Tiertransporte: „Wir müssen handeln“

Landwirtschaft

Tiertransporte: Viele Regeln, keine Praxis

„Wir müssen handeln“, sagte die Ausschussvorsitzende Tilly Metz am Montag. Ein weiteres Mal tagte der EU-Sonderausschuss zum Thema Tierwohl bei Tiertransporten (ANIT) und blickte mit verschiedenen Experten auf die Hintergründe eines Transportes. Der Blick richtete sich auf Genehmigungen, Kontrollen und Datenerfassung und zeigte, dass die Wirklichkeit hinter jeder Fahrt viel komplexer als wahrgenommen ist. Sie erfordern Aktivitäten von Parlament und Kommission, die in die Tiefe gehen.

Der schwedische Chefveterinär Håkan Henrikson fordert EU-einheitliche Kontrollen und Regeln sowie die Hinzurechnung von Be- und Entladezeiten zur Reisezeit der Lebendtiere. Das bewegt sich auf der Schlagzeilenhöhe, die jüngst Kritiker der Bundesregierung entgegenhalten, Tiertransporte in Drittstaaten zu beenden.

Die Justiz

Vor einigen Jahren wusste jeder in Schleswig-Holstein, dass die Rinder aus dem Land zunächst nach Niedersachsen lediglich zu einer Zwischenstation auf den Weg nach Zentralasien waren. Das Bundesland hatte Ferntransporte verboten und Veterinäre den Start untersagt. Die Justiz erkannte dann das Schlupfloch der Kläger an, dass die Veterinäre nur für den Weg bis Niedersachsen zuständig seien und den Transport nicht untersagen durften.

Aktuell hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dem Zuchtverband Recht gegeben, Fleckvieh nach Kasachstan zu fahren. Das Bayerische Staatsministerium wollte den Ferntransport untersagen. Da die Tiere in Ungarn 30 Tage in Quarantäne stehen, erkannte das Gericht zwei unabhängige Transportstecken an. Die bayerischen Veterinäre durften den Transport bis Ungarn nicht verhindern, und nach der Quarantäne sei Ungarn für die Genehmigung zuständig.

Die Tierärzte fühlen sich an der Nase herumgeführt und scheitern mit ihren Tierschutzansichten vor Gericht. Solche Tricksereien wird auch die Bundesregierung nicht ändern.

Genug Verordnungen

Veterinär Michael Marahrens vom Friedrich-Loeffler-Institut listete am Montag die vorhandenen EU-Verordnungen auf: Es gibt die Tiertransportverordnung 1/2005, die EU-Kontrollstellenverordnung 1255/97 und die neue Kontrollverordnung 625/2017. Rechtlich umrahmt wird das Thema durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Fall C-424/2013, das die Tiertransportverordnung bis zum Abladeort in einem Drittstaat anzuwenden ist und nicht an der Grenze aufhört. Regeln gibt es also genug.

Doch das Dilemma fängt schon in Deutschland bei der Zulassung der Fahrzeuge an. TÜV und DEKRA genehmigen die Fahrzeugtypen, die tierartgerechte Ausstattung allerdings muss von der Veterinärbehörde genehmigt werden.

Vorabprüfung unmöglich

Die Behörden sind aber überlastet. Gunter Pannwitz ist nicht nur Amtstierarzt in Vorpommern-Greifswald, sondern entwickelt auch Software für die Transportüberwachung. Datenlogger auf den Fahrzeugen sind oft vorhanden, reichen aber nicht. Bei Ferntransporten sollten sie nicht alle drei Stunden, sondern in Echtzeit alle zehn Minuten aussagekräftige Daten wie Temperaturen melden. Für die Vorabprüfung müssen die Veterinäre innerhalb von Minuten die Route einschließlich Straßenbelag prüfen, die Witterungsbedingungen entlang der Fahrtsstrecke einschätzen, wissen, ob die Versorgungsstationen artgerecht ist und die Zeit von 48 Stunden am Abladeort vor Weitertransport eingehalten werde. Eine retrospektive Kontrolle des Fahrtenbuches sei mangels Validierung der Daten sinnlos. So wie die Transportregeln zwischen den EU-Ländern unterschiedlich ausgelegt werden, sind Software und Sprache der Datenlogger ebenfalls verschieden ausgelegt.

Traces

Peter Bokor von der Generaldirektion Sante hat das Datensystem Traces beschrieben. Eigentlich wird das Sammelsystem für Daten aus dem Jahr 2004 nicht nur für Tierbewegungen innerhalb der EU, sondern auch für gehandelte Pflanzenmaterialien, Lebensmittel und Holz genutzt. Verschiedene Statistikdaten können generiert werden. Zum Beispiel auch wie viele Tiere in Drittstaaten und wie viele Verstöße pro Jahr gemeldet werden. Die Erweiterung Traces NT (New Technologies) soll moderner und mehr Auswertungen ermöglichen, damit die Mitgliedsländer transparente Vorgänge erhalten.

In Traces werden alle Bescheinigungen, Kontrollen und Daten zur Ladung eingepflegt und scheint auf dem Weg in die Blockchain zu sein. Das System wird nach Bokor für die Veterinärbehörde eine wichtige Qualle für die Risikobewertung von Audits.

Die gravierendsten Probleme

Das Thema Tierferntransporte kommt nur bei negativen Beispielen in die Schlagzeilen. Die aber gibt es genug. Ost- und südwärts verlässt Lebendvieh die EU den Wirtschaftsraum per Schiff, wird am Zielhafen erneut in den Lkw geladen und transportiert. Dieser Stress für die Tiere ist nach Marahrens überhaupt noch nicht erfasst. Für den Schiffstransport fehlten EU-weiten Vorgaben.

Der österreichische Veterinär Alexander Rabitsch hat sich mit dem Transport nicht abgesetzter Kälber beschäftigt. Bis zur achten Woche saugen die Kälber normalerweise am Euter oder Nuckel. Auf dem Lkw hingegen bekommen die Kälber meist Wasser, mit oder ohne Elektrolyte, aus einem Metallnuckel mit Überdruck in den Mund gespritzt. Die eigentlich erforderliche Abladung für ein natürliches Saugen finde nicht statt. Falls, werden die Kälber direkt danach wieder aufgeladen. Normalerweise müssten sie einige Stunden ruhen, damit die Milch im Labmagen verbleibt und durch die Bewegung nicht in andere Mägen gelangt. Das führe nach dem Transport zu Krankheiten. „Rechtskonform sind Langstreckentransporte von Kälbern nicht umsetzbar“, fasste Rabitsch zusammen. Marahrens ergänzt, dass aus diesem Grund solche Transporte in Deutschland kaum noch genehmigt werden.

Von Grund auf

Es sind nicht nur die Außentemperaturen oder böhmische Versorgungsdörfer, die Ferntransporte in Verruf bringen. Falsche Behandlung der Tiere oder lange Fahrtzeiten ließen sich noch korrigieren. Der Sonderausschuss ANIT hat am Montag das grundlegende Problem angesprochen, dass das Thema Tiertransporte trotz vieler Verordnungen, Richtlinien und Handbücher so fragmentiert ist, dass es einen Neustart benötigt. Die oben beschriebenen Urteile nutzen Lücken und offenkundige Ausreden aus, die der Gesetzgeber schließen muss. Hinzu kommt ein Satz von Michael Marahrens: Man müsse den Sinn eines Aufbaus von Milchrinderherden in Nordafrika hinterfragen, der mit Hochleistungsrindern aus den gemäßigten Zonen betrieben wird.

Roland Krieg

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