Symposium Biotechnologie
Landwirtschaft
Ernähung, Gesundheit und viele Positionen
> In einem Organigramm mit dem Schlüsselbegriff „Gentechnik“ in der Mitte kreisen verschiedene Diskussionswelten wie Satelliten außen herum: Wissenschaft, Wirtschaftlichkeit, Ethik, Verbraucher, Umweltverbände, Forscher und Politik. Doch Biotechnologie ist, obschon in der Anwendung teils heftig umstritten, in der Methodik bereits weit etabliert. Nicht weil Nahrungspflanzen weltweit auf rund 70 Millionen Hektar angebaut werden, sondern auch, weil in der Humanmedizin kaum jemand auf die entsprechenden Medikamente verzichten mag. Die Schlachten, die auf dem Feld der „grünen Gentechnik“ (Landwirtschaft) noch zu schlagen sind, hat die „rote Gentechnik“ (Medizin) bereits hinter sich, wie Dr. Franz Eversheim von der Bayer AG gegenüber Herd-und-Hof.de bestätigte. Die CDU/CSU – Fraktion lud gestern im Reichstag zu einem Symposium über die Gentechnik ein, zu dem zwar über 500 Teilnehmer kommen wollten, jedoch nur 350 in den Sitzungssaal passten. Ein hochaktuelles Forum zwei Tage vor dem Vermittlungsausschuss, der über das Gentechnikgesetz beraten wird. Die Vorträge werden mit den gezeigten Folien auf www.cducsu.de veröffentlicht. Standort Deutschland
Die Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dr. Angela Merkel stellte in ihrer Eröffnungsrede die Wirtschaftlichkeit gleich in den Vordergrund. Einst hat der Berliner Zuse in Berlin zwar noch den ersten Computer gebaut, jedoch existiert heute nur ein deutsches Unternehmen, dass sich weltweit auf dem Softwaremarkt behaupten kann. Vergleichbare Tendenzen sieht sie heute im Pharmabereich, der Weltmarktanteile verliert. „Naturwissenschaftler erzählen zu wenig, was sie tun – Geisteswissenschaftler beschäftigen sich zu viel mit den Risiken“, so Dr. Merkel. Ein Vertreter des amerikanischen Agrarmulti Monsanto hatte ihr gegenüber kürzlich erwähnt, sie bräuchten Europa in diesem Geschäft nicht. Dr. Jürgen Schweden (BASF Plant Science GmbH) fragt angesichts des Rückgangs an deutschen Biopatenten: „Ist dieses das Szenario, was wir uns in Deutschland wünschen?“ Auch er sieht den Standort Deutschland gefährdet. Die Bayer AG hat in Berkeley, USA, eine Fabrik mit 1.400 Mitarbeitern aufgebaut um jährlich in einem hochkomplexen Verfahren 300 g des rekombinierten Blutgerinnungsfaktor VIII herzustellen. Erst seit hundert Jahren kann durch Spenderblut die Bluterkrankheit behandelt werden, seit einiger Zeit kann durch die neue Technologie auch auf das Risiko der Blutspenden verzichtet werden. Gerne, so Dr. Eversheim, hätten sie die Fabrik auch in Deutschland gebaut, jedoch seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Genehmigungsverfahren dafür nicht geeignet. Das hänge auch damit zusammen, dass in den USA die Vorbehalte gegenüber der Biotechnologie wesentlich geringer sind. Nancy Reagan, Michael J. Fox und der kürzlich verstorbene Christopher Reeves haben beispielsweise die Stammzellenforschung über das Mitgefühl für ihren Überlebenskampf gefördert, wie Prof. Dr. Hans Schöler vom Max-Planck-Institut Münster anführt.
Im Jahr 2002 lag der Anteil der biotechnologisch hergestellten Pharmazeutika bei 10 Prozent am Gesamtmarkt. Das entspricht einem Umsatzvolumen von 36 Milliarden US-Dollar. Bis 2007 wird der Anteil auf 14 Prozent, 77 Milliarden US-Dollar, ansteigen. Der Umsatz alleine für monoklonale Antikörper in Deutschland beträgt 1,7 Milliarden Euro in 2003. Die Zahlen hat Dr. Sabine Sydow von Schering in Berlin zusammen getragen. Sie verweist auch darauf, dass es nicht nur der dominierende amerikanische Markt sei, den die Unternehmen gerne als Referenzwert anführen, sondern auch Asien in den Mittelpunkt rückt, wo in jüngster Zeit biotechnologische „Weltklasse-Cluster“ entstehen. Innovation als Träger technischen Fortschritts und den Betriebswissenschaften gemäß daher auch Träger des Wachstums, sei „ohne Gentechnik nicht mehr zu schaffen“, so Dr. Sydow.
Rote und Grüne Beispiele
Stammzellen haben die Eigenschaft, dass sie offensichtlich lebenslang das Potenzial behalten, sich zu allen möglichen Zellen weiter zu bilden. Umwandlungsprozesse machen aus ihnen Herzmuskelzellen, Gefäßzellen, Zellen für die Leber, das zentrale Nervensystem, Lunge: eben alles mögliche. Daher rücken die Urzellen jedes einzelnen Menschen in den Mittelpunkt der Forschung, macht sie „zum Objekt regenerativer Zelltherapien“, wie es Dr. Anna Wobus vom Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben, formuliert.
