Tierschutz bei geringen Gewinnmargen
Landwirtschaft
„Wir halten unsere Tiere gut!“
Zur Eröffnung der Mecklenburgischen Landwirtschaftsausstellung MeLa in Mühlengeez demonstrierten Tierschützer gegen „Massentierhaltung“ und forderten mehr Tierwohl in den Ställen. Seit Jahren treffen zwei Seiten nahezu unversöhnlich aufeinander, die Gut von Böse trennen wollen, aber weder als Groß noch Klein oder als ökologisch oder konventionell beschrieben werden können. Gerade in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind die Tierhaltungen deutlich größer als im Westen. Auch ökologische Betriebe, die sich ebenfalls einem Feindbild der familienbäuerlichen Agraropposition stellen müssen. Einzelne Großinvestoren schädigen das Image der Landwirtschaft und verführen Kritiker zur Äußerung eines Generalverdachtes. Sich von den schwarzen Schafen zu trennen täte der einen beruflichen Seite deutlich gut.
Die MeLa 2014 aber lud mit einem Fachforum und dem
Landesbauerntag zu einer argumentativen und sachlichen Analyse, die alles
andere als nur regionalen Charakter aufwies. „Ohne beste Haltungsbedingungen
keine Leistung“, sagen die konventionellen Tierhalter – der BUND hatte hingegen
jüngst den Spatenstich zu einer Masthähnchenanlage per einstweiliger Verfügung
gestoppt. Die großen Betriebe haben in der Nordostregion Tradition, während
Verbraucher meist noch in kleinbäuerlichen Strukturen verweilen. Oftmals fehlt
den Diskutanten der reale Blick nicht nur in einen Stall, sondern auch auf den
Markt, der durchaus auch einmal hinterfragt werden darf. Um aber die
Mechanismen zu verstehen, sollte der Fachmann besucht werden. Auf der MeLa war
das in diesem Jahr ganz leicht, weil die Fachfrauen und Fachmänner deutlich
sichtbar ihre Diskussionsbereitschaft auf dem T-Shirt trugen.
„Dürfen wir Tiere nutzen?“
Wenig überraschend war das Fachforum, das einmal mehr aufzeigte, dass die Fronten verhärtet sind. Die meisten Fragen mogelten sich nach Dr. Martin Piehl vom Landesbauernverband Mecklenburg-Vorpommern um die wahre Frage herum: „Dürfen wir Tiere nutzen?“. Angesichts steigender Zahlen von Vegetariern und Veganern eine berechtigte Frage. Moral und Ethik entwickelten sich immer weiter [1]. Dem müssten sich auch die Bauern stellen, resümierte Piehl. Für Dr. Peter Sanftleben, Staatssekretär aus dem Schweriner Landwirtschaftsministerium, ist der Wissen über den Zweck der Tierhaltung verloren gegangen. Es gehe tatsächlich schon um das „Ob überhaupt“ und vielleicht noch um das „Wie“. Werde die Kritik aus der Bevölkerung nicht geändert, dann verliere Deutschland seine Tierhaltung. Dr. Jörg Brüggemann, landwirtschaftlicher Berater, sieht die Ursache in der steigenden Diskrepanz zwischen den Konsumenten und der Landwirtschaft.
Es sind daher die Bilder, die den Unterschied ausmachen. „Ein großer Betrieb heißt ja nicht unbedingt ein schlechter Betrieb“, erinnert Torsten Roder vom Hybridschweinezuchtverband an agrarökonomische Erkenntnisse. Doch die Bilder sind anders. Darauf besteht Kerstin Lenz vom Deutschen Tierschutzbund. Biolandwirt Jens Rasim zeige, dass er mit einer anderen Produktion auch Geld verdienen kann. Seine Schweine sind keine „degradierten Fleischberge auf Spaltenböden“. Lenz erinnert an die Angst-Diskussion um die Legehennenhaltung. Aus Mecklenburg-Vorpommern sei kein Betrieb durch die Abschaffung des Käfigs abgewandert.
Die Menschen wollten regionale Produkte. So vermarktet Biolandwirt Rasim seine Schweine innerhalb eines Umkreises von 50 Kilometern. Er mästet seine Schweine in 160 Tagen auf 120 Kilogramm. Dann sind die Schweine ein Jahr alt.
