Technischer Fortschritt, aber wie?
Landwirtschaft
TF: Agrar- und Ernährungsindustrie fühlt sich in der Defensive
Die Ausgangslage ist klar: Die landwirtschaftliche Fläche wird weniger, die Bevölkerung steigt und mit ihr der Bedarf an Nahrung und Energie. Der Klimawandel verschlechtert die Wachstumsbedingungen der Pflanzen. Doch gerade in der Landwirtschaft sind die Optionen des „Technischen Fortschritts“ (TF) höchst umstritten. Zumindest auf der 4. Handelsblatt Jahrestagung der Agrar- und Ernährungswirtschaft sahen sich die Teilnehmer mehr in der Defensive und wollen die moralische Hoheit über den Input von den Nichtregierungsorganisationen zurückgewinnen.
Mehr Ertrag und mehr Produktivität
Schlechte Regierungsführung, vernachlässigte ländliche Räume mangelhafte Verteilung: Neben fehlendem Ertrag gibt es viele Gründe, warum Menschen hungern und genauso zahlreich sind die Ansätze. Mehr Ertrag und höhere Produktivität in ertragsstarken Regionen kann helfen, die unterversorgten Regionen mit zu versorgen. Den Ökolandbau hält die Agrarindustrie schon alleine wegen seines Flächenbedarfes für eine Nischenproduktion. Sie vertraut den bisher erreichten Leistungen. Würde im Vergleich zu den heutigen Erträgen auf Pflanzenschutz verzichtet, sänken diese um rund 50 Prozent, führt Prof. Dr. Friedrich Berschauer von Bayer Crop Science an. Trotz Pflanzenschutzmittel (PSM) verursachen Krankheiten und Unkräuter immer noch hohe Ausfälle. Eine weitere Optimierung mit umweltverträglichen Produkten könnte das künftige Ertragsniveau auf 172 Prozent anheben.
Zur Nahrungssicherheit gehört jedoch mehr als nur der Einsatz von PSM. Ein besseres Ressourcenmanagement, vor allem von Wasser, und Hybridsaatgut könne die Erträge auf konstanter Fläche sichern und ausbauen. Zusätzlich müsse die landwirtschaftliche Produktion in klimatischen Randgebieten ausgedehnt werden, was neuer Kulturen bedarf, die Widerstandsfähig gegen Trockenheit und Temperaturen sind. Weiter entwickelte Pflanzen könnten mit Nährstoffen und Wasser effizienter umgehen.
Brennpunkt Gentechnik
Bauernpräsident Gerd Sonnleitner sieht die Diskussion um die Gentechnik „ideologisch überfrachtet“. Während die rote und weiße Gentechnik akzeptiert sei, gibt es um die grüne eine große Diskussion. Sonnleitner schlug eine Prozess bezogene Kennzeichnung vor. Sagte aber auch, dass alle gegen eine Wand rennen, wenn der Verbraucher die Gentechnik nicht haben will. Derzeit versuchten die Nichtregierungsorganisationen über die Futtermittelbestimmungen Brasilien und die USA auszuhebeln und warnte davor, dass die dann ihre Produkte nach China verkaufen würden. Zum schaden der deutschen Landwirtschaft.
Für Prof. Berschauer hat die Diskussion um die Gentechnik an Realität verloren. In den USA und in Lateinamerika sei sie akzeptiert und es sei eine Illusion zu glaube, dass die Produkte aus Europa fern gehalten werden könnten. Die grüne Gentechnik sei nicht mehr aus der Welt zu schaffen und die Industrie habe in der Vergangenheit Fehler in der Kommunikation gegenüber den Verbrauchern gemacht.
Industrie will offener werden
Derzeit streiten eine Nichtregierungsorganisation und die Deutsche Frühstücksei heftig um die Legehennenhaltung. Die Kleingruppenhaltung wird von den Tierschützern mit der Legebatterie gleich gesetzt, wogegen sich Gerd Stuke von der Frühstücksei wehrt. Die Gruppenhaltung hätte eine eigene Kennzeichnung verdient und werde die dominierende Haltungsform für preiswerte Eier bleiben. Mehr als ein Drittel der Eier werde nicht aus der Boden- und Freilandhaltung kommen, prognostiziert Stuke. Er will die „Hoheit der Tierschutzkompetenz“ wieder in die Industrie zurückholen. Verbraucher können über verschiedene Webcams „ihr Huhn“ über das Internet beobachten und sich ein eigenes Bild machen.
Nachteile sieht er aber auch durch den ungleichen Wettbewerb. Weil die EU nur Richtlinien vorgebe und jedem Mitgliedsland die Umsetzung unterschiedlich erlaube, füllten derzeit die Länder, die noch auf die Legebatterien setzen, die in Deutschland entstandene Lücke aus. Er wünschte sich direkte Verordnungen, die von allen Mitgliedsländern gleichzeitig umgesetzt werden müssten.
Mehr Forschung
Nach Zahlen von Dr. Berschauer ist die Agrarforschung vor allem in den letzten Jahren sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern deutlich zurückgefahren worden. Mehr Forschung hieße aber doch auch mehr Argumente für oder gegen einen einzelnen Input. Die Wiederbelebung der öffentlichen Forschung würde auch den Streit um die Drittmittelzuwendungen minimieren und die Forschung unabhängiger machen.
Lesestoff:
Kürzlich gab es einen runden Tisch zum Thema Gentechnik, der nach dem MON810-Verbot, die Sachlichkeit in das Thema wieder einführen will.
4. Handelsblatt Jahrestagung der Agrar- und
Ernährungswirtschaft am 09. und 10. Juni:
Keine Alternativen zum globalen Wettbewerb
Französisches Milchpreismodell für Deutschland?
Markt: Alles grün bei Schweinefleisch
Ernährungswirtschaft und Handel
Roland Krieg