Tierhaltung im Wandel
Landwirtschaft
Aspekte tiergerechter Nutztierhaltung
Die Nutztierhaltung ist eines der am meisten in der Öffentlichkeit diskutierten Themen. Oft stehen sich Praktiker und Landwirtschafts-ferne Disputanten gegenüber, die keine Lösung finden. Ein Blick auf die dynamische Entwicklung der Tierhaltung bot das Forum „Tiergerechtheit im Fokus der Praxis“ auf der DLG-Wintertagung in Münster.
Wir wollten es
Einen Blick zurück warf Prof. Dr. Thomas Blaha von der
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Die Intensiveirung der
landwirtschaftlichen Produktion war nach Krieg sowohl im Westen als auch im Osten
gesellschaftlich gewollt und ein Erfolgsrezept gegen den Hunger. Heute sind sichere
und preiswerte Lebensmittel für alle erschwinglich. „Die Intensivierung ist
eine unreflektierte Selbstverständlichkeit geworden“, erläuterte Prof. Blaha.
Auch der Tierschutz hat in Deutschland eine lange
Tradition. Schon 1835 wurde ein Tierschutzverband gegründet und das Thema als
staatliche Hoheitsaufgabe verstanden. Die Veterinäre wurden zur helfenden Hand
im Stall. Allerdings hat sich das gesellschaftliche Bild von der Tierhaltung verändert.
Der kleine romantische Bauernhof war selten Realität. Dennoch hinkt die Praxis
mit frühem Ausmerzen von Milchkühen, Kupieren von Schwänzen und Kürzen von
Schnäbeln den Wünschen hinterher.
Das Thema Tiergesundheit muss sich ändern. Der Tierschutz
ist überwiegend auf den Pathozentrismus ausgerichtet, dem Vermeiden von Leid.
Der heute gebräuchliche Begriff „Tierwohl“ geht viel weiter und beschreibt das
Nutztier in seiner ursprünglichen, natürlichen und instinktgeführten Umwelt. Heute
werden Dinge kritisiert, die den gesetzlichen Vorschriften entsprechen und den
Tierschutz in eine „reagierende Rolle“ drängen.
Benchmarking und kontinuierliche Verbesserung
Lange dachte man, man müsse dem Tier Einstreu geben,
dann bleibe es gesund. Das reicht nicht. Viel mehr sind Managementfragen der
Schlüssel zur Tiergesundheit.
Zur Revidierung der Tierschutzstrategie müsse ein
Benchmark-System aufgebaut werden, dass nach messbaren Kriterien ausgerichtet
ist. Die Leistung der Tierproduktion müsse darunter nicht leiden, erklärt Prof.
Blaha.
Beim Schwein beispielsweise sollen in einem
Betriebsvergleich Parameter wie Mortalitätsraten und Organbefunde erfasst
werden. Die Betriebe mit den besseren Parametern sollen den schlechteren zum
Vorbild werden, nachdem die Gründe für das bessere Abschneiden identifiziert
wurden.
Die Betriebe mit den besseren Parametern verdienen nach
Prof. Blaha auch mehr. Offen bleibt allerdings wie weit die
Zahlungsbereitschaft bei der verarbeitenden Stufe, dem Lebensmittelhandel und letztlich
beim Verbraucher tatsächlich ist.
Prof. Blaha schlägt zur Umsetzung der besseren
Kriterien einen „Tierhaltungs-TÜV“ und Sachkundelehrgang bei Landwirten vor.
Der Weg zu diesem präventiven Tierschutz ist ein gesamtgesellschaftlicher.
Dafür allerdings fehlt noch ein Konzept – trotz vieler guter Ansätze wie Tierwohl-Label
aus der Wirtschaft, dem Erlass Nordrhein-Westfalens zum Verbot des Kupierens
von Schwänzen oder die niedersächsische Tierschutzinitiative.
Stalleigene Lösungen
Gefragt sind auch die Tierhalter. Dietrich Pritschau
aus Westerrade in Schleswig-Holstein ist so ein „Tüftler“. Er bewirtschaftet
1.350 Hektar Ackerbau, hat 480 Sauen und 3.500 Mastplätze. Seit zwei Jahren
experimentiert er mit Ferkeln, denen er die Ringelschwänze lässt. Im Frühjahr
2010 hat er mit 150 und 300 Ferkeln in Gruppen angefangen, heute begleitet ihn
die Universität Kiel bei zwei Gruppen mit jeweils 650 Ferkeln.
