Tierwohl fürs Auge oder für das Tier?

Landwirtschaft

Außerparlamentarische Diskussion zum Thema Tierwohl

Verbraucher wünschen sich Schweine im Stroh. Doch wenn die Temperaturen steigen und die Tiere haben die Wahl, auf eine Betonfläche auszuweichen – dann wechseln sie. Schweine können nicht schwitzen und sind zur Regulierung ihrer Körpertemperatur auf das physikalische Prinzip der Konvektion angewiesen. Deshalb suhlen die Tiere auch gerne, sobald sie Gelegenheit dazu bekommen. Stroh alleine macht nicht zwingend glücklich. Ähnlich verhält es sich mit dem Kupieren von Schwänzen: Einfach den Ringelschwanz dran lassen ist leichter gesagt als getan [1].

Volksinitiative gescheitert

So ist es in dieser Woche auch der Brandenburger „Volksinitiative gegen Massentierhaltung“ ergangen. 35.000 Unterschriften wurden gesammelt und dann scheiterte die Initiative im Landtag: „Wir sind beim Wunden lecken“, räumte Initiator Holger Ackermann am Donnerstagabend in Seddin bei Potsdam ein. Zwischen Tierwohl-Diskussion im Landtag und heute im Bundestag (10:50 Uhr: Agrarwende) lud Susanne Melior, Brandenburger Europaabgeordnete der Sozialdemokraten, zum Thema „Tierwohl zwischen Wunsch und Wirklichkeit“. Denn das Thema ist bereits in Europa angekommen. Und: „Es bewegt die Menschen in Brandenburg.“ Die Europaausschüsse sind auf Konsens getrimmt. Daher weiß Melior, dass es kein schwarz und weiß bei diesem Thema gibt. Deshalb ist trotz allen Lobes aller Landtagsfraktionen auch die Volksinitiative in der Wirklichkeit angekommen. Ackermann weiß auch warum: „Uns fehlt die Beteiligung der Bevölkerung!“. 35.000 Unterschriften reichen nicht. Dennoch sprach die Europapolitikerin den Initiatoren Mut zu, denn der Landtag hat in einer Entschließung etliche Punkte zur weiteren Beratung aufgenommen.

„Stepje bi stepje“

„Stepji bi stepje“ sagt der ostfriesische Bauer. So geht es auch mit dem Tierwohl voran. Brandenburgs Agrarminister Jörg Vogelsänger kritisiert, dass in der Öffentlichkeit nur die beiden Extreme „Bauer sucht Frau“ und die Landwirtschaft mit Verfehlungen gezeigt werden. Die Mehrheit der Betriebe findet gar nicht statt. Doch gerade in Brandenburg hat die Zahl der Arbeitskräfte auf dem Land und in der Landwirtschaft zwischen 2010 und 2014 um acht Prozent zugenommen. Die Betriebe investieren für das Tierwohl in moderne Ställe: „Unsere Bauern leisten gute Arbeit.“


Johannes Röring, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, findet die Diskussion mit der Gesellschaft wichtig. „Wie kommen wir zusammen“, fragte Röring und ermahnte, dass alle Akteure vom Bauern bis zum Verbraucher ihre Aufgaben erledigen müssen.


Kaufen Kunden Tierwohl?

Seit Anfang Januar kaufen alle Kunden in Deutschland Tierwohl. Sie merken es nur nicht. Für jedes Kilogramm Schweinefleisch und Wurst vom Schwein zahlt der Handel bereits vier Cent in einen Fonds, aus dem die an der Initiative Tierwohl teilnehmenden Landwirte ihre Umstellungen finanzieren. Edeka ist seit zwei Jahren auch Partner des Tierschutzlabels vom Tierschutzverband. Aber das bleibt in der Nische, sagte Marketingleiter Dr. Frank Thiedig.

Zwischen 25 und 30 Prozent müssen die Verbraucher mehr bezahlen, um das Fleisch mit dem Label zu kaufen. Seitdem haben sich aber auch zwischen 25 und 30 Prozent der Kunden zu preiswerteren Fleischwaren hin orientiert.

Die Edeka will dennoch an dem Label festhalten und stockt ab April sogar mit einem Premiumsegment „Tierwohl und Bio“ auf. Aber es können nicht nur wenige Tiere für den Premiumbereich in den Genuss von Tierwohl kommen. Wenn die Kunden das Fleisch nicht kaufen, dann sei das Tier „umsonst gestorben“, klagte Thiedig: „Wir können den Kunden nicht ändern.“ Deshalb macht fast der ganze Handel bei der Initiative Tierwohl mit. Auch wenn die Kunden das seit zwei Monaten gar nicht merken. Das bestätigt Röring, der sich gegen eine Lösung über das Ordnungsrecht aussprach: „Mehr Tierwohl gibt es nicht durch den Staat. Die Wirtschaft ist schneller.“

Viel zu tun

Die Landwirtschaft habe Zukunft, sagte Röring. Der entscheidende Faktor sei der Landwirt, der sich und seine Mitarbeiter beruflich qualifizieren muss. Die Tierhaltung müsse an die Fläche gebunden werden; sie müsse nicht unbedingt gleich hinter dem Misthaufen beginnen.

Das sieht Ton van Arnhem genauso. Für den Agrar-Attaché der niederländischen Botschaft ist die Agrarwirtschaft im benachbarten Königreich ein starker wirtschaftlicher Faktor, der Landwirte und Handel zur Verantwortung zwingt. Im letzten Jahr haben die Niederlande ein Gesetz erlassen, das den Gülleausstoß kontrollieren will. Die Eigenverwertung ist jetzt an Umweltgesetze gebunden. Sie darf auch beispielsweise in der Biogasanlage verwertet werden. Falls nicht, muss der Landwirt überschüssige Mengen als wertvollen Rohstoff exportieren. Nachfrage gebe es.

Von der Nase bis zum Schwanz

Einen Anzug müssen sich die Verbraucher während der sachlichen Diskussion verpassen lassen: Tierwohl heiß, das ganze Tier zu essen. Das Schwein besteht nicht nur aus Koteletts und das Rind nicht nur aus Steaks. „From Nose to Tail“ heißt eine „neue Küche“ die in Amerika Furore macht, unterstreicht Thiedig. Es gibt bereits Kochbücher für die Zubereitung von Innereien oder Suppen mit Schweineohren. Nahrung, die heute als „chen-Produkte“ (Öhrchen, Schwänzchen, Füßchen) containerweise nach China verkauft werden – während das Steak hier bleibt?

Kürzlich hat in Berlin-Kreuzberg ein Restaurant aufgemacht, das neben üblichen Speisen auch „Herz und Niere“ anbietet. Tierwohl als „Nouvelle Cuisine“.

Lesestoff:

[1] Die Sache mit dem Ringelschwanz

„Wir brauchen neue Ställe“

Roland Krieg; Fotos: roRo

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