Superfood Roggen für den Schweinetrog
Landwirtschaft
„6-R-Konzept“ für Renaissance des Roggens
Himbeeren, Brombeeren und Blaubeeren sind seit Tausenden Jahren bekannt. Heute starten sie als „Superfood“ eine neue Karriere, wie auch Quinoa aus Peru. Viel Wahres im neuen Kleid verschafft mehr Aufmerksamkeit und schafft neue Marktnischen. Jetzt will ein großes Verbundprojekt dem Roggen wieder zu einer Renaissance im Futtertrog verhelfen.
Roggen
In Europa hat sich auch der Getreideanbau stets verändert. Nach den Weizenvorläufern Einkorn und Emmer dominierten in der Römerzeit Dinkel und Gerste. Im Mittelalter war jedes Dorf von Roggenfeldern umgeben. Heute ist Weizen das „Brotgetreide“ schlechthin. Roggen hat allerdings auch eine düstere Seite: Den Mutterkornpilz, der sich auf Roggen am wohlsten fühlt, und im Mittelalter zu wahren Seuchenzügen führte. Die Verbindung zwischen dem „St.-Antonius-Feuer“ durch das Mutterkorn und der Vergiftung wurde erst später offenbar. Doch die vom Pilz erzeugten Alkaloide werden heute auch in der Medizin eingesetzt. Lysergsäuredieethylamid, besser bekannt in seiner Abkürzung LSD, gilt als natürliches Rauschmittel.
Der Roggen wurde meist von der Landbevölkerung verarbeitet. Die Städter setzten früh auf Weizenbrot. Roggen zeichent sich durch seine Selbstverträglichkeitaus und kann immer wieder hintereinander auf dem glecihen Feld angebaut werden, ohne das der ertrag abnimmt. Damit Roggen in Mitteleuropa die wachsende Bevölkerung viele Dekaden ernährt. Seine Vorzüglichkeit kommt aus der ausgesprochenen Winterhärte bis – 25 Grad Celsius und keimt auch bei niedrigeren Temperaturen.
Secale cereale, wie der Roggen lateinisch heißt, wird heute vor allem in Brandenburg angebaut. Auf Böden mit bis zu 30 von 100 Bodenpunkten zeigt der Roggen seine Ertragssicherheit gegenüber Weizen und kommt auch mit der Frühsommertrockenheit zurecht. Roggen braucht zur Bildung eines Kilo Trockenmasse mit 300 Liter Wasser ein Viertel weniger als Weizen. Das hängt mit der eutlich bessren Bewurzelung der Pflanze zusammen, die das Wasserpotenzial besser erschließt.
Außerdem leidet Roggen nur an vier von sechs in anderen Getreidearten vorhandenen Blattkrankheiten, wie Dr. Andreas von Felde von der KWS Lochow GmbH am Mittwoch in Berlin beim Deutschen Raiffeisenverband ausführte. Vor allem die Pronblemkrankheiten Septoria und Ramilaria spielen bei Roggen keine Rolle und die Sstgutzüchter haben die Leitkrankheit Braunrost mittlerweile gut im Griff. Sowohl beim Bedarf an Pflanzenschutzmitteln und Wachstumsreglern ist Roggen sehr genügsam, was ihn zu einer kostenextensiven Anbaufrucht für die Landwirte macht. Allerdings ist die Preislücke mit elf bis 25 Euro je dt zu Weizen so groß, dass auch ein höherer Ertrag wenig Wettbewerbsfähig macht. Die neue Düngeverrodnung mit reduziertem Stickstoffeinsatz könnte die Pflanze wegen der höchsten Stickstoffeffizienz wieder in den Vordergrund rücken.
Bundesweit wird Roggen bei elf Millionen Hektar Ackerland aber nur auf rund 500.000 ha angebaut. Rückläufig seit vielen Jahren. Verbraucher bevorzugen helle Weizenbrötchen und Brote. Das gilt auch für den Ökolandbau, wo der Roggen dennoch hinter Weizen bedeutendste Getreideart ist.
