichen, um eine möglichst hohe Beteiligung in der Wertschöpfungskette sicher zu stellen. Nur dann kann das Kennzeichen die angestrebte hohe Marktrelevanz erreichen. Es liegt in der Natur der Sache, dass unterschiedliche Interessenvertreter dabei unterschiedliche Positionen vertreten.
Das Kennzeichen wird auf Grundlage wissenschaftlicher Kriterien und praktischer Erfahrungen, beispielsweise aus der Brancheninitiative Tierwohl und mit vorhandenen Labels, erarbeitet. In den Arbeitsprozess sind Vertreter aus Wissenschaft, von Branchenverbänden sowie von Tierschutz- und Verbraucherschutzverbänden einbezogen. Die Kriterien werden zunächst gemeinsam in diesem Kreis entwickelt. Schlussendlich werden sie ein Rechtsetzungsverfahren durchlaufen und auch in diesem Rahmen evaluiert werden."
Lesestoff:
[1] Das Konzept geheimnisvoller Öffentlichkeitsarbeit: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-woche-des-staatlichentierwohllabels.html
[2] Gespräche mit der ganzen Wertschöpfungskette: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/zielgespraech-tierwohllabel.html
Roland Krieg