Streit um Pflanzenschutzmittel
Landwirtschaft
Regierung hat Annäherung in der Hand
Resistente Unkräuter, teures Herausfiltern von Pflanzenschutzmittelrückständen und negative Auswirkungen auf die Biodiversität sind für Bündnis 90/Die Grünen Grund genug, neuerlich einen Antrag zur Reduzierung des Pestizideinsatzes zu verlangen. Der Nationale Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (NAP), in dem eine Reduzierung implementiert ist reicht Harald Ebner nicht aus. Der Antrag fordert bis Ende 2018 ein Pestizidreduktionsprogramm zu starten und will in den nächsten vier Jahren den Gebrauch um 40 Prozent senken. Der nicht-chemische Pflanzenschutz solle stärker erforscht und in der Praxis gefördert werden [1]. Ebner kritisiert die Zulassungsauswahl auf der Basis von Herstellerstudien, die mit neuen Wirkstoffen kommen, werde einer verboten. Es gelte, „diesen Pestizid-Zyklus zu beenden.“
Natürliche und unnatürliche Gifte
Die Zeit bis Ende 2018 sollte die Politik auch für die Festlegung der Begriffe nutzen. „Natürliche Gifte sind nicht automatisch gesund“, ergänzte Hermann Färber von der CDU. Er verwies am Donnerstag im Bundestag auf das im Ökolandbau verwendete Schwermetall Kupfer und die Sonderzulassungen von Phosphaten, ohne die Ökolandwinzer kaum eine Chance gegen Perenospora Plasmopara, dem Flaschen Mehltau) haben [2]. Zudem haben beide Bewirtschaftungsweisen beispielsweise einen gemeinsamen Feind in der Kirschessigfliege. Gegen sie gibt es immer noch kein wirksames Mittel. Färber will aber auch Bakterien- und Virenstämme als nicht ungefährlich dargestellt wissen. Der Widerstand gegen den Antrag sei kein Keil zwischen Öko- und konventioneller Landwirtwirtschaft. Die vorgesehene Ackerbaustrategie des Bundeslandwirtschaftsministeriums habe Chancen, einen gemeinsamen Nenner zu finden.
Nomenklatur
Das fängt bereits bei den Summen an, mit denen die Politiker den aktuellen Einsatz von Pflanzenschutzmittel quantifizieren. Sind es 30.000 Tonnen oder 70.000 Tonnen pro Jahr, wie es in der Bundestagsdebatte war? Da hilft die offizielle Statistik des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Im Jahr 2016 wurden insgesamt 114.000 Tonnen verkauft. Die Summe bezieht sich nicht nur auf die Herbizide, sondern auch auf Insektizide, Pheromone, Mittel zum Wundverschluss und Wachstumsregler sowie Keimhemmungsmittel. 15.000 Tonnen davon sind alleine inerte Gase. Das sind Gase wie Kohlendioxid oder Stickstoff, die vergleichsweise sehr reaktionsträge (inert) sind. Stickstoff wird beispielsweise gegen den „Drugstore Beetle“ eingesetzt. Der Brotkäfer Stegobium paniceum hält sich in Drogerien und Lebensmittelläden auf und zerstört in Bibliotheken alte Archive. In der Summe von 114.000 Tonnen sind ebenfalls 20.200 Tonnen Pflanzenschutzmittel für den ökologischen Landbau, darunter 5.600 Tonnen inerte Gase, enthalten [3]. Chance für eine grundsätzliche Aufbereitung des Themas für die neue Regierung.
Komplexe Ursachen
Das von Ebner angeführte Artensterben ist nicht allein auf den chemischen Pflanzenschutz zurückzuführen, räumt Amira Mohammed Ali von der Linkspartei ein. „Es sind immer mehrere Faktoren. Aber bei Pflanzenschutzmitteln haben wir die Möglichkeit, unmittelbar ansetzen zu können.“ Ob Verbote helfen oder Anreize ausreichen, darüber gibt es keine Einigkeit. Landwirtin Carina Konrad von der FDP erkennt hinter dem Begriff „Reduzierung“ im Grünen-Antrag das Wort „Verbote“. „Mit jedem Verbot schließen sich draußen die Hoftore für immer“, sagte sie.
Einigkeit gibt es bei der Überprüfung des Zulassungsverfahrens. Die EU setzt eine Frist von 120 Tagen voraus. Deutschland kommt im Schnitt auf über 600 Tage, wenn ein Verfahren überhaupt abgeschlossen wird. „Das ist ein Skandal“, unterstreicht Konrad.
Julia Klöckner
Die derzeit am meisten gehandelte neue Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat die Ökobranche allerdings schon gegen sich aufgebracht. In der Leipziger Volkszeitung sagte sie: „Vor allem hat aber die Ökolandwirtschaft zum Beispiel in nassen Jahren ein erhebliches Problem. Um ihre Ernte zu sichern, würden viele Ökolandwirte gerne punktuell auf konventionelle Pflanzenschutzmittel zurückgreifen. Dürfen sie aber nicht. Manchen Bauern kostet das die Existenz - und viele hält es davon ab, den Weg in den Ökolandbau zu wagen.“ Für eine ehemalige Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium eine ungeschickte Aussage.
Lesestoff:
[1] Mecklenburg-Vorpommern hat beispielsweise so ein Programm aufgelegt: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/mv-foerdert-maschinenhacken.html
[2] Sondererlaubnis für Phosphonate: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/phosphonate-im-oeko-weinbau.html
[3] Die jährlichen Statistiken finden Sie unter https://www.bvl.bund.de/DE/04_Pflanzenschutzmittel/01_Aufgaben/02_ZulassungPSM/03_PSMInlandsabsatzExport/psm_PSMInlandsabsatzExport_node.html
Roland Krieg