Strukturwandel durch Geflügelpest?

Landwirtschaft

Auswirkungen auf den ländlichen Raum

Den zweitägigen internationalen Kongress über die aviäre Influenza in der Berliner Auferstehungskirche, möchte Staatsekretär Dr. Gerd Müller aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV) im Zusammenhang mit der zu Ende gegangenen Woche der Welthungerhilfe eingebettet sehen. Insgesamt habe sich die Situation der Welternährung verschärft, weswegen er „einzelne Fragezeichen hinter die Globalisierung setzen“ möchte, so Dr. Müller in seinem Grußwort.

Die Lage wird sich verschärfen
Alexander Müller, Beigeordneter Generaldirektor der Abteilung für Nachhaltige Entwicklung bei der FAO beschreibt die rasante Entwicklung: Bis 2050 werden rund neun Milliarden Menschen auf der Welt leben. Der Zuwachse findet zur Hälfte in den Entwicklungsländern und dort zu fast 100 Prozent in den Städten statt. Das Problem der „städtischen Hungernden“ wird sich verschärfen, wenn auch regional unterschiedlich. So konnte China etwa 70 Millionen Menschen aus der Hungersituation herausführen, aber in Zentralasien gerieten 20 Millionen Menschen in diese hinein. Zudem geht der weltweite Trend von der pflanzlichen hin zur tierischen Nahrung.
Der Nahe Osten und Nordafrika zum Beispiel haben kein weiteres Land und keine Wasserreserven mehr und werden gar nicht mehr in der Lage sein, sich selbst zu ernähren. Sie werden ihren Nahrungsexport lediglich über Ölimporte finanzieren können. Unter diesen Bedingungen müsse die Bekämpfung des hochpathogenen Geflügelpestvirus (HPAIV) mit den Zielen der regionalen Ernährungssicherung abgestimmt sein.

Es fehlt an allem
Prof. Funso Sonaiya, Koordinator des International Network für Family Poultry Development in Nigeria, hob noch einmal die besondere Bedeutung des Geflügels hervor. Der Eigenverbrauch ist gegenüber den asiatischen Bauern geringer und das Geflügel deshalb als Wirtschaftsfaktor noch wichtiger. Bis zu 90 Prozent des Tiere wird von Kleinbauern gehalten und diese ordnen des HPAIV auf gleicher Ebene wie die Newcastle Krankheit ein. Zumal wird totes Geflügel immer noch verzehrt: Man wirft nichts weg.
Das Geflügel ist in keinem Herdbuch verzeichnet, Tierärzte gibt es so gut wie nicht. So will Dr. Roger Shrimpton vom Standing Committee on Nutrition der Vereinten Nationen (UN) die Maßnahmen im Rahmen der Vogelgrippebekämpfung generell als Ansatzpunkt verstanden wissen, Veterinärstrukturen zu stärken oder überhaupt aufzubauen. Das wird nicht unbedingt reibungsfrei sein, denn nachdem es Regionen gibt, in denen die Bauern seit Jahren keinen Tierarzt mehr gesehen haben, käme dieser jetzt einmal vorbei – und tötet das Geflügel. „Das ist keine vertrauensbildende Maßnahme“, stellte Alexander Müller fest.
Jede Maßnahme, die dem Geflügel einen Schutz vor der Infektion geben könnte, bedeutet aber auf jeden Fall eine Intensivierungsmaßnahme. Prof. Dr. Hafez Mohamed Hafez, Leiter des Berliner Instituts für Geflügelkrankheiten an der FU Berlin pointiert: „Wer einzäunt muss auch füttern“. Heute kümmern sich die Bauern nicht um das Geflügel, das sich sein Futter selbst sucht. Mit dem Einzäunen, gar dem Bau eines Daches oder von Wänden müssen Geld und Zeit aufgewendet werden. Die eigenständige Futtersuche der Hühner wird danach als neuer Arbeitsaufwand auf die Familie der Kleinbauern übertragen.