Herz-Kreislauf – Erkrankungen sind weltweit Todesursache Nummer 1. Geschädigte Herzmuskelbereiche können mit Stammzellentherapie erneuert werden, beschreibt Prof. Dr. Bodo-Eckehard Strauer von der Universität Düsseldorf. Bereits im normalen Leben produziert das Knochenmark ständig ein bestimmtes Quantum an Stammzellen, das langsam Zellverbände ersetzen kann, die ihre Funktionstüchtigkeit verlieren. Stammzellen können gezielt injiziert diesen Prozess unterstützen. Nach drei Monaten zeigen die erneuerten Partien in Tierversuchen wieder eine Durchblutung und eine Glucoseanreicherung als Zeichen für die Aufnahme des Stoffwechsels. Die Hilfe sei vorstellbar bei akuten Herzinfarkten und bei chronischen Herzerkrankungen. Uneins scheinen die Wissenschaftler noch zu sein, ob für die Stammzellengewinnung die adulten eines erwachsenen Menschen ausreichen oder ob die Multipotenz, sich zu allem entwickeln zu können, nur bei embryonalen Stammzellen vorhanden ist. Eine Möglichkeit Stammzellen zu bestimmten Zellen „umzuschulen“, ist das einbringen eines Gens, das Gift produziert und nur die jeweiligen Promotoren arbeiten lässt, die aus einer Stammzelle beispielsweise eine Herzmuskelzelle werden lassen. Das beschreibt Prof. Dr. Jürgen Hescheler von der Universität Köln, der auch von Erfolgen berichtet, embryonale Stammzellen ohne Zerstörung des Blastozyten zu gewinnen. Damit wird eine embryonale Weiterentwicklung nicht unterbunden.
Nahrungspflanzen haben mit ihren ursprünglichen Wildpflanzen nicht mehr viel zu tun. Sie können nicht so rasch auf veränderte Umweltbedingungen reagieren. So sieht Dr. Schweden die genetische Bearbeitung auf Trockentoleranz in der Übertragung von in der Wildpflanze vorhandene Lösungen auf die Kulturpflanze, die diese Fähigkeit verloren hat. Die weltweiten 70 Millionen Hektar, auf denen gentechnisch veränderte Pflanzen bereits angebaut werden, entsprechen ungefähr der dreifachen landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands. Bt-Mais und Goldener Reis (s. Herd-und-Hof.de vom 05.07.2004) können den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren oder Fehlernährungen ausgleichen helfen. In Kartoffeln können verschiedene Gene eingebaut werden, die Polymere mit plastikähnlichen Eigenschaften herstellen. Prof. Dr. Lothar Willmitzer vom Max-Planck-Institut (MPI) Golm bei Potsdam erzielt bereits 80 Prozent dieser Polymere in der Trockenmasse von Kartoffeln. Er würde auch gerne noch mehr forschen, jedoch entspricht der Gesamtetat des MPI in etwa der Hälfte des Etats der amerikanischen Universität Stanford.
Wo wird noch diskutiert?
Die Wissenschaften müssen wertfrei bleiben, damit ihre Voraussetzung, „Neugier zu zeigen“ erhalten bleibt. Die Grundlagenforschung kann auch zu Ergebnissen führen, die gegenteilig zur herrschenden Meinung sind. Katherina Reiche, Vorsitzende des Arbeitskreises Bildung in der CDU mahnt in ihrem Schlusswort: „Forschung ist nicht in Gut und Böse einzuteilen.“
In der Humanmedizin gibt es bereits über 100 Medikamente, die aus der Biotechnologie kommen und sehr wenig diskutiert werden. In der Landwirtschaft hingegen wird noch leidenschaftlich gestritten. Umwelt-, Verbraucher- und Bauernverbände haben letzte Woche in einem offenen Brief an Prof. Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), mehr Sachlichkeit eingefordert. Der Präsident hatte die Novellierung des Gentechnikgesetzes als wissenschaftsfeindlich bezeichnet und das „Ende der grünen Gentechnik“ ausgerufen. Da Prof. Winnacker auch im Aufsichtsrat der Bayer AG sitzt, sehen die Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL), der BUND, der Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), die Verbände Bioland, Demeter, Naturland und etliche andere Unterzeichner, eine Vermischung von „wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessen“. Da die DFG aus Steuergeldern finanziert wird halten die Verbände eine „Verquickung von öffentlichem Dienst und wirtschaftlichen Interessen in einer Auseinandersetzung für beunruhigend“. Der Brief kann vollständig unter www.bund.net/lab/reddot2/pdf/winnacker_brief.pdf eingesehen werden.
Die Frage „Gentechnik: Ja oder nein?“ ist bereits überholt. Biotechnologie und Gentechnik sind in ihrer Anwendung bereits so weit differenziert, dass heute die Frage lautet: „Gentechnik: Zu was soll sie eine Alternative sein?“ In der Humanmedizin, bei der 25 Prozent der Menschen auf der Warteliste für eine Herztransplantation sterben, so Dr. Wolfgang Franz von der Universität München, gibt es keine oder wenige Alternativen. Keine Alternativen bedeutet auch keine Diskussion und einen sehr hohen individuellen Nutzen.
In der Landwirtschaft gibt es sehr viele Alternativen, wenn Bauern beispielsweise durch konventionelle Züchtungsarbeit auch trockentolerante Pflanzen selektieren können. Viele Alternativen bedingen viel Diskussionsbedarf, zumal der Nutzen auch deshalb fragwürdig ist, weil zwar die Saatgutfirmen über den Besitz der Pflanzen einen Nutzen haben, jedoch die Zielgruppe der Kleinbauern, wie es auf dem Welternährungstag deutlich wurde, daran gar nicht partizipieren werden können.
Das die Fronten verhärtet sind verdeutlichte auch Prof. Willmitzer, deren Versuchsfelder in Golm dieses Jahr verwüstet wurden. Er bezeichnete Greenpeace als multinationalen Konzern, der nicht demokratisch legitimiert ist. Die Anwohner in Golm hätten gegen die Versuchsfelder keine Einwände gehabt, so Willmitzer.
roRo