Tag des ökologischen Landbaus

Landwirtschaft

Bio-Lebensmittel in der Bürokratiefalle?

> Der letzte Messefreitag gehört mittlerweile auch bereits traditionell dem Ökolandbau. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft BÖLW lud zu einer Fachtagung, deren Thema nicht nur den Ökolandbau beschäftigt. Denn über Bürokratie klagen alle Bauern. Rund 30 Prozent der Arbeitszeit gelten mittlerweile dem Aktenordner und nicht mehr für Feld oder Tier.

Bürokratische Harmoniesucht
Der Ökolandbau sieht in dem Thema allerdings eine Besonderheit, denn das ?Wachstum der Branche hängt von der Überzeugung der Marktteilnehmer ab, diese Produkte zu kaufen?, formuliert Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des BÖLW. Wenn Bio drauf steht, dann muss auch Bio drin sein. Daher geriet im Wesentlichen die EU Ökoverordnung von 1991 (2092/91) ins Visier.
Dr. Manon Haccius von Alnatura, beschreibt die Anfänge der Ökobewegung mit den Arbeiten von Rudolf Steiner in den 1920er und 1930er Jahren. Sorgen um Bodenfruchtbarkeit, Saatgutqualität und Auswirkungen der Lebensmittel auf den menschlichen Organismus waren die Triebfedern eines Gedankenansatzes, der Landwirte, Ärzte und Naturwissenschaftler zusammen brachte. Grundlegende Arbeiten aus Großbritannien über die Kompostierung in warmen Ländern und Standardwerke wie ?A living soil? sind heute noch lesenswert. Mit diesen Hintergründen entstand ein Selbstbild, dass den Ökolandbau noch heute bestimmt. Im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft, die im wesentlichen die Abwesenheit von unerwünschten Stoffen definiert, wie beispielsweise Pflanzenschutzmittelrückständen, hat der Ökolandbau schon immer die Prozesse über Positivlisten bestimmt, also was in der Produktion erlaubt ist, um ein gutes und natürliches Produkt zu erhalten. Die EU-Ökoverordnung entstand nach den ersten nationalen Richtlinien in Frankreich, Dänemark und Spanien und sollte damit, ganz EU-üblich, bestehende nationale Richtlinien harmonisieren. Ergänzt wurde das Werk, dass sich mittlerweile von 27 auf 110 Seiten ausgedehnt hat, durch die Verordnung über Hilfs- und Zusatzstoffe (207/1993) und der über die Tierhaltung (1804/1999). Und hierin spiegelt sich das Dilemma, wie es Dr. Haccius beschreibt: Die Tierhaltung in Finnland soll mit sechs Monaten Schnee und konserviertem Futter genauso ökologisch und wettbewerbsfähig sein, wie im mediterranen Bereich, bei dem Wasserversorgung und Schatten die vordringlichsten Probleme sind. Auf der anderen Seite sind ursprüngliche Nebenziele, wie die Erhaltung seltener Rassen, übergewichtig und nie ausführlich definiert worden, was damit gemeint ist. Dennoch hat die Verordnung wichtige Ergebnisse gebracht: Mit dem Bio-Siegel sind der ökologische Landbau und seine Produkte wesentlich präsenter als noch vor 15 Jahren. Die Ökobranche habe sich zudem den ?erhobenen Zeigefinger? abgewöhnt und staatliche Beratungsstellen und Informationsportale aufgestellt. Die Ausdehnung der ursprünglichen Verordnungsfassung entspricht dem europäischen Bürokrat, bringe jedoch auch erhebliche Nachteile: mit 60 Änderungen und Ergänzungen bindet die Verordnung Sachverstand, zwingt Landwirte zum ständigen Reagieren und verteuert die Produktion und Vermarktung. Die Ökobauern fühlen sich durch die Kontrollen geschulmeistert und mit ihrer Produktion nicht ernst genommen.

Nationale Besonderheiten beachten
Otto Schmid vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau aus der Schweiz, sieht durchaus regionalen Spielraum bei der Umsetzung der Verordnung. Es fehlen zwar Definitionen über Rassen und Sorten, aber die Verordnung nimmt Rücksicht auf nationale Besonderheiten, wie bei dem Verbot von Nitrit im Fleisch in Dänemark oder den strengen Regeln beim Tierkauf in Großbritannien. Die regionalen und nationalen Unterschiede werden erst dann zum Problem, sobald bei den Verbrauchern Misstrauen auftaucht, dass Produkte nicht das erzielen, was sie versprechen. Vor allem bei Betriebsmitteln treten Rechtsunsicherheit bei Erzeugern und Ungerechtigkeiten bei Preisen auf. Biosaatgut ist zwischen 1,2 und 2,5 Mal so teuer wie konventionelles. Das spiegelt sich mit 3 bis 8 % teureren Produkten wieder. So verwenden polnische Biobauern deswegen konventionelles Saatgut, weil es kein ökologisches gibt, beklagt Dorota Metera vom Kontrollverband IUCN in Polen. Das verhindert in der Folge, dass ökologisches Saatgut weiterentwickelt und verbreitet wird. Es gibt europäische Bemühungen Betriebsmittelstandards zu entwickeln und auch in der Tierhaltung festzusetzen, führt Schmid an. Dafür wurden mit www.organicinputs.org und www.safonetwork.org Internetportale geschaffen.
Im Ergebnis sieht Schmid keinen Widerspruch zwischen EU-Verordnung und nationalen Verbandsbestimmungen. Er gibt jedoch zu, dass weitere Verordnungen keine Lösungen schaffen, sondern mehr Forschung und Beratung. Deutlicher formuliert es Dr. Alexander Gerber vom BÖLW. Er sieht in der ?Einhaltung der Verbandsrichtlinien den Kern des Berufsethos?. Die Weiterentwicklung der EU Verordnung findet ohne Bauern und Konsumenten statt und wird zu einer Weiterentwicklung der Verwaltung, so Gerber. Er fordert Auditsysteme, die regionale Besonderheiten berücksichtigen.

Die Stimmung nicht schlecht diskutieren
Klare Worte findet Staatssekretär Matthias Berninger aus dem Verbraucherministerium anschließenden Diskussion. Die Verordnung stehe nicht als ganzes in Frage, sondern nur vereinzelte Probleme. Auf der Basis der Verordnung wurde das Bio-Siegel erstellt, dass einen großen Erfolg für die gesamte Biobranche erzielte. Er will die Stimmung nicht schlecht reden lassen, denn im Agrarbereich ist der Biosektor derjenige, der die höchsten Zuwächse hat. Der neue Markt für nachwachsende Rohstoffe und der Außer-Haus-Verzehr sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Was den konventionellen Bauern mit der Cross Compliance vielfach noch bevorsteht, sieht er als natürlichen Wettbewerbsvorteil der Ökobranche: Umweltziele sind n deren Produktion schon immer verankert. Trotzdem sieht Gerber die Gefahr, dass die Ökobranche durch die Regelungen an Identität verliert.
Die gesamte Dokumentation der Tagung wird unter www.boelw.de veröffentlicht.

roRo

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