Verschiedene Realitäten
Gerade die teilnehmenden Nichtregierungsorganisationen konnten aufzeigen, welche Hürden eine globale Strategie gegen den HPAIV zu überwinden hat. Devlin Kuyek von der spanischen Nichtregierungsorganisation GRAIN, die sich um nachhaltige Landwirtschaft und der Erhaltung der Biodiversität kümmert, bringt es auf den Punkt: Die Kleinbauern haben keine Stimme und sind nicht organisiert. In Indien wurde nach dem Fund eines infizierten Vogels in einem 10-Kilometer-Umkreis alles Geflügel gekeult. Das waren nach Angaben Nitya Gothge von Anthra 600.000 Stück Geflügel. Anthra ist eine Forschungsgruppe weiblicher Veterinäre in Indien, die sich 1992 gegründet hat, um gerade den Kleinbauern zu helfen. Die Kleinbauern kämpfen mit ganz anderen Problemen: Ihnen fehlt der Zugang zu Wasser, zu Land und zu Beratungsdiensten. Für sie ist die Geflügelpest eine Krankheit wie jede andere auch.
Hier trifft die europäische Furcht vor einer Pandemie auf die Lebensrealität der Kleinbauern: HPAIV hat weltweit 131 Menschen getötet. Im gleichen Zeitraum starben in Asien 76.000 Menschen an Malaria, 600.000 an HIV und 945.000 an Tuberkulose. Kleinbauern haben noch nie eine Kompensation für gekeulte Tiere erhalten, führte Nitya Gothge aus. Bauern haben nach Keulungsaktionen erneut Geflügel erfolgreich gehalten. Für sie stellen sich ganz andere Fragen: Es fehlt der Beweis, dass HPAIV aus der Hinterhofhaltung stammt. Im Unterschied zur Zeit vor dem tödlichen Virus habe es nur zwei Veränderungen gegeben: Preisdumping und industrielle Geflügelhaltung macht Nitya Gothge für den Ausbruch und die Verbreitung des Virus verantwortlich.

Zu viele offene Fragen
In der Tat geben die noch offenen Fragen der Tiermediziner Ansatzpunkte für Gegenargumente. Welche Haltungsform und welche Geflügelrasse sich für die Ausbreitung des Virus besonders gut eignet oder welche Mechanismen zu einer Wiederinfektion in einem Gebiet führen sind noch unklar. Für Prof. Dr. Thomas Mettenleiter vom Friedrich-Loeffler-Institut ist vieles noch „stochern im Nebel“. So gibt es keine Einigkeit bei der Frage, ob Tiere geimpft oder gekeult werden sollen. Wirksames Impfen setzt eine Deckung von 95 Prozent der Tierpopulation voraus. Eine unzureichend geimpfte Herde birgt immer das zusätzliche Risiko unerkannter Infektionen und Erhaltung des Virus in einer Population, die als geschützt gilt. Bei Aussagen mancher Entwicklungsländer, es seinen große Bestände bereits geimpft, sei daher Skepsis angebracht: Millionen von Tieren müsste innerhalb von drei Wochen zweimal geimpft werden.
So wird die „Stamping-out-Strategie“ als bisher wirksamste Maßnahme im Portfolio geführt. Die Debatte „Impfen statt töten“ ist für Dr. Gerd Müller vorwiegend eine politische. Solange es keinen Markerimpfstoff gibt, mache diese Strategie keinen Sinn.

