Studie zur Toxizität von Pflanzenschutzmitteln

Landwirtschaft

„Ausgebrachte Gesamttoxizität“ zeigt die Veränderungen des PSM-Risikos

Wissenschaftler der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) haben im Dezember 2022 in der Fachzeitschrift „Environmental Science & Technology“  einen Text über die „Ausgebrachte Gesamttoxizität“ von Pflanzenschutzmitteln in der deutschen Landwirtschaft veröffentlicht, der Veränderungen über die Zeit messen kann.

Chemischer Pflanzenschutz

Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel sind eines der großen Themen, die in der EU und in Deutschland zu heftigen Streitereien führen. Landwirte wollen mit Pflanzenschutzmitteln ihre Ernten schützen, Kritiker der bisher angewandten Wirkstoffe unterstreichen die negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Wirkstoffe reichern sich im Boden und in Gewässern an, wirken auch auf „Nichtzielorganismen“ toxisch, auf der anderen Seite werden ganze Ernten durch unwirksame Wirkstoffe vernichtet. Der integrierte Pflanzenschutz (IPS) gilt als Lösung, wenn Unkräuter mechanisch entfernt werden, Blühstreifen und Kecken Lebensraum für Nützlinge bieten, die als Gegenspieler Schädlinge im Feld vertilgen – aber auch Lebensraum für Schnecken und Kleinnager bieten, die sich in einigen Jahren massiv vermehren und Nutzpflanzen schädigen.

Noch schwieriger ist der Kampf gegen Bakterien, Viren und Pilze. Gelbrost im Getreide hat Regionen für den Anbau von Ökogetreide unbrauchbar gemacht. In Baden-Württemberg hat die Kraut- und Knollenfäule vor zwei Jahren 70 Prozent der Ökokartoffeln auf dem Feld verfaulen lassen. Der Bewahrung der Feldkulturen bis zur ertragreichen Ernte ist ein Mix aus mechanischen, ackerbaulichen und ganz zuletzt auch nach Schadschwellenprinzip ein synthetisch-chemischer Kampf. Dazu gehört auch das Bienengiftige „Spinosad“, das der Ökolandbau einsetzt.

Politische Ziele

Welche Pflanzenschutzmittel in welchem Umfang eingesetzt werden sollen, um einen sicheren Ertrag zu erzielen, darüber streiten Politiker zwischen Brüssel und Berlin. Zuletzt hat die EU-Kommission den Vorschlag gemacht bis 2030 das Risiko der eingesetzten Pflanzenschutzmittel um die Hälfte zu senken. Die landwirtschaftlichen Berufsverbände machen daraus ein pauschales Verbot der Hälfte eingesetzter Mittel, der Ökolandbau wünscht sich ehrgeizigere Ziele.

Hilfreich ist jeder wissenschaftlicher Beitrag, der differenziert, Fortschritte aufzeigt und den Weg in die Zukunft aufzeigt.

Die Studie

Das haben Experten um den Hauptautor Sascha Bub getan und sich die in der Praxis ausgebrachten Pflanzenschutzmittel zwischen 1995 und 2019 angeschaut. Sie haben sich bei 292 in Deutschland genutzten Pflanzenschutzmitteln nicht auf die spezifische Toxizität konzentriert, sondern eine andere Risikoabschätzung gewählt. „Multipliziert man für jedes in einem Jahr in einem Land genutzte Pestizid dessen angewendete Menge und dessen Toxizität miteinander und summiert danach die Multiplikationsprodukte auf, erhält man über mehrere Jahre wiederholt einen groben Indikator, wie sich Pestizidrisiken entwickeln. Wir nennen diesen Indikator ‚ausgebrachte Gesamttoxizität‘“, erläutert Bub diesen Dienstag.

Hintergrund ist, weil die spezifische Toxizität eines Pflanzenschutzmittels zwischen einzelnen Organismen sehr unterschiedlich ist. Manchmal wirkt es besonders auf Insekten, manchmal vor allem gegen Bestäuber. Daher haben die Experten acht Organismengruppen für die Untersuchung definiert. Außerdem haben sie die Pflanzenschutzmittel auf die Gruppen der Herbizide, Fungizide und Insektizide aufgeteilt.