Zwei Drittel des Roggens gelangen in den Futtertrog, wo er bei Rindern und Schweinen bis zu 50 Prozent Mengenanteil einnehmen kann. 15 Prozent des geernteten Roggens gelangt als Mehl in die Bäckereien und ebenso viel wird zu Biogas und Bioethanol veredelt.
Sortenwahl und Mutterkorn
Roggenbrot muss mindestens zu 90 Prozent aus Roggenmehl bestehen. Roggen hat hohe Anteile an Ballaststoffen und Mineralien und gilt als gesund auf Zivilisationkrankhieten wie Übergwicht und Diabetes. Backroggen muss hohe Qualitätsansprüche erfüllen. Unetr anderem für Mensch und Tier frei von Mutterkorn sein.
Mutterkorn hat heute seinen Schrecken verloren. Die moderne Mühlenindustrie kann durch spezielle Siebe und das Führen des Getreidestroms an einem Farbscanner vorbei, der dunkel gefärbte Körner aussortiert, sowie durch Windsichtung, wo die befallenen und gesunden Körner nach Dichte aussortiert werden, reinigen. Dann ist nach Analyse des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) keine Gefahr für Mensch und Tier vorhanden.
Das ist auch ein erfolg der Züchter. Auf 60 Prozent der Roggenfelder wächst heute Hybridroggen. KWS hat die Ertragsvorteile von Hybriden mit einer geringeren Anfälligkeit durch Mutterkorn kombiniert. Hintergrund ist, dass Popularionsroggen vergleichsweise wenig von Mutterkorn befallen wird, aber in Abhängigkeit von der Witterung ein tödliches Befallsrisiko besteht. Daher wurde Roggensorten bislang zehn Prozent Populationsroggen zur Aussaat beigemischt. Die Sporen des Mutterkorns befallen die offene Blüte, wenn nicht ausreichend Pollen vorhanden sind. Das wird durch eine Honigtaubildung sichtbar. Die seit nunmehr 25 Jahren neuen Hybridroggen Pollen-Plus der KWS verbessern die Pollenbildung, zeigen eine schnellere Befruchtung und schließen die Spelzen schneller. Dadurch reduziert sich die Infektion durch Mutterkorn. Von Felde: „Zwischen 60 und 80 Prozent des Mutterkornbefalls sind sortenbedingt.“
Roggen und Fruktane
Jedes Projekt hat seine Zeit. Prof. Dr. Josef Kamphues, Tierernäherer von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, blickt auf die Ballaststoff-Fraktion des Roggens. Ballaststoffe sind gesund. Hafer hat von allen Getreidearten die meisten. Aber hinter dem Begriff verbirgt sich ein ganzes Bündel verschiedener Stoffe. Dr. Kamphues legt den Fokus auf Inulin, PolyFruktane und Arabinoxylane. Die Humanmedizin hat diese Nährstoffe als wichtig erachtet, weil sie ohne Verluste den Dünndarm passieren und am Dickdarm ankommen. Roggen hat doppelt so viel Fruktane wie der Hafer und 60 Prozent mehr als Weizen.
Der Dickdarm ist das entscheidende Verdauungsorgan mit der Fermentation der Nahrung durch Mikroorganismen und dem Umbau der Nährstoffe. Neben der Essig- und Propionsäure ist dafür die Buttersäure zuständig. Die Fruktan-Palette erhöht deren Aktivität. Und da Mensch und Schwein als Monogastrier annähernde die glecihe Verdauung haben, können die medizinischen Erkenntnisse auch in der Tierfütterung helfen.
Die möglichen Vorteile sind sehr zahlreich. Skatol ist neben Androstenon der Stoff, der für den Ebergeruch verantwortlich ist. Skatol kann durch Fütterung beeinflusst werden. Mehr Roggen und mehr Inulin und Fruktane können Skatol reduzieren und der Ebermast als Alternative zur ab Januar 2019 notwendigen Kastration bei Ferkeln ohne Betäubung sein.
