Tierwohl ohne Markt geht nicht
Landwirtschaft
Welche Chancen hat die Tierhaltung?
Das Thema Tierwohl wird die Branche nie mehr los. Doch im Gegensatz zum Ackerbau, bei dem der Landwirt im nächsten Jahr eine neue Frucht anbauen kann, sind die Nutztierhalter mit ihrem Stallbau auf 15 bis 20 Jahre festgelegt. „Da muss man an vielen Stellschrauben drehen und sehen was geht“, sagte Schweinemäster und DLG-Vorstand Philipp Schulze-Esking aus Billerbeck. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft lud auf der Eurotier zum öffentlichen „Tier-Talk“ und versuchte nach vorne zu schauen. Schulte Esking hat es auch einmal mit der Ebermast probiert. Der Kastrationsverzicht ist ein Beispiel, der von außen auf die Landwirtschaft zugekommen ist und sich nicht in der wirtschaftlichen Realität abbilden lässt. Nach einigem Probieren hat der Praktiker die Ebermast in den Griff bekommen – findet aber kaum einen Schlachthof, der die Tiere abnimmt. Den Schlachtern ist das Risiko der „Stinker“ zu groß. Ein anderes Problem: Der Wunsch von Verbrauchern für ein besseres Tierwohl findet keine Umsetzung in ihrer Zahlungsbereitschaft, kritisiert Felix Wesjohan von der Brüterei Weser Ems.
Die Gemengelage aus mangelnder Praxisreife, fehlender Zahlungsbereitschaft für Mehraufwand und Unsicherheit über die nächsten Anforderungen verunsichert die Landwirte. Sie sind bereit, neue Ställe für neue Anforderungen zu bauen, kommen aber bei den niedrigen Erzeugerpreisen nicht zum notwendigen Investitionskapital. Das betrifft auch die Ökobranche. Denn, zur Erinnerung, der Anteil von gut entlohntem Ökofleisch am Markt stagniert seit Jahren bei weniger als einem Prozent.
Eine Lösung könnte die vertikale Produktion sein, wie sie beim Gemüsebau und in der Geflügelwirtschaft weit verbreitet ist. Die Landwirte haben durch die Einbindung in die Wertschöpfungskette sicheren Absatz und einen festen Markt. Sie können auch mit guten Preisen rechnen, bei denen je nach Marktlage die Preisspitzen oder Preistäler der frei produzierenden Bauern fehlen. Auch, wirbt Wesjohan für die vertikale Produktion, haben die Landwirte eine hohe Lebensmittelsicherheit, durch feste Vertragspartner, wie den Futtermittellieferanten und durch Kontrollen. Wenn allerdings der Preis richtig in den Keller rutscht, schlägt das auch in dieser Form der Produktion durch.
Ein zweiter Weg sind Tierwohllabel. Die sollen den Verbrauchern Orientierung geben und über einen höheren Preis den Mehraufwand entlohnen. Doch keines der am Markt befindlichen Siegel hat einen relevanten Marktanteil, weil die Kaufbereitschaft niedrig ist. Einzig die Brancheninitiative Tierwohl kann einen Mengeneffekt aufweisen. Doch die niedrigen Standards auf Gesetzesniveau bringen das Tierwohl nur in kleinen Schritten weiter. Zudem gab es Probleme mit der Finanzierung und der Handel stellt seinem eigenen Label höhere Standards immer wieder entgegen. Und: Das Bundeslandwirtschaftsministerium kommt im Januar mit einem eigenen Label heraus. Auf höherem Niveau, wie die Ressortführung immer wieder betont. Danach von Herd-und-Hof.de befragt, gibt Schulte Esking eine weitere Verunsicherung zu. Wird das Staatssiegel die Brancheninitiative aufheben oder ergänzen? Das Siegel aus dem Ministerium könne nur funktionieren, wenn es auf die bestehende Infrastruktur der Brancheninitiative zurückgreift. Kontrolle und Dokumentation könnten nicht ein zweites Mal aufgebaut werden. Zudem müssten die einzelnen Standardstufen genau definiert werden und welchen Markt sie bedienen sollen. Stallbauer Dr. Richard Hölscher sieht dem neuen Zeichen mit Wohlwollen entgegen. Es kann den Verbrauchern endlich Klarheit und Sicherheit vermitteln. Kritisch bleibe die Finanzierung eines höheren Aufwandes. Ein Umlagesystem wie im alten EEG sei sinnvoll.
Oder: Die Landwirte werden gleich über öffentliche Mittel für mehr Tierwohl entlohnt. Schulte Esking ist zwar kein Freund dieser Methode, hält sie aber für eine Option.
Option ist auch die Anhebung der gesetzlichen Mindeststandards über die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Dieser Weg gebe dem Lebensmitteleinzelhandel aber den Grund, sich ihrer finanziellen Verantwortung an einer Branchenlösung zu entziehen, meint Wesjohan.
Von den vielen Optionen hat bislang noch keine richtig gezündet. Das ist auch 2017 nicht zu erwarten. In den Niederlanden haben die Tierwohl-Gruppen den Druck auf den Handel ausgeübt. In Deutschland hingegen, so erklärt Wesjohan, üben sie den Druck auf die Tierhalter aus. Ob das der richtige Ansatzpunkt ist? Was ist mit dem Verbraucher? Der zahle am Ende auch zehn Prozent mehr, weil er durchschnittlich nur noch elf Prozent seines Budgets für Lebensmittel ausgibt, meint Hölscher.
Roland Krieg