Demnach zeigte sich, dass die „ausgebrachte Gesamttoxizität“ bei Fungiziden und Herbiziden für aquatische wirbellose Lebensformen weniger wichtig als bei Herbiziden ist. Für Bestäuber ist es umgekehrt. Bei Bodenorganismen spielt sie in allen drei Kategorien eine relevante Rolle.

Die Wirkstoffe spielen mit ihrer spezifischen Toxizität die größte Rolle. Die Bedeutung wird je nach prozentualem Anteil und der Menge an Wirkstoff gemessen. Anteil und Menge können in den aufgeführten Tabellen der Studie auch gegenläufig sein.

Gemessen wurden die Wirkstoffe über ihren Verkauf für die landwirtschaftliche Nutzung und tabellarisch im Zeitablauf der ersten und der letzten Fünf-Jahres-Periode verglichen.

Das Ergebnis

In Deutschland hat die ausgebrachte Gesamttoxizität über die vergangenen 25 Jahre nur für Landwirbeltiere abgenommen, während sie zur gleichen Zeit für Fische, Landpflanzen und Bodenorganismen zunahm. „Die Zunahme bei den Bodenorganismen verdient Beachtung, denn diese sind maßgeblich an der Aufrechterhaltung der Bodenqualität beteiligt. Zunehmende Risiken für Bodenorganismen könnten sich langfristig auch auf die landwirtschaftliche Produktivität auswirken“, so Bub. Die Zunahme bei den Fischen sei ebenfalls bemerkenswert, da es seit vielen Jahren starke Bemühungen gäbe, die Toxizität von Pestiziden gegenüber Wirbeltieren, also auch Fischen, zu verringern, und sich ein entsprechend abnehmender Trend auch in einer Vorgängerstudie für die USA gezeigt hatte.

Die Studie hat gezeigt, dass die ausgebrachte Gesamttoxizität kartografisch umgesetzt werden kann und dadurch regionale Hinweise auf die Nutzung gibt. Bei den Wirkstoffen fällt auf, dass Chlorpyrifos, den Neonicotinoiden und Mancozeb (seit Mitte 2021) nicht mehr zugelassene Wirkstoffe aufgeführt sind. Die Karten und Grafiken bilden also einen vergangenen Zeitraum ab, der jährlich neu bestimmt werden muss. Das teilte die RPTU gegenüber Herd-und-Hof.de auch mit. Dort wo die Wirkstoffe noch aufgelistet sind, sinkt nach ihrem Verbot die spezifische Toxizität auf null und sinkt die ausgebrachte Gesamttoxizität.

Das Fazit

Bei der Betrachtung der negativen Effekte dürfte sich auch die Sichtweise auf die Organismen verändern. Die negativen Effekte bei den Landwirbeltieren dürften frühzeitig im Fokus gestanden haben. Die Bestäuber sind erst in den vergangenen Jahren in den Fokus gerückt und aquatische Lebensformen werden meist nur in den Fachmedien diskutiert. Daher ist die neue Betrachtung der RPTU auch gerade 2023 von großem Interesse, weil der Ackerboden an sich zusammen mit seinen Bodenorganismen als „Boden des Jahres“ im Fokus steht.

Neben den oben genannten drei verbotenen Wirkstoffen ist auch Spinosad aufgelistet. Demeter Schweiz hat den Wirkstoff 2022 für seine Landwirte verboten, während er beispielsweise in Deutschland im Ökolandbau weiterhin erlaubt ist [1]. Die Methodik eignet sich für eine quantitative Bewertung des EU-Zieles, 50 Prozent der eingesetzten Pflanzenschutzmittel und deren Risiko bis 2030 zu senken.

Das sind wichtige Anhaltspunkte für die Landwirte, die sich gegen pauschale Verbote zu Recht wehren, aber hier gezielt nach Alternativen suchen können.

Lesestoff:

Bub, S., Wolfram, J., Petschick, L.L., Stehle, S., Schulz, R. (2023) Trends of total applied pesticide toxicity in German agriculture. Environmental Science & Technology. https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/acs.est.2c07251

[1] Bio wird ökologisch: Ohne Spinosad und Kupfer https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/bio-wird-oekologisch.html

Roland Krieg

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