Tierwohl ist mehr als nur Platz im Stall. Zum Tierwohl gehört auch eine gesunde Ernährung. Daher erwarten die Tierernährer in dem „6-R-Projekt“in den nächsten Jahren bis 2021 vielfältige Aufgaben. Prof. Dr. Jürgen Zemtek von der FU Berlin will die Effektre der Roggen-Fütterung auf die Darmwand und mögliche Entzündungsreaktionen untersuchen. Seine Doktoranden werden die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm analysieren und sowohl Instituts- und Feldversuche aufsetzen.
Sein Pendant an der Universität Bonn, Prof. Dr. Karl-Heinz Suedekum wird die Faserfraktionen in Futterproben analysieren und das Substrat vor und nach der Fermentation bestimmen. Als wichtigen Indikator hat das 1,9 Millionen Euro wertvolle Projekt der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) die Umsetzbare Energie gesetzt. Die UE bezeichnet die im Futter für das Nutztier verwertbare Energie und spiegelt über Wachstum und Zeit die Kosten einer Fütterung wider. Die Verwendung von Roggen im Trog soll am Ende auch weniger Phosphor über die Gülle in die Umwelt bringen.
6-R
Hinter der Abkürzung steht „Roggen-Renaissance-Raps-Region-Reduktion-Reevaluation“. Der Begriff verbindet die Ziele der Zeit, betont Dr. Henning Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV): „Wir erhoffen uns wegweisende Erkenntnisse durch 6-R. Mit den Forschungszielen Pflanzenbau, Fruchtfolgen, Tierernährung, Umwelt und Verbraucherschutz vereint das Projekt viele verschiedene Ziele und passt daher genau zu den Genossenschaften.“
„6-R“ gibt es nicht erst seit heute. So ein komplexes Modell ist über Jahre entstanden und konnte bereits rund 45.000 Mastschweine bei der Schlachtung analysieren. Roggen und Raps haben keine Effekte auf Fleischqualität und Fleischmenge. Im Gegenteil: Der seit nahezu 20 Jahren vergessene Roggen bekommt eine Renaissance auf dem Feld, das Tierwohl steigt durch eine ballaststoffreiche Ernährung, Phosphor wird als Nährstiff effizient eingesetz und Fruchtfolgen profieren durch eine mögliche Ausweitung des Roggenanbaus.
Roggen und Raps sind zudem heimische Futtermittel, die zu einem Teil von Verbrauchern kritisiertes Sojaschrot aus Übersee, das zunehmend gentechnisch verändert ist, ersetzen kann.
So viele Ziele kann secale cereale verbinden: „Schweinehalter suchen nach neuen Methoden, wie sie ihre Tiere gesund und nachhaltig füttern können,“ erklärte Dr. Ehlers. Schweinemäster Cord Quenshorn zeigt sich mit mehr Roggen in der Fütterung im Imagefilm zufrieden. Er füttert Roggen und Raps bereits im vierten Mastdurchgang.
Lesestoff:
Der Forschungsteil von Dr. Zentek beleuchtet mit möglichen Entzündugsreaktionen ein Detail, das trotz aller positiven Eindrücke in der Humanernährung kritisch beobachtet wird. Fruktane rücken auch bei der Weizenzucht auf die Wunschliste. Sie werden als Reservekohlenhydrate in der Zelle eingelagert und erhöhen den Trockenheitstoleranz. Fruktane geraten allerdings unter den Verdacht über eine stimulierte Darmflora die „Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenellergie-Weizensensitivität“ hervorzurufen: Mehr Fruktan in den Weizen? https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/fruktane-sind-gut-fuer-mensch-und-weizen.html
Es kommt auf die Fruktane an. Hinter dem Begriff ist gleich eine ganze Gruppe an Polysacchariden der Fructose zu verstehen. Die kurzkettigen im Weizen haben einen höheren osmotischen Effekt für das Reizdarmsyndrom. Im Roggen sind die Fruktane längerkettig und werden nicht so schnell fermentiert, weswegen Roggen als verträglicher gilt: Shepherd SJ, Fructosemalabsorton und Symptome des Reizdarmnssyndroms, ernährungs-Umschau 54 (2007) Heft 1
Roland Krieg