Der Ferkelerlass
Wie schnelllebig die Zeiten sind, zeigt der
„Ferkelerlass“ in Mecklenburg-Vorpommern. Hintergrund sind Bilder von nicht
lebensfähigen Ferkeln, die auf harten Kanten erschlagen wurden. Schon im Juli
setzten sich im Ministerium Vertreter über eine Konkretisierung von nicht
lebensfähigen Ferkeln zusammen und einigten sich auf ein Monitoring der
geborenen Ferkel. Schwache oder nicht lebensfähige Ferkel werden nach einer
zweiten Prüfung nicht mehr mittels Schlagen mit dem Kopf auf eine harte Fläche
getötet, sondern erst mal nur betäubt. Unmittelbar danach muss eine sofortige
Tötung durch Entblutung oder Zufuhr von Kohlendioxid eingeleitet werden. Bündnis
90/Die Grünen haben Anfang September im Landtag den Antrag auf Korrektur des
„Erlasses zum Umgang mit Saugferkeln“ gestellt. Der Schlag auf den Kopf werde
nicht als „kein in Routine anwendbares Verfahren“ dargestellt. Der Schlag mit
dem Kopf auf eine „nicht federnde Flächen“ sei eine geeignete
Betäubungsmethode. Das aber legitimiere nach Ansicht der Grünen die
rechtswidrige bisherige Praxis. Die „Tierschutz-Schlachtverordnung“ hingegen
bezeichnet den betäubenden Kopfschlag
„ganz eindeutig als stumpfen Schlag mit einem geeigneten Gegenstand auf
den Kopf und nicht umgekehrt.“
Die Reinzuchtsau im
Hybridschweinezuchtverband hat mindestens acht funktionsfähige Zitzen an jeder
Seite. Sie ist also durchaus in der Lage 14 Ferkel zu säugen. Mit dem
Wurfausgleich werden Ferkel aus größeren Würfen an Sauen mit kleineren Würfen
umgesetzt. Damit ist die optimale Versorgung aller geborenen Ferkel gesichert.
Eine Sau kann im Jahr im Durchschnitt 31 bis 32 Ferkel säugen (Säugezeit 28
Tage); Grafik: Hybridschweinezuchtverband Nordost
Doch weit gesprungen ist der Erlass nicht. Für Dr. Sanftleben ist der Erlass ein Beispiel für die Suche nach einem Kompromiss im schwierigen Umfeld Tierwohl. Die bisherige Praxis sei ein schneller Tod für die nicht lebensfähigen Ferkel, sagte Dr. Brüggemann. Jetzt müssten die Tiere erst betäubt und dann langsam entblutet oder mit teuren Maschinen vergast werden. Selbst Biobauer Rasim würde die bisherige Vorgehensweise vorziehen: „Erschlagen ist die effektivste Methode. Ich glaube nicht, dass die neue Lösung für die Tiere angenehmer ist.“
So sind Kastrieren der männlichen Ferkel und das Kupieren der Schwänze auch aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Die größer werdenden Betriebe und Tiergruppen haben dazu geführt, dass die Landwirte aus Gründen des Tierschutzes die Schwänze kupierten, damit die Tiere nicht blutend durch die Ställe laufen. Das Problem habe auch mancher Ökobetrieb. Heute sind diese Praktiken verpönt.
„Wir brauchen neue Ställe“
Landesbauernpräsident Rainer Tietböhl will den Dialog mit den Tierschützern fortsetzen. Auch wenn der noch schwerfällig ist. Kerstin Lenz legte unwidersprochen dar, dass die Tierschützer erst nach Anmeldung ihrer Demonstration zum Fachforum eingeladen wurden. Tietböhl beklagte, dass die öffentliche Argumentation gegen die Tierschützer das Bild prägten, die Bauern seien gegen Tierschutz: „Das ist falsch!“ Kein Landwirt tötet gerne seine Tiere. Doch manchmal sei das auch aus Tierschutzgründen notwendig. Um mehr Tierwohl in den Ställen umzusetzen, bräuchten die Landwirte neue Ställe, die nur mit notwendigen Investitionen gebaut werden können. Der Gewinn von einem Euro je Mastschwein reicht dafür nicht aus. Der Schwung im Dialog auf der MeLa soll aber fortgeführt werden. „In einem sachlichen und fachlichen Dialog“, so Tietböhl. Niemand hat Verfehlungen klein geredet oder gar abgestritten. „Vollzugsdefizite dürfen nicht zu einer generellen Entmündigung aller Tierhalter führen“, forderte der Bauernpräsident. „Wir halten unsere Tiere gesund“, unterstrich er.