Stichwort Biodiversität
In den aus den Arbeitsgruppen an die Politik formulierten Aufgaben spielt die Biodiversität eine große Rolle. Zahlen aus Vietnam belegen, dass nur 20 Prozent der gekeulten Tiere auch tatsächlich krank waren. Auch wenn die Zahl nicht auf andere Länder übertragbar ist, so mussten alle zugeben, dass bei den Keulungsaktionen das Verhältnis zwischen erkrankten und gesunden Tieren nicht ermittelt ist. Damit wird nicht nur vielen Kleinbauern die Lebensgrundlage entzogen, sondern werden auch genetische Ressourcen vernichtet.
Prof. Dr. Dietmar Flock von der Lohmann Tierzucht GmbH sieht weltweit nur sechs Firmen, von denen jeweils zwei für Legehennen, für Masthähnchen und Truthähne den Weltmarkt zu 80 Prozent abdecken. Diese Zuchtlinien könnten seiner Ansicht nach mit genereller Hygiene, Fernhalten jeglicher Krankheiten und zweimaliger Probensammlung und Kontrolle in der Woche gesunde Produkte liefern. Allerdings werden diese Zuchtlinien aus HPAIV-freien Gebieten zur Vermeidung der genetischen Armut und daher Aufrecherhaltung der Produktivität immer wieder Einkreuzungen von lokalen Rassen benötigen.
Diese Rassen, die in den Entwicklungsländern oft wertvoller als die Standardrassen sind, werden durch ausuferndes Keulen bedroht. Dr. Irene Hoffmann von der FAO beklagt, dass die Entwicklungsländer keine Daten über lokale Rassen erheben. Man könne aber nicht ausschließen, dass darunter Tiere sind, die gegen HPAIV eine höhere Toleranz haben. Man sollte beim Keulen mindestens serologische und genetische Daten erheben. „Biodiversität ist eine Versicherung für die Zukunft.“
Aufkreuzen möglicher resistenter Linien in das Wirtschaftsgeflügel der Intensivhaltung hält Prof. Flock aber für zu langwierig. Für Resistenzen gibt es zur Zeit keinerlei Hinweise und sie müssen bei den Wirtschaftstieren nicht zwangsläufig erhalten bleiben.
Auch Prof. Mettenleiter ist skeptisch, weil es viele Jahre dauert, bis eine resistente Linie gefunden sei. Er hält eine Resistenzzüchtung beim Geflügel auch deshalb für wenig vielversprechend, weil das Virus nicht mit dem Geflügel variiert, sondern mit den Wildvögeln. Er will nicht ausschließen, dass es Regionen geben wird, in denen HPAIV endemisch werden könnte.

Ausblick
Anfang Dezember steht die nächste Geberkonferenz in Bamako in Mali an. Dann soll ein Zwischenbericht angefertigt werden, was im letzten Jahr mit den 1,9 Milliarden US-Dollar bewerkstelligt werden konnte, wobei es eine „Unterdeckung für den afrikanischen Kontinent“ in dreistelliger Millionenhöhe gibt.
Die Maßnahmen aus dem zweitägigen Workshop werden an die Politik überreicht und beinhalten unter anderem die Empfehlung, dass Geld aus dem Fond für andere Strukturmaßnahmen der Ernährungssicherheit verwendet werden sollen. Das allerdings sei den Geberländern schwer vermittelbar, warnte Alexander Müller. „Wenn Mittel für die aviäre Influenza auch für andere Maßnahmen genutzt würden, werfe das einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit.“
Immerhin sind viele Maßnahmen HPAIV-unabhängig: zentrale und dezentrale Veterinärdienste, öffentlicher oder privater Natur, Datenerhebungen und Meldepflichten oder die Verbindung mit Beratungsdiensten. So nötig der ländliche Raum dieses hat und so sehr es dem Motto des Welternährungstag entspricht, mehr Geld in die Landwirtschaft zu investieren, umso mehr könnten die Gelder dieses Riesenbudgets in Konkurrenz mit bestehenden Entwicklungstöpfen stehen!? Mit dieser These konfrontiert, stellte Dr. Gerd Müller aus dem BMELV gegenüber Herd-und-Hof.de eindeutig fest: „Nein, sie stehen nicht in Konkurrenz!“
Der Fokus aller Diskussionen wird auf die Balance hinauslaufen, eine „win-win-Situation“ herzustellen: Eine die im internationalen Handel das Risiko der Krankheitsausbreitung minimiert und die regionalen Lebensbedingungen der Kleinbauern erhält. So brauchen auch in diesem Fall die Kleinbauern „eine faire Chance“, resümierte Nitya Gothge.
Auf die Agenda des Welthandels müsse dann auch das „globale Huhn“.
Nach Dr. Rudolf Buntzel-Cano vom evangelischen Entwicklungsdienst muss die Rolle des Welthandels untersucht werden, ob dieser die Ausbreitung des Virus fördert oder minimiert. Zur Zeit sind in Europa Zugvögel für die Ausbreitung verantwortlich und in Afrika der legale und informelle Handel.
So unterschiedlich ist auch die Interessenslage für eine weltweite Bekämpfungsstrategie.

Die Workshopergebnisse werden in dieser Woche auf der Internetseite www.policies-against-hunger.de veröffentlicht.
Den Vorbericht zu der Tagung finden Sie hier.
Als noch nicht genannte Internetadressen seien im Rahmen dieser Konferenz die beiden NGO-Seiten von www.grain.org und www.anthra.org erwähnt.

Roland Krieg

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