Sylvester: Für Spargel, Rhabarber und Saison-AK
Landwirtschaft
Eckpfeiler Saison-AK gescheitert
Johannes der Täufer wurde am 24. Juni geboren, weswegen die katholische Kirche dem Johannistag eine besondere Rolle zuweist. Der Tag ist auch als Spargel-Sylvester bekannt, weil die heimische Saison zu Ende ist. Das königliche Gemüse auf dem Teller ist der Pflanzenspross des Spargels. Aus ihm wächst das Spargelkraut. Auch beim Rhabarber wandern wichtige Pflanzenteile in die Küche: die Stiele mit den Laubblättern. Würden Spargel und Rhabarber in den nächsten Wochen noch geerntet, dann könnten die Pflanzen für die Winterzeit nicht mehr ausreichend Photosynthese betreiben, um im nächsten Jahr wieder Leckereien zu produzieren. Daher gilt der 24. Juni als Saisonabschluss.
Schwierige Ernte
Für Spargelanbauer war es ein schwieriges Jahr, klagte die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen (LWK): „Bedingt durch das kalte Frühjahr begann die Spargelsaison etwa zwei Wochen später als gewöhnlich. Während es an den kalten Tagen um Ostern und Pfingsten nicht genug Spargel gab, war das Angebot an den heißen Tagen Anfang Mai und in der zweiten Juniwoche reichlich. Der Preis lag mit durchschnittlich zwischen 5,50 und 6,50 Euro für die beste Qualität in NRW auf Vorjahresniveau.“
Mecklenburgische Spargelbauern in Wöbbelin und Waschow haben sich entschlossen, noch eine weitere Erntewoche dranzuhängen: „Grund sind Ernteeinbußen und damit verbundene Einkommensverluste. Diese wollen sie nun durch Saisonverlängerung ausgleichen“, sagte Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus in Schwerin.
Problem deutsche Erntehelfer
Die LWK NRW hat zum Johannistag noch eine weitere Bilanz gezogen: „Probleme bereiteten den Spargelbauern auch die fehlenden Erntehelfer. Ausländische Saisonarbeitskräfte durften in diesem Jahr nur noch bis zu einer Höhe von 80 Prozent der Vorjahreszahl, mit Ausnahmegenehmigung 90 %, eingesetzt werden. Das Vorhaben der Bundesregierung, statt dessen deutsche Arbeitslose auf die Felder zu schicken, ließ sich in der Praxis nicht umsetzen. Von den avisierten deutschen Erntehelfern erschienen viele überhaupt nicht, von den übrigen haben nur wenige die Saison durchgehalten. Nach ersten Schätzungen wurden in Nordrhein-Westfalen bis zu 15 Prozent der Spargelflächen im Laufe der Saison nicht mehr geerntet, weil nicht ausreichend Erntehelfer zur Verfügung standen.“
Planwirtschaft
Angesichts von fast 5 Millionen Arbeitslosen vereinbarte die Koalition auf Seite 32 ihres Vertrages, die Anzahl ausländischer Arbeitskräfte zurückzudrängen. Zahlenmäßig sieht sich die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Soll: Mehr als 5.000 zusätzliche inländische Erntehelfer sind nach einer Pressemitteilung beschäftigt worden, während zugleich die Zulassung ausländischer Saison-AK um 12,2 Prozent zurückging. Die weitere Erntesaison bis zum Jahresende stehen derzeit etwa 40.000 Interessierte im Bewerberpool der Agenturen“.
Das klingt schon fast wie eine Drohung. Der Deutsche Bauernverband (DBV) hatte die Idee anfangs mitgetragen, obschon die Erfahrungen aus den letzten Jahren nicht überzeugten. Ebenfalls am Freitag zog Bauernpräsident Gerd Sonnleitner Bilanz: „Wir haben uns wirklich bemüht und mitgemacht, dass wir deutsche Arbeitslose auf unseren Betrieben einsetzen. Das Ergebnis ist leider frustrierend“, sagte er. Von 2.000 beantragten Arbeitslosen verblieben nach einer Umfrage des DBV bei 400 Betrieben nach einer Woche nur noch 300 auf den Feldern. Nach FDP-Agrarpolitiker Hans-Michael Goldmann hat die „staatlich verordnete Zuweisung“ von Arbeitslosen nicht funktioniert.
Bereits im Mai hatte Sonnleitner die volle Freizügigkeit für Erntehelfer gefordert, denn es sei nicht nachvollziehbar, „dass deutsche Bauern zwar in Polen oder in der Tschechei Land pachten und mit verlässlichen einheimischen Kräften Spargel oder Gewürze für den Export nach Deutschland produzieren könnten“ aber gleichzeitig werde die ausreichende Anzahl jener Erntekräfte für den Einsatz hierzulande verweigert.
„Prosze, zareagujcie natychmiast“
Die LWK schreibt in ihrer Bilanz weiter: Viele Kunden kaufen „preisbewusst und griffen verstärkt zu günstigen Handelsklassen“. Den Faktor Arbeit mit Sozialabgaben zu verteuern oder bei den niedrigen Handelsmargen, Felder nicht mehr abernten zu können, weil die Arbeiter fehlern denen es auch zu wenig Geld gibt, ist fatal.
Der Landesbauernverband Baden-Württemberg hatte zum Herunterladen für seine Obst- und Gemüsehöfe auf seiner Internetseite ein deutsch-polnisches Anschreiben bereit gehalten, mit der „Bitte, sofort zu reagieren - Prosze, zareagujcie natychmiast“. Durch die erstmals erhobenen Sozialversicherungsbeiträge, die Bauern nach Polen abführen müssen erhöhen sich die Arbeitskosten. Die Aufforderung ist eindeutig: „Helfen Sie aktiv mit, dass in Polen eine gesetzliche Regelung geschaffen wird, in der Sie als Erntehelfer weiterhin der deutschen Sozialversicherung unterliegen können.“ Die Alternative wird gleich mitgeliefert: Es werden rumänische Arbeitskräfte angefordert.