Handel im Fokus
Landwirtschaftsminister Dr. Backhaus nahm den Druck von den Bauern und stärkte die Tierhaltung: „Ja, wir brauchen die Veredelungswirtschaft und die Tierhaltung in Mecklenburg-Vorpommern“. Aber: „Wer Fleisch essen will, der muss dafür einen fairen und angemessenen Preis bezahlen!“ In erster Linie kritisierte der Minister die fünf großen des Lebensmitteleinzelhandels, die das Russlandembargo ausnutzten, um die Preisschraube weiterzudrehen. „Solidarität mit den Bauern ist gefragt und nicht der Zeitpunkt für eine Gewinnmaximierung.“ Beim Fleisch habe der Handel das traditionelle Fleischerhandwerk bereits ruiniert, beim Bäckerhandwerk sei er gerade dabei.
Diese Kritik ist nicht neu und wurde Anfang der Woche bereits vom Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) „entschieden zurückgewiesen“: „Grundsätzlich unterliegen Lebensmittelpreise starken Schwankungen. Die Erzeugerpreise sind in den letzten fünf Jahren zum Teil zweistellig gewachsen. Im Juli vergangenen Jahres erreichte die Inflationsrate bei Nahrungsmitteln und Getränken mit 5,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat einen neuen Höchststand. Seither sinken die Preise wieder. Wenn durch kurzfristig auftretende, außergewöhnliche Ereignisse in kurzer Zeit zusätzliche Ware auf dem Markt vorhanden ist, muss auch der Lebensmittelhandel damit nach marktwirtschaftlichen Kriterien umgehen können. Es ist immer noch besser, solche Lebensmittel abzusetzen, als diese zu vernichten.“
Tierwohl ist ein Schlüsselthema in der Branche. Aber: „Es scheint auch ein Teil unserer Wohlstandsgesellschaft zu sein“, sinnierte Dr. Backhaus. In dieser Woche wird Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt seine Tierwohl-Initiative vorstellen. Backhaus hofft, dass dabei die Frage nach Bestandsobergrenzen wie auch die Einführung eines Tierhaltungs-TÜV endlich geklärt werden. Er sei zwar persönlich gegen ein Verbandsklagerecht, hält aber vor dem Hintergrund der jüngsten Skandale die Einführung für gerechtfertigt. Insgesamt müsse die Landwirtschaft noch transparenter werden.
Wie viel kostet der Tierschutz?
Zur Transparenz der Landwirtschaft gehört auch das Wissen um die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Dr. Albert Hortmann-Scholten, Leiter des Fachbereichs Betriebswirtschaft bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, blickte kritisch auf die Region Weser-Ems. Auf den 20er und 30er Böden hatten die Landwirte nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Veredelung eine neue Wertschöpfungsmöglichkeit. Vor allem in den 1960er und 1970er Jahren sind die Tierbestände in Niedersachsen deutlich angestiegen. Heute werden 30 Prozent der Schweine, 33 Prozent der Legehennen und 50 Prozent des Mastgeflügels in Niedersachsen gehalten. Bis zur Jahrtausendwende wurde die Tierhaltung überzogen und unterliege jetzt den Versuchen, das Ruder zurückzudrehen. Denn so könne es in Niedersachsen angesichts des gesättigten Marktes in Niedersachsen und Deutschland nicht weiter gehen.
Aktuell werden pro Mastschwein acht bis zehn Kilogramm Speck energetisch verwertet, weil sie nicht mehr abgesetzt werden können. Auch wegen des Russlandembargos. Die Mäster stehen unter hohem Druck. Hat ein Ferkel vor einem Jahr noch 55,30 Euro erzielt, sind das heute nur noch 43,50 Euro. Das Kilo Schlachtgewicht wird aktuell bei 1,65 Euro notiert – vor einem Jahr waren es noch 1,93 Euro. Die Margen werden immer kleiner, was den Strukturwandel beschleunigt. Weil der Weltmarkt Fleisch aufnimmt ist das Angebot an Schlachtschweinen in Deutschland zwischen 1991 und 2014 von 41 auf 57,5 Millionen angewachsen. Diese Verbindung sorgt dafür, dass der Weltmarkt die Schweinepreise in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern bestimmt.
Bei der Milch sieht es genauso aus. Zwar ist der Milchpreis in den letzten zehn Jahren von 31 auf 41 Cent pro Kilogramm gestiegen, der Erlös für die Bauern aber von 17,5 auf 14,3 Cent gesunken.
Mit diesen engen Margen sind Tierschutzstandards nur bedingt zu verbessern. Dr. Hortmann-Scholten warnt daher auch vor den TTIP- und CETA-Abschlüssen. Die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada können die europäischen Standards unterlaufen und die deutschen Landwirte in weitere Bedrängnis bringen. Nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch weiter in die Kritik bringen, nicht ausreichend Tierschutz walten zu lassen. Beispielsweise haben die Engländer schon vor vielen Jahren die Gruppenhaltung bei tragenden Sauen eingeführt. Auch Schweden hat höhere Standards. In beiden Ländern sank seitdem der Selbstversorgungsgrad in den letzten 25 Jahren von 69 auf 41 und von 111 auf 70 Prozent [2]. Für die Landwirte bieten sich derzeit zwei Lösungsansätze: Entweder sie produzieren mehr Ferkel pro Sau oder bekommen mehr Geld vom Verbraucher.