Er hat gute Erfahrungen gemacht, auch wenn er mit der
dänischen Genetik in seinem Stall eher nervöse Tiere betreut. Was es im Einzelnen
ist, kann er nicht sagen. Es ist wohl das Gesamtpaket. Mit vier Wochen
Säugezeit lässt er die Ferkel eine Woche länger an die Sau als üblich. Auch eine
geringere Besatzdichte mit 0,9 m2 je 100 Kilogramm ist eine
Erfolgsgröße, dass die Schwänze dran bleiben. Genauso wie die
Parasitenbekämpfung oder das zahllose Spielzeug, das er seinen Tieren anbietet.
Er hat noch etwas beobachtet: Der ausgewachsene
Ringelschwanz hat am Ende einen kleinen Puschel. Ist der soweit ausgebildet,
dann wird es für die anderen Ferkele schwerer, den Schwanz zu fassen und
verliert an Attraktivität.
Die Zucht auf geringeres Schwanzbeißen ist für den
Praktiker keine Lösung. Er muss seine Tiere marktgerecht verkaufen. Schweine
mit höherem Fettanteil und genügsamerem Wachstum haben derzeit keinen Markt.
Zucht auf geringeres Federpicken
Umgekehrt scheint die Züchtung beim Huhn eine Lösung
für geringeres Federpicken zu sein. Schnäbel werden gekürzt, weil das Geflügel
an seinen Artgenossen Federn auspickt, Zehen abpickt oder schlichtweg
kannibalisiert. Das Kürzen der Schnäbel ist immer mit Schmerz verbunden,
erläutert Prof. Dr. Werner Bessei, Fachbereichsleiter Nutztierethologie und
Kleintierzucht von der Universität Hohenheim. Der Schnabel ist, so viel weiß
man heute, nicht mit dem Fingernagel, sondern mit der Fingerkuppe beim Menschen
zu vergleichen. Ein durchblutetes und mit Nerven durchzogenes Tastorgan des
Geflügels.
Da ist es egal, ob kalt oder heiß gekürzt wird. Die Schweiz
hat das Kürzen verboten, lässt aber touchieren, das heißt mit einem heißen Eisen
von der Spitze den Schnabel einschmelzen. Eine neue Methode ist das Blunting.
Dabei wird eine rauhe Unterlage in den Futtertrog gelegt, der den Schnabel abnutzen
soll.
Prof. Bessei sagt aber auch: Mit dem Kürzen wird das
Federpicken bei den Tieren nicht verhindert, sondern werden nur die
Auswirkungen vermindert.
Daher sucht man schon lange „richtigen“ Alternativen.
In kleinen Betrieben werden arbeitsaufwändig Ringe durch den Schnabel gezogen
oder den Tieren eine Art Brille aufgesetzt, dass sie nur noch nach unten
schauen können. Für große Bestände werden Einstreu und Graskörbe als
Beschäftigungsmaterial eingesetzt. Effektiv ist Lichtmanagement, jedoch sei es
aus Sicht der artgerechten Haltung fragwürdig, ob Tier bei weniger als fünf Lux
Lichtstärke gehalten werden sollen.
Graduellen Erfolg erzielen auch Fütterungsvarianten.
Oft sei es aber so, dass Defizite wie bei Mineralien, starkes Federpicken
korrigieren kann, eine höhere Gabe jedoch keinen weiteren Erfolg bringt. Es
gibt offenbar einen „Bodensatz“ Federpicken, der bleibt.
Schon lange wissen die Züchter, dass Federpicken durch
Züchtung verringert werden kann. Doch erst jetzt sei man in der Lage die gewünschten
Genome in der Zucht auch zu stabilisieren. In zwei bis drei Jahren sollen erste
Ergebnisse vorliegen. Dann reicht eine Genomanalyse in einem Blutstropfen aus,
das richtige Zuchttier zu selektieren.
Bis dahin sei die Infrarot-Methode zum Schnabel kürzen
ein guter Kompromiss für die Praxis.
Roland Krieg