Ost-EU-Arbeiter werden durch Nicht-EU-Arbeiter ersetzt. Die inländischen Kräfte sind auch keine Alternative. Möglicherweise bildet sich das Berufsbild „Erntehelfer“ nur noch auf der unteren Scherenhälfte der Berufswünsche ab. Hier hat bereits eine Abwertung stattgefunden, die kaum mehr auszugleichen ist. Die Kluft zwischen Berufen mit sehr gutem Auskommen, den Möglichkeiten, sich mit geringem Aufwand in Castingshows reich zu träumen und Berufen, in denen man ehrliche Basisarbeit leisten kann, polarisiert die deutsche Arbeitswelt.
Technischer Fortschritt
Zudem lauert beim Spargel, Arbeitskräfte einzusetzen, der technische Fortschritt. Das Leibniz-Institut für Agrartechnik in Potsdam-Bornim (ATB) hat über den Zeitraum von 2001 bis 2004 verschiedene Ernte- und Aufbereitungsverfahren validiert. Das Stechen der Sprossen selbst wird sich kaum mechanisieren lassen, zeigt aber deutliche Unterschiede im Arbeitsaufwand zwischen gelernten und unerfahrenen Arbeitern. Auf 5 ha Spargelfläche werden 25.000 kg Spargel geerntet. Je Kilo werden 30 Stangen angenommen, was zu 750.000 Stangen auf dem Betrieb führt. Bei zwei Stechbewegungen summiert sich die Arbeitszeit auf 543 Arbeitskraftstunden, bei drei Bewegungen sind es bereits 631, bei vier Bewegungen sind es 851 und bei sechs Stechbewegungen sind es bereits 1.414 AK-Stunden. Bei einem Arbeitslohn von 5,20 € berechnet das ATB erhebliche Unterschiede. Jede zusätzliche Bewegung, dass Stecheisen aus dem Loch im Damm herauszuziehen und wieder hineinzustecken, kostet den Betrieb 455 Euro. Nur das Stechen.
Seit einigen Jahren sind teilmechanische Erntehilfen im Einsatz, die das Umschlagen der Folie und den Quertransport auf dem Feld mechanisieren. Dabei kann unabhängig vom Ernteertrag bei jedem Dammablaufen ein Zeitvorteil von zwei bis 3,5 Stunden je ha erreicht werden. In der Zusammenfassung heißt es dann: „In Prozent ausgedrückt, sind somit Einsparungen je nach Ausgangsbedingungen zwischen 20 und 50 Prozent der Gesamtarbeitszeit durch teilmechanische Erntehilfen möglich.“
Da muss gefragt werden, ob der gesamte Aufwand, inländische Arbeitslose auf die Felder zu zwingen, wirklich Sinn macht.
Mehr individuelle ökonomische Vorteile
Auf der diesjährigen Pressekonferenz zur Handelsbilanz zwischen Deutschland und Polen, hielt Prof. Dr. habil Jósef Olszynski die volkswirtschaftliche Bedeutung der rund 280.000 Saison-AK für unbedeutend. Damit besitzt diese Einkommensmöglichkeit nur eine individuelle Haushaltsgröße.
Umgekehrt ist dann der Einsatz der Bundesregierung und der Bundesagentur für Arbeit bei 5.000 vermittelten Arbeitslosen volkswirtschaftlich auch nicht relevant. Zumindest nicht auf der Einnahmenseite. Der Aufwand hingegen ist mit bilateralen Treffen ziemlich groß. Die BA listet zudem noch weitere Aufwände auf: Trainingsmaßnahmen, Infoabende, Arbeitgeber wurden besucht und Fahrdienste zu den landwirtschaftlichen Betrieben wurden organisiert. „Darüber hinaus haben Fachvermittlungsdienste in einigen Agenturen die Landwirte bei der Suche nach inländischen Saisonarbeitnehmern unterstützt. Gute Erfahrungen mit inländischen Saisonarbeitnehmern haben Arbeitgeber mit überregional kooperierenden Agenturen wie z.B. Darmstadt und Eberswalde gemacht. Über die Fachvermittlungsagentur in Eberswalde konnten in Hessen mehr als 150 Menschen ihre Arbeitslosigkeit zumindest vorübergehend beenden, 50 weitere fanden in der Region eine unbefristete Beschäftigung.“
Es gab positive Resonanz und gute Beispiele. Aber in der Summe mehr individuelle Erfolgsgrößen als volkswirtschaftliche. Denn gegengerechnet werden müssen auch die unbearbeiteten Felder und der wirtschaftliche Schaden der Bauern in einem Jahr mit schwierigem Witterungsverlauf. Gerade läuft die Erdbeerernte. Für Obstbau und Weinlese müssen die Bauern auch noch mit Erntehilfe rechnen können.
Spargel einfrieren
Verbraucher können noch auf einen Tipp der LWK zurückgreifen, die Saison zu verlängern. Die gegenwärtigen Qualitäten sind sehr gut, weswegen Spargel auch gut eingefroren werden kann. Dazu müsse der Spargel geschält, portionsweise in Folienbeutel abgepackt und dann eingefroren werden. Zum Verzehr den Spargel in kochendes Wasser geben und garen. Das Gemüse muss mit möglichst viel Dampf gegart werden, weshalb der Spargeltopf besonders gut ist: Stangen hochkant, wenig Wasser. Salz und Zucker geben ein besonderes Aroma.
VLE