Tierwohl zwischen Gesetz und Moral

Landwirtschaft

Die artgerechte Tierhaltung steckt in der Sackgasse

Gesetze regeln vereinbarte Standards in einer Gesellschaft und regeln Sanktionen bei Verstößen. Die Koalition will die vorhandenen Lücken beim Kükenschreddern, Schnabelkürzen bei Legehennen und  bei den Ausnahmen nicht-kurativen Eingriffen schließen. Das Mindestmaß an Tierwohl gilt für alle Betriebe. Soweit ist das eine runde Sache, wenn nicht ausgerechnet beim sensiblen Thema Tierwohl höhere Standards verlangt werden. Legen Wirtschaftsbeteiligte diese Standards fest, ist das freiwillig und nicht zu beanstanden. Wenn allerdings der Bundestag als gesetzgebende Gewalt höhere Standards festlegt, untergräbt er seine eigenen Gesetze.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft stellt gerade ein dreistufiges Tierwohllabel auf. Das soll Verbrauchern Sicherheit im Labyrinth der Tiersiegel geben. Gegenüber dem bestehenden Tierschutzgesetz sind die Haltungsnormen höher. Gegenüber dem Gesetz sind sie freiwillig. Die Freiwilligkeit ist die einzige Form, die der Bundesregierung die Möglichkeit zur Förderung gibt, stellte Julia Klöckner auf der Grünen Woche gegenüber Herd-und-Hof.de klar.

Die Tücke liegt in der Parallelität. Oberhalb des Tierschutzgesetzes wird ein moralischer Imperativ aufgebaut, der das gesetzliche Minimum degradiert: „Bauer Meier liebt zwar seine Tiere, die sind kerngesund, aber er folgt lediglich dem gesetzlichen Standard.“ So wird das Tierschutzgesetz schon heute deklassiert. Die aktuelle Diskussion über das staatliche Label beherrscht einzig die Höhe von Standards über Normalnull. Wie viel über dem Gesetz, wie viel unter dem Biostandard? Wie viel Abstand zum Wettbewerbssiegel? Es geht im Wettbewerb darum, das Gesetz nach oben so schnell und weit als möglich zu verlassen. Der Gesetzestreue wird zudem noch bestraft, weil er die geringste Entlohnung erhält.

Julia Klöckner nimmt das Recht in Anspruch, sich „nicht nur mit Gesetzen zu Wort zu melden, sondern auch mit gesellschaftlichen Debatten.“ Das ist gut, die Internationale Grüne Woche 2019 zeigt aber die Sackgasse dabei auf.

Zum einen differenzieren sich die Bioverbände in „verschieden gute Biostandards“, der Tierschutzbund hat sich aus allen staatlichen Neuauflagen herausgenommen und die Branchenlösung endet womöglich durch Inhalation des staatlichen Tierschutzlabels. Jeder wirft dem anderen „Insellösungen“ vor, die dort enden, wo sie vor ein paar Jahren starteten.

Zum anderen baut sich die Bundesregierung ein Paralleluniversum auf, das sie der Aktualisierung des Tierschutzgesetzes enthebt. Diese Kritik stammt von Thomas Schröder, dem Präsidenten des Deutschen Tierschutzbunds. Warum auch einen strittigen Gang der Gesetzesänderung bemühen, wenn sich neue Kriterien, so sie nicht wirklich ins Gesetz müssen, freiwillig auf der moralischen Dreistufigkeit angeboten werden können. De facto haben die Landwirte keine andere Wahl, als sich dem zu beugen.

Und das ist das dritte Problem. Landwirte können den Gesetzstandard einhalten, könnten sich aber auch höher aufstellen. Doch das geht gesetzlich zum Teil nicht. Der Deutsche Bauernverband kritisiert die enge Auslegung des Baugesetzbuches. Tierhalter, die Ackerfläche fünf bis sechs Jahren gepachtet haben, werden von den Kommunen nicht mehr als nachhaltig angesehen. Bauen sie einen ehemals genehmigten Stall um, verlieren die Landwirte die Baugenehmigung. Ein neues Planfeststellungsverfahren muss her. Auch bei größeren Fenstern oder Auslauf verwehren die Kommunen oftmals den Umbau zu mehr Tierwohl. Schweine im Auslauf emittieren die Hofbäume zu Tode. Ausgerechnet ein Gesetz hält Landwirte am gesetzlichen Mindeststandard fest und verwehrt ihnen höhere Weihen.

Thomas Schröder kommt zu dem Schluss:  Das Tierschutzgesetz selbst genügt offenbar nicht mehr den gesellschaftlichen Anforderungen. Dann wäre es Aufgabe des Bundesministeriums, diesen Missstand zu beheben. Aber keine freiwillige Hypermoral für die Tierhaltung aufzustellen.

Gesetz und Moral sollten übereinstimmen. Wenn das nicht der Fall ist, verliert das Gesetz seine Bedeutung. Ärgerlich ist auch, wenn die Hypermoral zum Gesetz wird. In Deutschland dürfen Ferkel nur kastriert werden, wenn das „schmerzfrei“ geschieht. Der vollkommen richtige Weg ist allein die Ebermast. Die Politik darf sich darüber zwar freuen, in Europa den höchsten Standard zu haben, wird aber bald die geringste Ferkelproduktion im Sauenstall haben. Diese Form der Landwirtschaft ist nicht enkeltauglich.

Roland Krieg

Zurück