Das Tierwohl-Chaos
Kaum ein Verbraucher wird ad hoc die bereits existierenden Tierwohl-Label aufzählen können [3]. Der Deutsche Bauernverband wird zu Jahresbeginn mit seiner eigenen Tierwohl-Initiative am Markt erscheinen und hat den Handel mit im Boot [4 + 5]. So viele Label mit verschiedenen Tierwohl-Intensitäten werden einhellig von Hartmann-Scholten, Rainer Tietböhl und Agrarminister Backhaus gegenüber Herd-und-Hof.de abgelehnt. Dr. Backhaus spricht sich für eine einfache und bundesweite Kennzeichnung aus, die sich an der Eierkennzeichnung mit wenigen Zahlen orientiert. „Es gibt bereits Tausende von Label.“ „Wir müssen nicht immer ein neues Label machen“, sagte Tietböhl. Gebraucht werden einfache Botschaften. In die Label-Landschaft müsse Ordnung rein. Für die Branchenlösung spreche, dass es kein Label geben wird, wirbt der Ökonom von der Landwirtschaftskammer. Aber es stehen derzeit nur 65 Millionen Euro für die teilnehmenden Betriebe an. Die werden nach dem Windhundverfahren vergeben.
Was aber wirklich passiert bleibt offen. Bis auf Westfleisch sind Produkte von den anderen Labeln kaum im Laden zu finden. Eher noch kann eine überzogene Standardfixierung einen großen Effekt auslösen. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg haben zwar punktuell hohe Tierdichten, aber in der Fläche viel zu wenig [6]. Wer in Niedersachsen nicht mehr investieren will oder kann, den wird es in den Nordosten Deutschlands ziehen. Oder, wie Rainer Tietböhl warnte: Es geht noch weiter ostwärts mit noch größeren Tierbeständen, deren Produkte dann wieder reimportiert werden.
Das Tierwohl-Label des Tierschutzbundes krankt im Schweinebereich, weil die Anforderungen so hoch sind, dass teilnehmende Landwirte gleich einen neuen Stall bauen müssen. Bei der DBV-Initiative hingegen würden die Landwirte bei ihrem jeweiligen Stand abgeholt. So kann auch der Betrieb, der Systemferkel von acht auf 27 Kilogramm mästet, an der Initiative teilnehmen, erklärte Hortmann-Scholten. Er ist skeptisch, dass Verbraucher wirklich über den Preis zu mehr Tierschutzstandards beitragen. Der Öko-Schweinesektor habe nach Jahrzehnten immer noch nur weniger als einen Prozent Marktanteil. Entweder sei der Preisabstand zu groß, oder die Verbraucher haben die Komplexität nicht verstanden, ergänzte er.
Mehr Tierbestände in MV
Mecklenburg-Vorpommern braucht mehr Tierhaltungsbetriebe. Oder Betriebe mit Tierhaltung, wie es Dr. Backhaus formulierte. Denn er will den Pflanzenbau in die Tierwohldiskussion gleich mit einbauen. Die Betriebe müssten künftig im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie und der Düngeverordnung mehr auf ihre Nährstoffbilanz achten. Eine Hoftorbilanz wäre die richtige. Um aber einen betrieblichen Nährstoffkreislauf aufzubauen gehört, wie übrigens bei Demeter, die Tierhaltung zum Ackerbau dazu. Maximal zwei Großvieheinheiten je Hektar. Überregionale Nährstoffkreisläufe hingegen lehnt der Minister ab. Er lehnt den Gülletourismus aus den Nachbarländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen aber auch den aus den Niederlanden ab und verspricht dafür die Grenzen zu Mecklenburg-Vorpommern „dicht zu machen“.
Das Tierwohl ist eine komplexe Angelegenheit.
Lesestoff:
[1] Fleischverzehr ist eine Kulturfrage
[2] Aldi und Lidl bringen billiges Schweinefleisch über den Ärmelkanal
[3] Der Wettbewerb um das Tierwohl läuft
[4] Brancheninitiative Tierwohl
[5] Nicht auf den Verbraucher bauen
[6] Hat die Tierhaltung in MV eine Zukunft?
Roland Krieg; Fotos: roRo