„Subsistenz in kein Glückszustand“

Landwirtschaft

Wer ernährt wie die Welt?

Nicht nur vor dem Jubiläumsgipfel Rio +20 stellt sich die Frage nach der Welternährung. Seit Mittwoch stehen wieder die Entwicklungspolitischen Diskussionstage des Seminars für Ländliche Entwicklung (SLE) in Berlin auf dem Tagungsprogramm. Zum Start ging es um die Frage der Ernährungssicherung und deren Sicherstellung. Es geht um die 1.800 kcal am Tag, die jedem Menschen frei und jederzeit für sein Überleben verfügbar sein sollen. Mehr als 900 Millionen Menschen sind von diesem Recht und dieser Freiheit ausgeschossen.

Wie oder wer?

„Es gibt Gott sei Dank in der Welt auch Erfolge“, erklärte Astrid Jakobs de Pádua aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). So wird Brasilien schon vor 2015 seine Zahl der Hungernden um die Hälfte verringert haben. Doch in andere Regionen wie in Afrika ist dieses Millenniumentwicklungsziel nicht in Sicht.
Nach Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, liegen die Defizite in vier Segmenten und der Verknüpfung, dass Hunger durch Produktionssteigerung zu überwinden sei. Viel wichtiger sei die Steigerung des Einkommens. Denn wenn die Menschen aus der Armut geführt werden, können sie sich auch ernähren. Zweitens wurde in den letzten Dekaden der ländliche Raum vernachlässigt. Vermarktungsorganisationen, Veterinärdienste, Agrarberatung und Informationen über den Klimawandel waren Investoren nicht gut genug.
Die neue Fokussierung auf den ländlichen Raum setze nach Windfuhr jedoch auch falsche Prioritäten. Fruchtbare Regionen verstädtern und werden mit negativen Folgen für die Ökologie intensiviert. Es sei jedoch weniger zielführend den Ertrag in guten Ackerbaugebieten von 10 auf elf Tonnen je Hektar zu erhöhen, als vielmehr die Standorte mit ungünstigen Produktionsbedingungen in Angriff zu nehmen. Da könnte die Produktionssteigerung von einer auf drei Tonnen den Menschen mehr helfen. Dort leben auch die meisten Kleinbauern. Die Ausrichtung der modernen Agrarproduktion forciere einen Strukturwandel, für den Europa in vielen Dekaden viele Milliarden ausgegeben hat. 2,5 Milliarden Menschen in kleinbäuerlichen Familienstrukturen weltweit werde man nicht in vergleichbar kurzer Zeit ohne Alternativen in neuen ländlichen Wirtschaftszweigen modernisieren können.

Kleinbauern sind Unternehmer

„Subsistenz ist kein Glückszustand“, sagte Dr. Thomas Breuer von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Auch die Kleinbauern sind Unternehmer und werden in der neuen Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit über den privaten Sektor angesprochen. Die Bauern müssen über ein Wirtschaftswachstum ihre Einkommen steigern. Alte Zöpfe müssen fallen. Nach Dr. Breuer lägen die Einkommen der Bauern schon um die Hälfte höher, würde es weniger Zwischenhändler geben.
Überhaupt ist die Hilfe untereinander, in Kooperationen und Genossenschaften, bis hin zur Verarbeitung der Produkte ein Schlüssel der Armutsbekämpfung und damit zur Ernährungssicherheit. „Das Brot vom eigenen Acker ist zwar nicht immer das günstigste, aber das sicherste“, zitiert Dr. Breuer eine Bauernweisheit.

Groß, klein öko oder konventionell?

Die Gesprächsrunde verlor sich nicht in der Auseinandersetzung, ob Kleinbauern oder große Intensivbetriebe die Welternährung sichern können. Auch die Unterscheidung zwischen ökologischer und konventioneller Wirtschaftsweise trat in den Hintergrund.
Es geht um die Machtverteilung, erklärte Christiane Chemnitz, Agrarreferentin der Heinrich-Böll-Stiftung. „Wer muss ein anderes Einkommen erzielen“, fragte sie. Dort sei anzusetzen. 60 Prozent der Hungernden sind Frauen. Wer sie fördert sichert ganzen Familien die Ernährung. Wer die Machtfrage stellt, der fordert politische Intervention. Weniger die Antwort wer die Ernährung sichert oder auf welche Weise sie gesichert wird, sind die einzelnen Staaten gefragt, die Landzugang, Zugang zu Betriebsmitteln, Forschung über Nachernteverluste und Förderung des ländlichen Raums mit klaren Rahmenbedingungen unterstützen müssen, so Chemnitz. Dazu gehört in den Industrieländern auch die Produktions- und Konsumfrage: Wieso muss Deutschland Futtermittel aus anderen Ländern importieren, um Fleisch der gemästeten Tier wieder auf dem Weltmarkt zu exportieren?
Rio +20 könnte neue und effektivere Ansätze liefern.

Roland Krieg

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