Stickstoff zwischen Agrar- und Umweltsektor

Landwirtschaft

Fehlende Kohärenz in der Stickstoffpolitik

Zwischen 1991 und 2011 ist der Stickstoffüberschuss von 130 Kilogramm pro Hektar und Jahr auf 101 Kilogramm im gleitenden Dreijahresmittel zurückgegangen. Dennoch zieht der jüngst veröffentlichte Indikatorenbericht der Bundesregierung zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt ein ernstes Fazit: „Dieser Wert liegt noch weit über dem angestrebten Zielwert für 2010 von 80 Kilogramm pro Hektar und Jahr.“ Im Gegenteil. Zwischen 2009 und 2011 ist der Wert sogar wieder angestiegen. Das bereits verpasste Ziel entfernt sich:

Zum Jahresbeginn hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ein Sondergutachten Stickstoff herausgebracht. Regional müssen Trinkwasserbrunnen wegen hoher Nitratbelastung geschlossen werden und Deutschland droht wegen Nichteinhaltung der europäischen Nitratverordnung ein Vertragsverletzungsverfahren. Das Gutachten des SRU benennt den Hauptverantwortlichen: „Politische Entscheidungen, wie die schrittweise Aufhebung der obligatorischen Flächenstilllegung, die Deregulierung des Milchmarktes oder die Ausgestaltung der Agrarumweltmaßnahmen, können erhebliche Auswirkungen auf die Stickstoffüberschüsse der Landwirtschaft haben.“ Die Reformen für die neue Förderperiode sollten zwar zu einer Verringerung der Stickstoffüberschüsse führen, doch bleiben die Umweltgutachter skeptisch. Mehr als eine Stagnation sei nicht drin:

Die Landwirtschaft reagiert mit einer Düngeverordnung. Am Mittwoch listete Staatssekretär Peter Bleser aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium im Bundestag die Kernpunkte dieser Verordnung auf: Düngebedarfsermittlung, Verlängerung der Ausbringverbote, Ausweitung der Mindestabstände zu Gewässern und individuelle Länderregelungen. Ab 2018 soll eine Hoftorbilanz für den Gesamtbetrieb mit hohem Viehbesatz dem Stickstoffeintrag Einhalt gebieten.

Für Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) ist das zu wenig und zu spät. Das BMEL würde keine Konsequenzen aus dem Indikatorenbericht für die Düngeverordnung ziehen und damit die Biodiversitätsziele der Bundesregierung aufs Spiel setzen. Das BMEL verpasse es, die unterschiedlichen Sichtweisen von Umwelt- und Agrarressort zu verbinden.

Die Düngeverordnung befindet sich gerade erst in der Ressortabstimmung, stellte Bleser klar. Mehr als 50 Anregungen und elf Länderstellungnahmen seien bereits eingetroffen. In Kürze werden die Vorschläge zusammengefasst. Bleser hob auch hervor, dass die Stickstoffproblematik kein flächendeckendes Problem sei. Insgesamt sei inklusive Übergangszeit das Ziel einer Hoftorbilanz für 2018 ambitioniert.

Kritik aus der Praxis wiederholte Bauernpräsident Joachim Rukwied auch zu Beginn der Woche. Die bedarfsgerechte Ausbringung sei ein Prinzip der Guten Fachlichen Praxis, aber Nachbesserungsbedarf sieht er in den Ausbringungsfristen für Wirtschaftsdünger, der drohenden Beschränkung der Herbstdüngung und die vorgeschriebenen Dokumentationspflichten.

Nicht nur Umwelt und Agrar müssen vereint werden, auch Berlin und Brüssel. Die Ökoverbände beispielsweise wünschen sich eine Ausbringungserlaubnis für Festmist auch im Winter – die EU will das verhindern.

Roland Krieg; Grafiken: Indikatorenbericht und SRU-Sondergutachten

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